Chefökonom Gerhard Winzer
Geldpolitik in Schieflage
Aktualisiert am 05.03.2020 - 14:41 Uhr
Straßenszene in Karlsruhe: Die demografische Entwicklung beeinflusst das Zinsniveau. Foto: imago images/Carmele/tmc-fotografie.de
Notenbankern gehen langsam die Möglichkeiten aus, die Wirtschaft mit niedrigen Zinsen anzukurbeln. Gerhard Winzer, Chefökonom der Erste Asset Management, sagt, welche Alternativen es gibt.
Die Rendite eines Index globaler Staatsanleihen (Bloomberg / Barclays) beträgt im Zehn-Jahres-Durchschnitt 1,4 Prozent. Abzüglich der durchschnittlichen Inflation im OECD-Raum (1,9 Prozent pro Jahr) ergäbe das eine Schätzung für den realen neutralen Zinssatz auf globaler Ebene von -0,5 Prozent.
Der nominelle Zinssatz kann nicht mehr viel fallen. Und der reale Zinssatz fällt nur dann substanziell, wenn die Inflation deutlich steigt. Die expansiven Geldpolitiken alleine werden wahrscheinlich nicht ausreichen, um vom Risiko-Szenario einer säkularen Stagnation wegzukommen (anhaltend niedriges Wirtschaftswachstum, erhöhte Arbeitslosigkeit, niedrige Inflation, niedrige Zinsen, niedriges Wachstum...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Die Rendite eines Index globaler Staatsanleihen (Bloomberg / Barclays) beträgt im Zehn-Jahres-Durchschnitt 1,4 Prozent. Abzüglich der durchschnittlichen Inflation im OECD-Raum (1,9 Prozent pro Jahr) ergäbe das eine Schätzung für den realen neutralen Zinssatz auf globaler Ebene von -0,5 Prozent.
Der nominelle Zinssatz kann nicht mehr viel fallen. Und der reale Zinssatz fällt nur dann substanziell, wenn die Inflation deutlich steigt. Die expansiven Geldpolitiken alleine werden wahrscheinlich nicht ausreichen, um vom Risiko-Szenario einer säkularen Stagnation wegzukommen (anhaltend niedriges Wirtschaftswachstum, erhöhte Arbeitslosigkeit, niedrige Inflation, niedrige Zinsen, niedriges Wachstum der Unternehmensgewinne).
Niedrige Investitionen
Der Zinssatz ist der Preis für Kapital. Wenn der Zinssatz niedrig ist, gibt es auf globaler Ebene entweder zu viel Kapital oder zu wenig Investitionen.
6 Gründe für das deutliche gefallene Zinsniveau
- Demografie: Der bedeutendste Einflussfaktor ist die demografische Entwicklung. Das Wachstum der arbeitsfähigen Bevölkerung fällt seit vielen Jahren. Mittlerweile stagniert diese Bevölkerungsgruppe im OECD-Raum nur noch. Das bedeutet unter anderem eine geringere Notwendigkeit an Investitionen. Erst auf die lange Sicht könnte die Überalterung der Gesellschaft ein ansteigendes Zinsniveau bewirken, wenn die Pensionisten die Sparquote verringern.
- Digitalisierung: Diese benötigt weniger Investitionen im Vergleich zu früheren Innovationen und ist disruptiv (ersetzt bestehende Unternehmen und Strukturen).
- Produktivität: Ähnlich wie bei der demografischen Entwicklung bedeutet ein fallendes Produktivitätswachstum anfangs eine geringere Nachfrage (Konsum und Investitionen). Erst langfristig könnte das gefallene Produktivitätswachstum zu einem Anstieg der Inflation (und der Zinsen) führen.
- Investitionen: Die niedrige Investitionstätigkeit ist ein wesentlicher Grund für das niedrige Zinsniveau. Der stark steigende Bedarf von Investitionen in den Umweltbereich könnte tatsächlich ein „Game Changer“ sein.
- Ungleichheit: Die Einkommensunterschiede zwischen den unteren und oberen Einkommensgruppen haben zugenommen. Das hat den Spardruck in den unteren Einkommensgruppen erhöht. Auch hier könnte es langfristig betrachtet zu einer Trendumkehr kommen. Denn die zunehmende Ungleichheit ist einer der wichtigsten Gründe für die zahlreichen populistischen Bewegungen. In der Tendenz bedeuten sie eine inflationäre Politik (Anti-Globalisierung, höhere Budgetdefizite). Für die etablierten Regierungen steigt der Anreiz, die Budgetdefizite auszuweiten, um nicht abgewählt zu werden.
- Schulden: Die angestiegenen Staatsschulden haben im OECD-Raum bis vor kurzem für eine restriktive Fiskalpolitik gesorgt, sprich: das Wirtschaftswachstum gedämpft: Das um den Wirtschaftszyklus bereinigte Budgetdefizit ist im OECD-Raum von 2010 (-5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt) bis 2017 (-0,03 Prozent vom BIP) deutlich gesunken. Danach ist eine leichte Ausweitung der Defizite zwei Jahre in Folge auf 1,4 Prozent im Jahr 2019 erfolgt.
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