Chefvolkswirt Johannes Mayr
Der Himmel wird uns nicht auf den Kopf fallen
Johannes Mayr ist Chefvolkswirt der Anlagegesellschaft Eyb & Wallwitz. Foto: Eyb & Wallwitz / Canva
Die Deutschen blicken besonders pessimistisch in die Zukunft. Gleichzeitig stehen die globalen Aktienmärkte auf Allzeithochs. Warum diese Divergenz und welche Lehren lassen sich daraus ziehen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Johannes Mayr, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Eyb & Wallwitz.
In politischen und gesellschaftlichen Debatten in Deutschland, den USA und anderen Industrieländern herrscht eine sehr polarisierte Atmosphäre vor. Das gilt für ein breites Spektrum an Themen, von der Covid-Pandemie über Migration bis zur Energiewende und Klimatransformation. Dabei hat sich ein zunehmend skeptisches Weltbild breit gemacht.
Die Kompromissbereitschaft hat abgenommen und der Glaube an die Politik, Institutionen und den Staat schwindet. Dies zeigt sich in Umfragen wie dem Eurobarometer oder dem Edelman-Trust-Barometer, das zuletzt ein weiter gestiegenes hohes Misstrauen der Deutschen, vor allem gegenüber der Politik aufzeigt.1
Auch in Wirtschaftsfragen werden die Deutschen pessimistischer: 75 Prozent rechnen nicht damit, dass sich die Wirtschaft dieses Jahr verbessern wird,2 obwohl die Inflation sinkt und die Arbeitsmarktdaten bisher gut sind. Laut den volkswirtschaftlichen Daten befinden sich Konjunktur und Wachstumspotenzial tatsächlich in einer Schwächephase. Das Ausmaß der Skepsis passt aber nicht so recht zur wirtschaftlichen Realität und den Prognosen.
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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In politischen und gesellschaftlichen Debatten in Deutschland, den USA und anderen Industrieländern herrscht eine sehr polarisierte Atmosphäre vor. Das gilt für ein breites Spektrum an Themen, von der Covid-Pandemie über Migration bis zur Energiewende und Klimatransformation. Dabei hat sich ein zunehmend skeptisches Weltbild breit gemacht.
Die Kompromissbereitschaft hat abgenommen und der Glaube an die Politik, Institutionen und den Staat schwindet. Dies zeigt sich in Umfragen wie dem Eurobarometer oder dem Edelman-Trust-Barometer, das zuletzt ein weiter gestiegenes hohes Misstrauen der Deutschen, vor allem gegenüber der Politik aufzeigt.1
Auch in Wirtschaftsfragen werden die Deutschen pessimistischer: 75 Prozent rechnen nicht damit, dass sich die Wirtschaft dieses Jahr verbessern wird,2 obwohl die Inflation sinkt und die Arbeitsmarktdaten bisher gut sind. Laut den volkswirtschaftlichen Daten befinden sich Konjunktur und Wachstumspotenzial tatsächlich in einer Schwächephase. Das Ausmaß der Skepsis passt aber nicht so recht zur wirtschaftlichen Realität und den Prognosen.
Noch massiver ist diese Kluft in den USA. Hier gab es zuletzt durchwegs positive Wirtschaftszahlen. Die Inflation sinkt, Löhne steigen (auch real) und die Wirtschaft wächst – dennoch bewerten viele Amerikaner die wirtschaftliche Lage deutlich schlechter. Sie glauben beispielsweise, dass die Inflation weiterhin steigt, obwohl sie eigentlich sinkt.3 Besonders auffällig ist aber, dass die Bewertung der (Wirtschafts-)Politik in beiden Ländern enorm negativ ausfällt.
Grafik: USA und Deutschland im Vergleich
Der Markt ist optimistisch
Am Finanzmarkt und unter Investoren dominiert dagegen ein deutlich optimistischerer Blick in die Zukunft. Die Entwicklung von gesellschaftlicher Stimmung und Börsenkursen scheint geradezu diametral. Die globalen Aktienindizes befinden sich nahe oder auf Höchstständen und das Finanzvermögen ist deutlich gestiegen. Der Anleihenmarkt bietet wieder auskömmliche Realrenditen und eine Stoßdämpferwirkung gegen Rücksetzer am Aktienmarkt.
Der Optimismus am Finanzmarkt hat verschiedene Gründe. Mit Blick auf die kommenden Monate wird positiv gewertet, dass die realen Einkommen nach inflationsbedingten Kaufkraftverluste in den Jahren 2021 und 2022 seit dem letzten Jahr wieder steigen und die Arbeitsmarktlage trotz der Zinswende robust bleibt, wobei sogar eher ein Mangel an Arbeitskräften erwartet wird.
Und ein zu erwartendes nominales Wirtschaftswachstum von etwa 3 Prozent in Europa und 5 Prozent in den USA bietet vielen Unternehmen ein gutes Umfeld, um auskömmliche Margen durchzuholen. Darüber hinaus treibt die Aussicht auf Produktivitäts- und Effizienzschübe durch den Einsatz von KI die Gewinnerwartungen und Bewertungen und damit die Kurse. Auch wenn die Erwartungen in einigen Bereichen – von KI bis zu den Zinssenkungen – kurzfristig überzogen sein dürften, scheinen die wirtschaftlichen Perspektiven global insgesamt zumindest besser als noch vor der Covid-Pandemie.
