Chefvolkswirt Thorsten Polleit
Wie Zinsmanipulation die Wirtschaft ruiniert
Aktualisiert am 05.03.2020 - 15:23 Uhr
Christine Lagarde ist seit 1. November EZB-Präsidentin.
Degussa-Chefvolkswirt Thorsten Polleit erklärt, wie Zentralbanken Zinsen manipulieren und dadurch große Wirtschaftskrisen heraufbeschwören.
Das per Kredit neu geschaffene Geld erreicht die Volkswirtschaft, indem es in den Kreditmarkt eingespeist wird. Das erhöht das Kreditangebot künstlich, was wiederum den Marktzins künstlich absenkt. Der Marktzins fällt niedriger aus, als er ausfallen würde, wenn das Kreditangebot nicht künstlich ausgeweitet worden wäre. Der Marktzins gerät aus dem Gleichgewicht. Er wird unter den gesamtwirtschaftlichen Urzins gedrückt. Und das hat negative Folgen. Es entmutigt das Sparen, es ermutigt den Konsum, und gleichzeitig setzt es neue Investitionen in Gang, für deren Realisation keine Ersparnisse verfügbar sind.
Die Volkswirtschaft beginnt also, über ihre Verhältnisse zu leben. Überkonsum und Fehlinvestitionen...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Das per Kredit neu geschaffene Geld erreicht die Volkswirtschaft, indem es in den Kreditmarkt eingespeist wird. Das erhöht das Kreditangebot künstlich, was wiederum den Marktzins künstlich absenkt. Der Marktzins fällt niedriger aus, als er ausfallen würde, wenn das Kreditangebot nicht künstlich ausgeweitet worden wäre. Der Marktzins gerät aus dem Gleichgewicht. Er wird unter den gesamtwirtschaftlichen Urzins gedrückt. Und das hat negative Folgen. Es entmutigt das Sparen, es ermutigt den Konsum, und gleichzeitig setzt es neue Investitionen in Gang, für deren Realisation keine Ersparnisse verfügbar sind.
Die Volkswirtschaft beginnt also, über ihre Verhältnisse zu leben. Überkonsum und Fehlinvestitionen stellen sich ein. Zunächst führt das einen künstlichen Aufschwung (Boom) herbei, der früher oder später in einen Abschwung (Bust) umschlägt. Es entstehen also Spekulationsblasen, die nachfolgend platzen und krisenhafte Erschütterungen auslösen.
Die Zentralbankpolitiken sind zweifelsohne die Kernursache für die grossen Krisen – wie zum Beispiel die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, aber auch weiter zurückliegende Krisen wie etwa das Platzen des „New Economy Booms“ 2000/2001 und der Grossen Rezession 1929.
Ausserdem steigt die Verschuldung der Privaten und der Staaten an und die Kaufkraft des Geldes schwindet. Der Staat, der mit seiner Zentralbank eine nahezu unerschöpfliche Finanzierungsquelle hat, wird immer grösser und mächtiger, wird zum tiefen Staat – zum „Deep State“ – und zerstört immer mehr bürgerliche und unternehmerische Freiheiten.
Umwertung aller Werte
Das künstliche Absenken des Zinses ist alles andere als ein Kavaliersdelikt. Die Folgen der Zinsmanipulation durch die Zentralbanken sind vielmehr überaus weitreichend. Die Zinsmanipulation greift unmittelbar in das Werten und Handeln der Menschen ein und bringt es durcheinander; es führt die Menschen in die Irre, durchkreuzt ihre Konsum-, Spar- und Investitionsentscheidungen. Die Zentralbanken manipulieren mit ihrer Politik die Zeitpräferenz der Menschen in die Höhe. Sie „machen“ das Hier und Heute für die Menschen noch wichtiger gegenüber dem Morgen. Es kommt zu einer – wie es Friedrich Nietzsche (1844–1900) formulierte – „Umwertung aller Werte“.
Nicht nur die Wirtschaftsstruktur, sondern eben auch das Werte- und Moralgerüst der Volkswirtschaft wird in Mitleidenschaft gezogen. Dazu einige Beispiele. Das künstliche Herabdrücken des Marktzinses ermutigt zu einem Leben auf Pump. Die Tugend der Sparsamkeit gerät aus der Mode, „Dauerschuldnerei“ wird „in“ und moralisch akzeptabel. Das Erreichen von Kurzfristzielen wird für die Menschen wichtiger als das Erreichen von längerfristigen Vorhaben. Beispielsweise nimmt die Leistungsbereitschaft ab, weil Freizeit zusehends höher wertgeschätzt wird als „Arbeitsleid“.
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