Thorsten Polleit
Warum die Soziale Marktwirtschaft eine Utopie ist
Aktualisiert am 25.10.2018 - 11:50 Uhr
Thorsten Polleit ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth und Chefökonom von Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Niemand hat das Recht, einem anderen sein Eigentum wegzunehmen, findet Thorsten Polleit. Er fordert: Jeder Mensch muss das Recht haben, in Ruhe gelassen zu werden, wenn er es wünscht – insbesondere vom Staat.
Achtung: „sozial“ist ein Wieselwort
Doch auch wenn der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ meist mit Ludwig Erhard verbunden wird – Erhard hat ihn weder geprägt, noch hat er ihn geschätzt, noch für politische Zwecke verwendet.
Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ stammt vom deutschen Ökonomen Alfred Müller-Armack (1901 – 1978). Auf Seite 59 seines 1947 veröffentlichten Buches„Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ findet sich erstmalig der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“.2
Müller-Armack macht sich in seinem Buch stark für ein Wirtschaftsmodell, das ein en Mittelweg zwischen Sozialismus und Kapitalismus beschreiten soll. (Ich komme auf genau diesen wichtigen...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Achtung: „sozial“ist ein Wieselwort
Doch auch wenn der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ meist mit Ludwig Erhard verbunden wird – Erhard hat ihn weder geprägt, noch hat er ihn geschätzt, noch für politische Zwecke verwendet.
Der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ stammt vom deutschen Ökonomen Alfred Müller-Armack (1901 – 1978). Auf Seite 59 seines 1947 veröffentlichten Buches„Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ findet sich erstmalig der Begriff „Soziale Marktwirtschaft“.2
Müller-Armack macht sich in seinem Buch stark für ein Wirtschaftsmodell, das ein en Mittelweg zwischen Sozialismus und Kapitalismus beschreiten soll. (Ich komme auf genau diesen wichtigen Aspekt gleich noch zu sprechen). Mit der Überschrift „Soziale Marktwirtschaft“ findet Müller-Armack, wonach er gesucht hat.
Die Wortschöpfung „Soziale Marktwirtschaft“ ist werbewirksam: Befürworter, aber auch Skeptiker und selbst Feinde der freien Marktwirtschaft lassen sich hinter ihr versammeln. Das Wörtchen„sozial“ macht‘s möglich! Doch Friedrich August von Hayek äußert Bedenken: Für ihn ist das Wort „sozial“ „wahrscheinlich das verwirrendste Wort in unserem gesamten moralischen und politischen Wortschatz“ – Hayek bezeichnet es als „Wieselwort“.3
Was ist mit „Wieselwort“ gemeint? Wie ein Wiesel imstande ist, ein Ei auszusaugen, ohne eine äußere Spur seiner Tat zu hinterlassen, kann ein Wieselwort jedem Wort, dem esvorangestellt wird, Inhalt und Sinn nehmen, ohne dass der Zuhörer es merkt. Denken wir über den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ nach. Bewusst oder unbewusst kommen wir zum Schluss: Wenn es eine „Soziale Marktwirtschaft“ gibt, dann muss es auch – und zwar denknotwendigerweise4 – eine „Unsoziale Marktwirtschaft“ geben.
Und in unserem Kopf spielt sich noch etwas ab: Wenn es eine Soziale Marktwirtschaft (und daher auch eine Unsoziale Marktwirtschaft) gibt, ist die Marktwirtschaft nicht per se gut, also „sozial“ – denn im Sprachgebrauch ist das Attribut „sozial“ positiv aufgeladen.
Nein, so denken Sie: Die Marktwirtschaft kann offenbar auch schlecht sein – und zwar „unsozial“. Und folglich darf man die Marktwirtschaft nicht sich selbst überlassen. Man muss sie vielmehr verantwortungsvoll lenken und steuern, damit sie gut, also sozial sein kann. Damit ist die Idee der freien Marktwirtschaft klammheimlich diskreditiert – und ohne dass auch nur ein überzeugendes Sachargument an geführt worden wäre!
Doch was ist „sozial“? Eine berechtigte Frage – zumal im heutigen Sprachgebrauch das Wort „sozial“ allgegenwärtig ist. Zum Beispiel kommt es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 14 Mal vor – als Attribut (wie sozialer Rechtstaat) und auch in Wortverbindungen (wie Sozial versicherung, Sozialgerichtsbarkeit oder Bundes sozial gericht). Zudem taucht es in vielen anderen häufig gebräuchlichen Worten wie „Soziale Gerechtigkeit“, „sozialer Friede“, „soziales Jahr“, „Sozialismus“ und „Nationalsozialismus“ auf.
Das Wort „sozial“ ist allerdings inhaltlich unbestimmt, nicht abgegrenzt und damit unklar. Und daher kann es jeder nach eigenem Gutdünken mit Inhalt füllen. Möglicherweise gibt es einen Mindestkonsens darüber, was „sozial“ ist. Er könnte darin bestehen, sich nicht nur um das eigene Wohl zu kümmern, sondern sich auch für das Wohl seiner Mitmenschen einzusetzen.
Doch die Vorstellungen verschiedener Menschen darüber, was sozial in concreto bedeutet (und was nicht), sind meist so disparat, dass sich eine Definition von „sozial“, der alle zustimmen, schlichtweg nicht finden lässt.
Für die einen ist es sozial, wenn der Staat die Einkommensunterschiede einebnet, wenn er eine progressive Einkommensbesteuerung, eine Vermögens- und Erbschaftssteuer erhebt; wenn er für Schulpflicht und Kindertagesstätten sorgt; Mindestlöhne und Mietpreisbremsendiktiert; eine Politik der offenen Grenzen verfolgt; versucht, das Weltklima zu steuern; oder das Eigentum abschafft. Andere wiederum sind weitaus bescheidener: Für sie ist „sozial“ die Abwesenheit von Zwang und Aggression; aus ihrer Sicht ist es sozial, wenn sichergestellt ist, dass Transaktionen zwischen Menschen nur auf freiwilliger Basis (und damit stets zu beiderseitigem Nutzen) stattfinden.
2 Siehe Müller-Armack, A. (1947), Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft, Hamburg 1947.
3 Siehe Hayek, F. A. v. (1988), The Fatal Conceit. The Errors of Socialism, Routledge, London, S. 114 – 117; eigene Übersetzung.
4 Es handelt sich hier um ein logisches Korrelat. Siehe hierzu zum Beispiel Jevon, W. S. (1888), Elementary Lessons in Logic: Deductive and Inductive, MacMillan and Co., London, New York, S. 25 f.
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