Chefvolkswirt Thorsten Polleit
Schrecken der Wirtschaft
Aktualisiert am 06.03.2020 - 16:32 Uhr
Briefmarke mit Reichskanzler Otto von Bismarck: Am 4. Dezember 1871 wurde die Mark offizielle Währung des Deutschen Kaiserreichs. Foto: imago images / Schöning
Reichsmark, D-Mark, Euro: Die Währungsgeschichte der Deutschen ist bewegt. Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel, gibt einen Überblick über Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert und erklärt, warum er das staatliche Geldmonopol für problematisch hält.
Es gelingt nicht, das öffentliche Defizit zu beenden. Die Lage dramatisiert sich, als Reichsaußenminister Walther Rathenau (1867 – 1922) am 24. Juni 1922 in Berlin ermordet wird. Schlagartig schwindet das internationale Vertrauen in die Weimarer Republik. Der Außenwert der Papiermark halbiert sich fast von Juni auf Juli 1922.
Als jedoch Ende des Jahres Deutschland beschuldigt wird, mit seinen Reparationen im Rückstand zu sein, beginnt die Lage zu eskalieren. Im Januar 1923 besetzen französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Reichskanzler Wilhelm Kuno ruft zum passiven Widerstand auf. Er verspricht, die...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Es gelingt nicht, das öffentliche Defizit zu beenden. Die Lage dramatisiert sich, als Reichsaußenminister Walther Rathenau (1867 – 1922) am 24. Juni 1922 in Berlin ermordet wird. Schlagartig schwindet das internationale Vertrauen in die Weimarer Republik. Der Außenwert der Papiermark halbiert sich fast von Juni auf Juli 1922.
Als jedoch Ende des Jahres Deutschland beschuldigt wird, mit seinen Reparationen im Rückstand zu sein, beginnt die Lage zu eskalieren. Im Januar 1923 besetzen französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Reichskanzler Wilhelm Kuno ruft zum passiven Widerstand auf. Er verspricht, die Löhne der Arbeiter, Angestellten und Beamten mit neu gedrucktem Geld zu bezahlen.
Die Reichsbank gibt immer mehr Banknoten aus, um die Finanzierungswünsche der Reichsregierung zu erfüllen. Bald gibt es kein Halten mehr. Die Geldmenge und als Folge die Güterpreise steigen mit immer größeren Raten an. Aus hoher Inflation wird galoppierende Inflation, dann Hyperinflation, die ihren Hochpunkt im Herbst 1923 erreicht.
Ein Albtraum für die breite Bevölkerung. Ersparnisse und Existenzen werden zerstört, die Gesellschaft wird wirtschaftlich und moralisch zerrüttet. Man fragt sich: Warum hat man es so weit kommen lassen? Wie konnte es zu dieser Hyperinflation, die von Deutschen für Deutsche angerichtet wurde, kommen?
Die Antwort lautet: Durch die Politik der hohen Inflation ließ sich die Arbeitslosigkeit niedrig halten und so wurde die Weimarer Demokratie vor dem Offenbarungseid geschützt. Im Jahr 1919 betrug die Arbeitslosenquote durchschnittlich 3,7 Prozent, 1920 3,8 Prozent, 1921 2,8 Prozent und 1922 sogar nur 1,5 Prozent.
Doch dann: Im Sommer 1923, als die Inflation zur Hyperinflation wird, kollabiert die Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit steigt von 3,5 Prozent im Juli auf 9,9 Prozent im September, auf 23,4 Prozent im November und auf 28,2 Prozent im Dezember.
Deutschland ist jetzt am Rande des Bürgerkriegs. Auf den Straßen wird blutig gekämpft. Und es wird nicht nur um die Macht in Berlin gekämpft. Auch um Sezession wird gekämpft. Kurt Tucholsky (1890–1935) beschreibt die Situation im Rheinland in einem Beitrag von 1929 für „Die Weltbühne“ wie folgt:
Lawinenartig wuchs inzwischen die separatistische Bewegung, proportional der Inflation. (…) Zu Frankreich hinüber wollte keiner, bei Preußen bleiben wenige. Was sie wollten und wozu sie damals auch ein Recht hatten, war Befreiung aus der Hölle der Inflation und Schaffung einer eignen Währung, einer eignen autonomen Republik.
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