Chefvolkswirt Thorsten Polleit
Europa in Schieflage
Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Es gibt gute Gründe, die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank als Verstoß gegen das Verbot der Staatsfinanzierung einzustufen. Dennoch: Ohne Hilfe des Geldinstituts droht dem Euro das Aus. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel, erklärt die volkswirtschaftlichen Hintergründe.
Die Ankäufe wurden also nicht entsprechend dem Kapitalschlüssel der nationalen Zentralbanken getätigt. Ein Kriterium, dessen Erfüllung das Bundesverfassungsgericht genannt hat, damit kein Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung vorliegt, ist also verletzt.
An dieser Stelle ist zudem zu bedenken, dass die Tilgungsbeträge aus fälligen Anleihen reinvestiert werden. Die EZB und die nationalen Euro-Zentralbanken werden daher bis auf Weiteres aktive Kreditgeber bleiben. Dass die Anleihen jemals wieder zurückgezahlt oder in den Markt verkauft werden und damit aus den Bilanzen der Zentralbanken verschwinden, ist aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich:
Das...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Die Ankäufe wurden also nicht entsprechend dem Kapitalschlüssel der nationalen Zentralbanken getätigt. Ein Kriterium, dessen Erfüllung das Bundesverfassungsgericht genannt hat, damit kein Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung vorliegt, ist also verletzt.
An dieser Stelle ist zudem zu bedenken, dass die Tilgungsbeträge aus fälligen Anleihen reinvestiert werden. Die EZB und die nationalen Euro-Zentralbanken werden daher bis auf Weiteres aktive Kreditgeber bleiben. Dass die Anleihen jemals wieder zurückgezahlt oder in den Markt verkauft werden und damit aus den Bilanzen der Zentralbanken verschwinden, ist aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinlich:
Das würde zur Vernichtung der Geldmenge führen, die zuvor neu geschaffen wurde; und dadurch würden wirtschaftspolitisch unerwünschte Folgen in Gang gesetzt wie Rezession und Preisdeflation.
Das PEPP ist im Kern nichts anderes als ein noch gewaltigerer Anleiheaufkauf in einer Reihe gewaltiger Anleiheaufkaufprogramme: Mit ihm sollen nicht nur noch mehr Staatsanleihen monetisiert werden, sondern nun auch Unternehmensschulden. Auch das PEPP wird bereits, wie seine Vorgänger, über die Zeitachse immer größer gemacht: Es wurde im März 2020 mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro verkündet.
Bereits am 4. Juni 2020 wurde es um weitere 600 Milliarden Euro auf insgesamt 1,35 Billionen Euro aufgestockt. Das PEPP ist ein weiterer Schritt, die geldpolitische Hoheit über den Sekundärmarkt der Euro-Staatsanleihen zu vervollkommnen, so dass die Zinsen auf dem Sekundärmarkt mehr denn je die Zinsen auf dem Primärmarkt bestimmen.
Aus ökonomischer Sicht gibt es überzeugende Gründe, die EZB und die nationalen Euro-Zentralbanken zu bezichtigen, mit ihren Anleiheaufkaufprogrammen – vor allem auch mit dem PEPP – gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung, wie es Artikel 123 AEUV ausspricht, zu verstoßen: Die Geldpolitik diktiert die Zinsen im Sekundärmarkt und damit auch die Zinsen im Primärmarkt.
Wenn sich die Rechtsprechung darauf einlässt, die von den Zentralbankräten selbsterfundenen Programm-Kriterien als Prüfstein zu akzeptieren, ob eine monetäre Staatsfinanzierung stattfindet oder nicht, dann muss man den Verdacht haben, sie verliert Sinn und Zweck des Artikels 123 AEUV aus dem Auge.
Über den Autor