Chefökonom Gerhard Winzer
Wirtschaft nach Corona
Gerhard Winzer ist Chefökonom der österreichischen Fondsgesellschaft Erste Asset Management. Foto: Erste AM
Nach Corona sieht die Finanzwelt anders aus, da sind sich Experten sicher. Gerhard Winzer, Chefökonom bei der Fondsgesellschaft Erste Asset Management, über aktuelle Trends.
(Vorerst) niedrige Inflation: Die erste Phase der Corona-Krise übt einen Druck auf sinkende Inflationsraten aus (Disinflation). Für das nächste Jahr ist der Fokus darauf gerichtet, ob es den Unternehmen gelingen wird, etwaige höhere Kosten an die Konsumenten weiter zu geben. Das könnte zu einer einmaligen Verschiebung der Preise nach oben führen (überraschend höhere Inflationsraten im nächsten Jahr). Im Basisszenario bleiben die Inflationsraten auch im nächsten Jahr niedrig, weil die Arbeitslosenraten erhöht (negativer Output Gap) und das Lohnwachstum niedrig bleiben werden. Selbst wenn die Arbeitslosenrate auf ein sehr niedriges Niveau gesunken sein wird, ist...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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(Vorerst) niedrige Inflation: Die erste Phase der Corona-Krise übt einen Druck auf sinkende Inflationsraten aus (Disinflation). Für das nächste Jahr ist der Fokus darauf gerichtet, ob es den Unternehmen gelingen wird, etwaige höhere Kosten an die Konsumenten weiter zu geben. Das könnte zu einer einmaligen Verschiebung der Preise nach oben führen (überraschend höhere Inflationsraten im nächsten Jahr). Im Basisszenario bleiben die Inflationsraten auch im nächsten Jahr niedrig, weil die Arbeitslosenraten erhöht (negativer Output Gap) und das Lohnwachstum niedrig bleiben werden. Selbst wenn die Arbeitslosenrate auf ein sehr niedriges Niveau gesunken sein wird, ist nicht klar, ob die Inflation tatsächlich anzieht (flache Phillips Kurve). Auf lange Sicht könnte die sehr expansive Geldpolitik vor allem dann zu einem signifikanten Anstieg der Inflation beitragen, wenn sich das Hauptziel der Zentralbank von der Erreichung des Inflationsziels auf die Gewährleistung einer nachhaltigen Staatsschuldendynamik verschiebt. In diesem Fall würden die Leitzinsen nicht angehoben werden beziehungsweise würden die Staatsanleihen in der Zentralbankbilanz nicht reduziert werden, obwohl das Inflationsrisiko zunimmt. Nachsatz: Auf absehbare Zeit wird es diesen Zielkonflikt wahrscheinlich nicht geben.
Niedriges Produktivitätswachstum: Bereits vor der Corona-Krise war das Produktivitätswachstum niedrig. In den letzten fünf Jahren betrug es im Durchschnitt lediglich 0,8 Prozent im Jahresabstand. Vor allem die anhaltend niedrigen Unternehmensinvestitionen, aber auch der Rückbau der Globalisierung (dazu später), die wahrscheinliche Tendenz in Richtung mehr Versorgungssicherheit (weniger Just-In-Time), und möglicherweise auch die höhere Einflussnahme des Staates in den privaten Sektor sprechen zumindest gegen einen Anstieg des niedrigen Produktivitätswachstums.
Niedrige Investitions- und Ausgabenbereitschaft im privaten Sektor: Der Rückstau an Investitionen könnte anfangs zu einem überdurchschnittlichen Investitionswachstum führen. Danach wird die Investitionstätigkeit wahrscheinlich auf ein mediokeres Niveau fallen. Dafür sprechen die Einkommens- und Gewinnverluste, die ansteigende private Verschuldung und die erhöhte Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung. Zudem könnten die Unternehmenskonkurse ansteigen und wird es einige Jahre dauern, bis die Arbeitslosenraten das niedrige Niveau von 2019 erreicht haben werden. Damit einher gehend wird das Lohnwachstum niedrig bleiben.
