Chefvolkswirt Thorsten Polleit
Europa in Schieflage
Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Es gibt gute Gründe, die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank als Verstoß gegen das Verbot der Staatsfinanzierung einzustufen. Dennoch: Ohne Hilfe des Geldinstituts droht dem Euro das Aus. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel, erklärt die volkswirtschaftlichen Hintergründe.
Ein zentraler Baustein in der Euro-Architektur ist das Verbot für die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Euro-Zentralbanken, die öffentlichen Haushalte zu finanzieren. Er ist folgender Einsicht zu verdanken: Politiker und Regierungen, die wiedergewählt werden wollen, finanzieren die Wohltaten, die sie ihrer Wählerschaft zuschanzen wollen, nur allzu gern mit neuen Schulden. Denn die Kreditaufnahme stößt meist auf weniger politischen Widerstand als das Anziehen der Steuerschraube.
In Demokratien, in sogenannten „Wohlfahrtsstaaten“, ist der Anreiz, die Staatsverschuldung in die Höhe zu treiben, besonders stark ausgeprägt. Doch ist ein Staat erst einmal hoch verschuldet, und...
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Ein zentraler Baustein in der Euro-Architektur ist das Verbot für die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Euro-Zentralbanken, die öffentlichen Haushalte zu finanzieren. Er ist folgender Einsicht zu verdanken: Politiker und Regierungen, die wiedergewählt werden wollen, finanzieren die Wohltaten, die sie ihrer Wählerschaft zuschanzen wollen, nur allzu gern mit neuen Schulden. Denn die Kreditaufnahme stößt meist auf weniger politischen Widerstand als das Anziehen der Steuerschraube.
In Demokratien, in sogenannten „Wohlfahrtsstaaten“, ist der Anreiz, die Staatsverschuldung in die Höhe zu treiben, besonders stark ausgeprägt. Doch ist ein Staat erst einmal hoch verschuldet, und droht ihm gar die Zahlungsunfähigkeit, ist absehbar, dass die Zentralbank angewiesen wird, die elektronische Notenpresse anzuwerfen, um die offenen Rechnungen mit neu geschaffenem Geld zu bezahlen. Mit anderen Worten: Auf die Überschuldung folgt die Inflationspolitik.
Um also zu verhindern, dass es überhaupt so weit kommen kann, haben die Euro-Konstrukteure zwei Schutzwälle errichtet: Zum einen wurde 1997 ein Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) beschlossen. Er sollte die Haushaltsdefizite der Staaten im Zaume halten:
Die Obergrenze des Schuldenstands wurde mit 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) festgeschrieben, das Haushaltsdefizit auf maximal 3 Prozent des BIP begrenzt. Doch leider: Seit 1999 lag die Schuldenquote des Euroraums nicht in einem Jahr bei oder unter 60 Prozent. Und im März 2020 wurde der SWP aufgrund der Coronavirus-Krise außer Kraft gesetzt.
Zum anderen hat man den nationalen Euro-Zentralbanken wie auch der Europäischen Zentralbank (EZB) per Gesetz untersagt, die Haushalte der Euro-Staaten (direkt) zu finanzieren. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union liest sich dieses Verbot wie folgt:
Art. 123 AEUV (ex-Artikel 101 EGV)
(1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im Folgenden als "nationale Zentralbanken" bezeichnet) für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken.
(2) Die Bestimmungen des Absatzes 1 gelten nicht für Kreditinstitute in öffentlichem Eigentum; diese werden von der jeweiligen nationalen Zentralbank und der Europäischen Zentralbank, was die Bereitstellung von Zentralbankgeld betrifft, wie private Kreditinstitute behandelt.
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