Mehr Kinder, weniger Beiträge BVerfG rügt gesetzliche Pflegeversicherung

In seinem jüngsten Beschluss rügt der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die soziale Pflegeversicherung. Der wirtschaftliche Kindererziehungsaufwands werde im Beitragsrecht nur unzureichend berücksichtigt, argumentieren die Verfassungsrichter. Zwar zahlen Eltern weniger Beiträge als Kinderlose. Die Anzahl der Kinder spiele hingegen keine Rolle: Eltern mit nur einem Kind entrichten genauso hohe Beiträge wie die mit zwei oder mehr Kindern.
Diese Praxis ist nach Auffassung der Karlsruher Richter verfassungswidrig. „Eltern mit mehr Kindern [werden] gegenüber solchen mit weniger Kindern in spezifischer Weise benachteiligt“, heißt es im Beschluss.
Neuregelung bis zum 31. Juli 2023
Den Beitragszuschlag für Kinderlose habe der Gesetzgeber mit der „kinderbedingten besonderen finanziellen und sonstigen Belastung“ gerechtfertigt. Die höheren Beiträge Kinderloser sollten dem Rechnung tragen. Es bestünden jedoch wesentliche Unterschiede in Abhängigkeit von der Anzahl der Kinder auch innerhalb der Gruppe beitragspflichtiger Eltern, so die Richter.
Der wirtschaftliche Aufwand der Kindererziehung setzt sich nach Auffassung des Gerichts einerseits aus den tatsächlich aufgewendeten Kindererziehungskosten, insbesondere den erziehungsbedingten Konsumausgaben (Realaufwand), und andererseits aus Opportunitätskosten, also den erziehungsbedingt entgangenen Erwerbs- und Versorgungschancen. „Der Umfang des Realaufwands wie derjenige der Opportunitätskosten steigt in Abhängigkeit von der Kinderzahl substantiell an“, heißt es im Beschluss.
Dem Gesetzgeber legt das BVerfG auf, bis zum 31. Juli 2023 eine gerechtere Neuregelung zu treffen.
Keine Benachteiligung bei Kranken- und Rentenversicherung
Dem aktuellen Beschluss liegen zwei Verfassungsbeschwerden über Benachteiligung kinderreicher Familien in der sozialen Pflegeversicherung zugrunde. Weitergehende Verfassungsbeschwerden, die eine ähnliche Benachteiligung bei der Bemessung des Beitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur gesetzlichen Krankenversicherung betrafen, wiesen die Verfassungsrichter hingegen zurück.
In der Rentenversicherung werden die Erziehungszeiten für jedes Kind berücksichtigt und auf die Rente eines Elternteils angerechnet, argumentieren die Richter. Damit sei der Beitrag kinderreicher Eltern zum Funktionieren des umlagefinanzierten Systems hinreichend ausgeglichen worden. Und in der Krankenversicherung gleiche die kostenlose Mitversicherung für jedes Kind den finanziellen Aufwand der Kindererziehung aus.