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Candriam-Experte im Interview „ESG-Outperformance liegt nicht nur am Ölpreisverfall“

Tesla-Gigafactory in Shanghai: „Es klingt trivial, aber wer seine Kunden gut behandelt, ist im Vorteil“, sagt David Czupryna.
Tesla-Gigafactory in Shanghai: „Es klingt trivial, aber wer seine Kunden gut behandelt, ist im Vorteil“, sagt David Czupryna. | Foto: imago images / Xinhua
David Czupryna, Leiter des ESG Client Portfolio Management bei Candriam

Herr Czupryna, einige Untersuchungen zeigen, dass sich ESG-Strategien in der Krise bislang besser geschlagen haben als klassische Strategien. Ist dies vor allem auf die tendenziell schwache Positionierung der ESG-Ansätze im Ölsektor zurückzuführen?

David Czupryna: ESG-Strategien haben tatsächlich eine relative Outperformance gegenüber Nicht-ESG-Strategien aufgewiesen. Das zeigt sich nicht nur im Aktienbereich, sondern zum Beispiel auch bei High Yields. Aber auch innerhalb einzelner Sektoren haben Unternehmen mit besserem ESG-Profil die Unternehmen mit schlechtem ESG-Profil geschlagen. Das ist selbst im Ölsektor zu beobachten. Die Outperformance von ESG-Strategien ist also nicht nur auf die schwache Performance von Ölaktien zurückzuführen, auch wenn eine Untergewichtung im Öl- und Gassektor zuletzt sicherlich vorteilhaft war.

Viele Investoren verbinden mit ESG vor allem Ausschlüsse. Ist das zu kurz gefasst?

Czupryna: Eine ESG-Strategie umfasst deutlich mehr, Ausschlüsse sind nur ein kleiner Teil. Es geht um die Analyse und Bewertung von Unternehmen unter Berücksichtigung ökologischer Kriterien, sozialer Standards und der Managementqualität. Bei Candriam haben wir in den vergangenen Jahren eruiert, welche der vielen ESG-Kriterien in den verschiedenen Sektoren die relevantesten sind – für die Performance, aber auch für die Risiken.

Ein Teil der ESG-Analyse ist die Analyse der Stakeholder. Warum ist diese so wichtig?

Czupryna: Unsere Stakeholder-Analyse bezieht sich auf die sechs klassischen Gruppen, die ein Unternehmen beeinflusst oder die das Unternehmen beeinflussen. In der Vergangenheit haben sich viele Unternehmen nur um einen Stakeholder wirklich gekümmert: die Aktionäre oder Anleihebesitzer. Waren die Investoren glücklich, waren es auch alle anderen, so die Annahme im so genannten Shareholder-Kapitalismus. Dieser Ansatz wurde mittlerweile aufgegeben, sogar von US-Unternehmen. Heute spielen auch Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und die Gesellschaft insgesamt eine Rolle, und ebenso die Umwelt. Wir analysieren, wie das Unternehmen auf diese Stakeholder eingeht. Gerade in der aktuellen Krise spielt das eine wichtige Rolle.

Können Sie dies mit einem Beispiel konkretisieren?

Czupryna: Personalpolitik zum Beispiel ist jetzt entscheidend. Wie behandeln Firmen ihre Mitarbeiter? Wie stark ist die Bindung? Dies ist insbesondere in personalintensiven Branchen wichtig, die abhängig von der Qualität ihrer Mitarbeiter sind. Unternehmen mit einer guten Belegschaft können in der Krise outperformen. Ein anderes Beispiel sind Kunden. Es klingt trivial, aber wer seine Kunden gut behandelt, ist im Vorteil. Hier gibt es viele Wege. Ein pharmazeutisches Unternehmen etwa kann sich mit einem Fokus auf Produktqualität und Innovationen um seine Kunden kümmern. Wir sehen eine Korrelation zwischen einer guten Bewertungsnote in der Behandlung der Kunden und der Fähigkeit des Unternehmens, diese Krise gut zu überstehen und stärker daraus hervorzugehen als Wettbewerber. 

ESG-Strategien wird häufig nachgesagt, Risiken begrenzen zu können. Andere sehen sie als Alpha-Lieferanten. Was können sie tatsächlich?

Czupryna: In einigen Marktphasen, wie in der aktuellen, zeigt ESG seine Fähigkeit, Risiken zu mindern. Durch den Fokus auf hohe ESG-Qualität wurden Risiken gesenkt und eine Outperformance erzielt. Andererseits konnten vor der Krise einige ESG-Strategien Alpha erzielen, zum Beispiel solche mit Fokus auf die UN-Nachhaltigkeitsziele. Sie konnten den Markt schlagen, da sie sich auf Unternehmen fokussieren, die gut positioniert sind, um von langfristigen Trends zu profitieren und zusätzliche Marktanteile durch neue Produkte und neue Kunden zu gewinnen. Letztlich kann ESG also beides: Risiken in schwachen Märkten begrenzen und Alpha in schwierigen Bullenmärkten erzielen. Für eine langfristige Outperformance der Märkte sind beide Fähigkeiten wichtig.

Werfen wir einen Blick nach vorn. Wie wird sich ESG-Investing entwickeln?

Czupryna: Ich bin mir sicher, dass wir nach der Krise nicht weniger, sondern mehr ESG sehen. Wir erwarten zudem ein neues Austarieren von ESG. Für viele Investoren, vor allem die neu im Bereich Nachhaltigkeit sind, bedeutet ESG vor allem Klimawandel, die Chance Klimarisiken im Portfolio zu reduzieren. Die Krise zeigt jetzt, dass auch soziale und mit dem Management verbundene Kriterien sehr wichtig sind, um spezifische Risiken und Chancen auf Unternehmensebene zu erkennen. Wir denken daher, dass Investoren sich künftig, und teilweise auch jetzt schon, stärker auf das S und das G, also auf Soziales und Governance, konzentrieren. Spannend wird, wie die Regulierer reagieren. Bislang steht hier vor allem das E, also die Umwelt, im Vordergrund. Bei Candriam fahren wir schon lange einen ausgewogenen Ansatz, der alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen berücksichtigt. Wir denken, dies wird sich künftig stärker in der gesamten Branche durchsetzen.

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