Gefühlte und tatsächliche Realitäten
Mit verantwortlich für die Divergenz zwischen Wahrnehmung, wirtschaftlicher Realität und Stimmung am Finanzmarkt dürfte die polarisierte Debatte selbst sein, gerade auch bei Wirtschaftsthemen. Im Superwahljahr 2024 geht es im öffentlichen Diskurs häufig um gefühlte Wahrheiten. Der politische Wahlkampf findet zunehmend in einer Welt der (falschen) Versprechungen, Hoffnungen und Ängste statt: Versprechen auf einfache Lösungen komplexer und akuter Probleme, Ängste vor dem sozialen und wirtschaftlichen Abstieg, vor Kriminalität, vor Krankheiten und Vereinsamung etc.
Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien, die nahelegen, dass gerade Ängste erheblichen Einfluss auf unsere tatsächliche Wahrnehmung haben.4 Wenig überraschend ist vor diesem Hintergrund, dass die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage und der Perspektiven ungewöhnlich stark von der politischen Orientierung abhängt.
In den USA etwa hat sich der Unterschied im Verbrauchervertrauen zwischen republikanischen und demokratischen Wählern seit 2016 mehr als verdoppelt. Eine Rückkehr zu einer weniger polarisierten Form des politischen Diskurses ist also auch mit Blick auf eine realistische Einschätzung von wirtschaftlichen Chancen und Risiken wichtig.
Vollkasko-Mentalität
Ein weiteres Problem gerade mit Blick auf Deutschland ist die gesunkene Bereitschaft zur Übernahme von wirtschaftlicher Eigenverantwortung. Stattdessen dominieren Forderungen nach umfangreicher staatlicher Absicherung gegen ökonomische Probleme und Risiken. Diese Mentalität spiegelt sich gerade auch im lautstarken Lobbyismus der „alten Wirtschaft" wider, insbesondere in energieintensiven Industrien, der Landwirtschaft und dem Transportwesen.
Diese Entwicklung ist wohl auch eine Folge der Finanzkrise und der Pandemie, in der die öffentliche Hand in vielen Ländern die monetären Folgen für die Privatwirtschaft (über-) kompensiert hat. Auch die Transformationsprozesse werden oft mit hohen Subventionen begleitet, an die sich Wirtschaft und Gesellschaft gewöhnt haben.
Staatliche Garantien und Subventionen haben zwar Arbeitsplätze erhalten, bremsen jedoch langfristig die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft, da sie die Lebensspanne von Unternehmen mit unrentablen Geschäftsmodellen künstlich verlängern. Der Wettbewerb in der freien Marktwirtschaft wird ausgebremst. Es wäre wichtig, mehr Eigenverantwortung und unternehmerisches Denken zu fördern, sowohl auf individueller Ebene als auch auf Ebene der Unternehmen. Statt den Strukturwandel durch Subventionen zu hemmen, sollte er zugelassen und aktiv gestaltet werden.
Der Staat muss nachhaltiger wirtschaften
Auch Haushalte sollten stärker in die Eigenverantwortung genommen werden. Transferzahlungen und Subventionen sollten konsequent an Bedürftigkeit ausgerichtet und begrenzt werden, um eine nachhaltige Finanzpolitik zu gewährleisten. Im Staatshaushalt ist es ratsam, den Staatskonsum zu begrenzen und Staatsinvestitionen vor allem in Infrastruktur und Bildung auszubauen.
Das kann mit und ohne Schuldenbremse gelingen, oder eben scheitern. Auch wenn das Abschaffen von Subventionen und anderen konsumtiven Ausgaben politisch schwerfällt, ist es ein nötiger Schritt, um die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft langfristig zu stärken.
Den Finanzmarkt als Vorbild nehmen
Der Finanzmarkt setzt klar auf Zukunfts- und Wachstumstrends und zeichnet sich durch eine aktive Selektion von Chancen und Risiken aus. Auch Passivität wird als eine Entscheidung betrachtet, häufig eine eher schlechte. Es herrscht Optimismus vor, auch hinsichtlich des Erfolgs von Transformationsprozessen.
Insbesondere im digitalen Bereich wird der Strukturwandel positiv gesehen, begleitet und finanziert bei gleichzeitiger (finanzieller) Risikoabwägung. Die Vorbereitung oder Absicherung gegen einen „Weltuntergang“ erweist sich an den Märkten ökonomisch nicht als sinnvoll. Es wäre wünschenswert, wenn sich Politik und Gesellschaft dies ein wenig zum Vorbild nehmen würden.
1 Edelmann Trust Barometer 2024 – German Report, https://www.edelman.de/sites/g/files/aatuss401/files/2024-01/2024%20Edelman%20Trust%20Barometer_Germany%20Report_0.pdf
2 NDR, https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Studie-Deutsche-blicken-skeptisch-auf-Jahr-2024,zukunftsfragen102.html, Stand: 27.12.2023
3 Financial Times, https://www.ft.com/content/9c7931aa-4973-475e-9841-d7ebd54b0f47, Stand: 1.12.2023
4 Emory University. "How fear can skew spatial perception." ScienceDaily. ScienceDaily, 22 October 2012.
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