Digitalisierung und Klimawandel: Der Bedarf eines stattlichen Konjunkturprogramms und die strukturellen Trends A) Digitalisierung sowie B) Klimawandel haben zumindest in der Europäischen Union zu Vorschlägen für einen Ausbau der staatlich geförderten Programme in diesen Bereichen geführt.
Integrative Schritte in der Europäischen Union: Das bekannte Muster, wonach unliebsame aber notwendige integrative Schritte in der EU erst in einer Krise stattfinden, ist auch während der Corona-Krise erkennbar. Für die EU, vor allem aber für die Eurozone, würde ein anhaltendes Auseinanderlaufen der volkswirtschaftlichen Kenngrößen (Wirtschaftswachstum, Inflation, Produktivität, Arbeitslosigkeit, Verschuldung) die Wahrscheinlichkeit für ein Auseinanderbrechen ansteigen lassen. Staatliche Investitionen sollten sich an der wirtschaftlichen Notwendigkeit, nicht an der Kreditwürdigkeit eines Landes orientieren. Der jüngste Vorschlag der Europäischen Kommission (Next Generation EU), wonach die EU Anleihen im Ausmaß von 750 Milliarden Euro begeben könnte und Euro 500 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen verwendet werden würden geht in die Richtung Transferunion.
Rivalität zwischen den USA und China: Die Rivalität zwischen der größten Volkswirtschaft der Welt und dem aufstrebenden China hat in den vergangenen Jahren an Intensität gewonnen. Auch in den vergangenen Monaten haben sich die Beziehungen verschlechtert (Hong Kong, Exportbeschränkungen für Halbleiter). Der Konflikt hat negative Implikationen auf mehreren Ebenen. Unter anderem dämpft die dadurch entstandene Unsicherheit die Unternehmensstimmung und damit die Investitionstätigkeit der Unternehmen.
Globalisierung im Rückbau: Nach der Großen Rezession 2008/2009 haben die globalen Exporte und Importe einen deutlich geringeren Wachstumspfad eingeschlagen. Mit dem Handelskonflikt zwischen den USA und China hat der Welthandel sogar eine fallende Tendenz eingeschlagen. Die Corona-Krise hat zu einem deutlichen Einbruch der Exporte und Importe geführt. Im Bereich Handel könnte die Corona-Krise zwei bleibende Auswirkungen haben. A) Die Tendenz zur staatlichen Unterstützung von strategischen Industrien beziehungsweise zur Abschottung könnte durch eine zunehmende protektionistische Grundhaltung verstärkt werden und damit schlussendlich auch nicht strategische Industrien betreffen. B) Der Ruf nach mehr Versorgungssicherheit betrifft generell die Reduktion der Just-In-Produktion und den Aufbau der Produktion von medizinischen Produkten in der Nähe des Endverbrauchs. Auch diese Entwicklung könnte überschießen und zu einem Rückgang des Welthandels in Sektoren außerhalb des Gesundheitsbereichs führen.
TINA: Die Triebfeder für Finanzinvestitionen wird in absehbarer Zeit abermals mit „There-Is-No-Alternative“ zu risikobehafteten Wertpapierklassen beschrieben werden können. Die Kombination von anhaltend sehr niedriger Verzinsung von Staatsanleihen, die Verbesserung der Wirtschaftsdaten und die sehr hohe von den Zentralbanken erzeugte Liquidität unterstützt Veranlagungsformen wie Aktien und Unternehmensanleihen.
Das allgemeine Risiko liegt in einer Asset Price Inflation. In diesem Szenario kommt es zu einer Abkopplung der Wertpapierpreise von den Wirtschaftsdaten. Denn obwohl es keine Alternative zu riskanten Veranlagungen zu geben scheint, ist mit diesem Ansatz natürlich noch nicht gesagt, welche Veranlagungen zu welchem Zeitpunkt am günstigsten sind.
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