Chefvolkswirt Thorsten Polleit
Europa in Schieflage
Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Es gibt gute Gründe, die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank als Verstoß gegen das Verbot der Staatsfinanzierung einzustufen. Dennoch: Ohne Hilfe des Geldinstituts droht dem Euro das Aus. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel, erklärt die volkswirtschaftlichen Hintergründe.
Zweifellos ist eine (nicht nur für Richter) heikle Situation entstanden, die jedoch alles andere als überraschend ist: Der Euro repräsentiert ungedecktes Geld (wie übrigens auch der US-Dollar, japanische Yen und chinesischer Renminbi).
Er wird durch Kreditvergabe im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Nichts geschaffen, und vor allem die Staaten haben kräftig Gebrauch gemacht von den Verschuldungsmöglichkeiten, die der ungedeckte Euro ihnen bietet. Mittlerweile ist eine Situation entstanden, in der die Finanzierung vieler Euro-Staaten ohne weitreichende Markteingriffe der Zentralbanken nicht mehr möglich ist.
Die Lage auf den Finanzmärkten ist nur deswegen „entspannt“, weil Investoren...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Zweifellos ist eine (nicht nur für Richter) heikle Situation entstanden, die jedoch alles andere als überraschend ist: Der Euro repräsentiert ungedecktes Geld (wie übrigens auch der US-Dollar, japanische Yen und chinesischer Renminbi).
Er wird durch Kreditvergabe im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Nichts geschaffen, und vor allem die Staaten haben kräftig Gebrauch gemacht von den Verschuldungsmöglichkeiten, die der ungedeckte Euro ihnen bietet. Mittlerweile ist eine Situation entstanden, in der die Finanzierung vieler Euro-Staaten ohne weitreichende Markteingriffe der Zentralbanken nicht mehr möglich ist.
Die Lage auf den Finanzmärkten ist nur deswegen „entspannt“, weil Investoren damit rechnen, dass die Zentralbanken Gewehr bei Fuß stehen, um bei Problemen einzuspringen: Sollte eine Verkaufswelle durch die Anleihemärkte fegen, werden die Zentralbanken schon auf der Käuferseite stehen und einen Kurseinbruch der Euro-Staatsanleihen und damit steigende Zinsen abwehren – so denken viele Investoren, und zwar weil die Zentralbankräte so denken. Verbieten die Richter der EZB und den nationalen Euro-Zentralbanken, die Staatsschulden zu monetisieren, wäre es vorbei mit der Ruhe auf den Märkten und vermutlich auch mit dem Euro.
Denn Regierende und Regierte machen keine Anstalten, aufgelaufene Staatsschulden zurückzuzahlen. Und in einer „Notlage“ lebt man erst recht ganz ungeniert auf Pump. Der politisch diktierte Lockdown als Folge der Coronavirus-Ausbreitung ist dafür ein gutes Beispiel: Um dem vermeintlich größten Übel – der Rezession – zu entkommen, wird ein vermeintlich kleineres Übel (noch größere Verschuldung) akzeptiert.
Und wenn irgendwann der Schuldenkollaps droht (ein großes Übel), ist absehbar, dass man im Ausweiten der Geldmenge das vergleichsweise kleinere Übel erblicken wird. Die unbequeme Wahrheit lautet: Ohne die monetäre Staatsfinanzierung durch die EZB und die nationalen Euro-Zentralbanken droht der „Euro-Systemkollaps“.
Anders gesagt: Der nominale Erhalt des Euro und der wirtschaftlichen und politischen Strukturen, die er hervorgebracht hat, wird ohne Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung nicht möglich sein. Das muss nicht nur Zweifel an der künftigen Kaufkraft des Euro wecken. Denn wenn das Ziel, die Staaten um jeden Preis flüssig zu halten, alle anderen Ziele beginnt zu überlagern, dann werden auch die Grundlagen der freiheitlichen Gesellschaft und Wirtschaft aufgehoben.
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