Chefanlagestratege Markus Müller
Gesichter der Nachhaltigkeit
Aktualisiert am 10.03.2020 - 17:19 Uhr
Festival in Peking: In Schwellenländern fehlen häufig Sozialsysteme, daher sind Naturkatastrophen für die Bevölkerung schwerer zu überwinden als in Industrieländern.
Nachhaltiges Investieren ist seit ein paar Jahren schwer angesagt. Die Idee, im Einklang mit der Natur zu leben, entstand jedoch schon in der Urzeit. Markus Müller, Chefanlagestratege im Wealth Management der Deutschen Bank, gibt einen Überblick über geschichtliche Entwicklungen.
Diese Zahlen suggerieren dass Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir etwas Negatives verhindern müssen. Das mag zu Teil der Fall sein. Im Grunde geht es aber um mehr. Es geht um etwas Positives. Es geht nämlich darum, für die Erde und uns Essentielles zu erhalten. Damit dies gelingt, bedarf es einem positiven ökologischen Zukunftsnarrativ. Wir können das aber erst entwickeln, wenn wir wissen, worüber wir wirklich sprechen –und das ist mehr als ein Bedrohungsszenario. So wird fälschlicherweise oft angenommen, dass Nachhaltigkeit eine moderne Erfindung ist.
Die Ursprünge des nachhaltigen Denkens
Der historische Kontext zeigt uns, wie Nachhaltigkeit zu verstehen ist und wie wir einen Beitrag...
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt Unternehmen, Kapitalmärkte, Gesetzgeber. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die Analysen und Thesen der bedeutendsten Nachhaltigkeitsexperten, Top-Ökonomen und Großinvestoren – gebündelt und übersichtlich. Sie sollen dir die wichtigen Entwicklungen auf dem Weg zur nachhaltigen Gesellschaft und Finanzwelt clever und zuweilen kontrovers aufzeigen.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Diese Zahlen suggerieren dass Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir etwas Negatives verhindern müssen. Das mag zu Teil der Fall sein. Im Grunde geht es aber um mehr. Es geht um etwas Positives. Es geht nämlich darum, für die Erde und uns Essentielles zu erhalten. Damit dies gelingt, bedarf es einem positiven ökologischen Zukunftsnarrativ. Wir können das aber erst entwickeln, wenn wir wissen, worüber wir wirklich sprechen –und das ist mehr als ein Bedrohungsszenario. So wird fälschlicherweise oft angenommen, dass Nachhaltigkeit eine moderne Erfindung ist.
Die Ursprünge des nachhaltigen Denkens
Der historische Kontext zeigt uns, wie Nachhaltigkeit zu verstehen ist und wie wir einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten können. Die Bedeutung der Nachhaltigkeit fängt schon früh an, und zwar in der Prähistorie. Der bei den prähistorischen Völkern praktizierte Animismus betrachtete alle Wesen als belebt und geistig. Pflanzen, Flüsse und Steine galten als beseelt. Der prähistorische Animismus spielt vor allem in den ethnischen Religionen eine große Rolle. Auch in der späteren griechischen und römischen Antike gab es kein wissenschaftlich fundiertes ökologisches Bewusstsein. Aber es gab etwas wie ein Vorbewusstsein, zum Beispiel die Vision von der schönen Natur, den Topos des „locusamoenus“ (der schöne Ort) in der Literatur und in der Malerei.
Die antike ägyptische Kultur hing direkt von der Fruchtbarkeit des Nils ab. „Das politische wie wirtschaftliche Handeln im alten Ägypten folgt dem Naturkreislauf, es ist kein Gegenentwurf zur Natur. Die Beachtung dieses Kreislaufs und die Legitimation zur Herrschaft bedingen einander“. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass „eine scharfe Trennung von Natur und Kultur, von Basis und Überbau, von wirtschaftlichem und kulturellem Handeln keineswegs zwangsläufig, sondern ein problematisches Denkmuster ist.“ Solche Denkansätze sind nicht auf die damalige Welt in Europa und Ägypten begrenzt. In Asien wurde die Sichtweise der buddhistische Lehre stark vom frühen Animismus beeinflusst. Erde und Wasser dürfen nicht verunreinigt werden, weil sie als Teil der Erde belebt sind.
In Chronologien um die erste Jahrtausendwende aus Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, ist festgehalten, dass von den buddhistischen Königen erwartet wurde, einen ökologischen und sozialen Beitrag zum Leben der Menschen zu leisten. Die erste Schule des chinesischen Buddhismus, die Tiantai, unterschied nicht zwischen belebten und unbelebten Wesen, das heißt die Natur ist wie Tiere und Pflanzen ein Teil der Schöpfung; man spricht von einer Bruderschaft, nicht nur aller Menschen sondern aller Lebewesen. Der zur Zeit der Ming-Dynastie lebende chinesische Gelehrte Wang Yangming (1472-1529) brachte dieses Konzept auf den Punkt. Er schrieb, dass Himmel und Erde und die unzähligen Dinge die sich dort entfalten Teile eines einzigen Körpers sind. Dies rührt aus der anthropokosmischen Weltanschauung des chinesischen Daoismus, in der die Natur das Zentrum des Universums einnimmt, und nicht der Mensch. Einige Jahrhunderte später sticht im mittelalterlichen Abendland der "Sonnengesang" des Franziskus von Assisi aus dem Jahre 1225 hervor. In ihm wird die Schöpfung als Ganzes gelobt.
Solche Überlegungen führen über kurz oder lang unweigerlich dazu, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur sowie Individuum und Gesellschaft näher zu definieren. So setzte sich Thomas von Aquin unter anderem mit der Frage auseinander, ein Gleichgewicht zwischen individueller Freiheit und Gemeingut festzulegen, was man als Ansatz dessen betrachten könnte, was wir heutzutage Governancenennen. Die Scholastik des elften und zwölften Jahrhunderts begrenzte in der justitiageneralisdie Befugnisse der Obrigkeit, die in das Leben der Bürger nicht zu stark eingreifen solle und mündete in der Eigenverantwortung des Einzelnen. Aber die Scholastik zeigt auch auf, dass es vor allem um das „Bonum Comune“, also das Gemeinwohl geht, verstanden als Gegenbegriff zu bloßen Einzel-oder Gruppeninteressen.
Über den Autor