Thorsten Polleit
Warum die Soziale Marktwirtschaft eine Utopie ist
Aktualisiert am 25.10.2018 - 11:50 Uhr
Thorsten Polleit ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth und Chefökonom von Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Niemand hat das Recht, einem anderen sein Eigentum wegzunehmen, findet Thorsten Polleit. Er fordert: Jeder Mensch muss das Recht haben, in Ruhe gelassen zu werden, wenn er es wünscht – insbesondere vom Staat.
Kritik des Interventionismus
Der Ordoliberalismus will ein Mittelding, einen „dritten Weg“ – eine Wirtschaftsordnung, die sich zwischen Sozialismus und Kapitalismus geschickt hindurchlaviert.9
Ludwig von Mises hatte allerdings bereits im Jahr 1929 in seiner Schrift „Kritik des Interventionismus“ aufgezeigt: Es gibt keinen solchen Mittelweg, keinen „Dritten Weg“.10
Es ist unmöglich, so Mises, eine Wirtschaftsordnung zu schaffen, die die guten und wünschenswerten Eigenschaften des Sozialismus und des Kapitalismus nutzt und ihre schlechten und unerwünschten Eigenschaften aussondert.
Diesen irrtümlichen Mittelweg – der später Ordoliberalismus genannt...
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Kritik des Interventionismus
Der Ordoliberalismus will ein Mittelding, einen „dritten Weg“ – eine Wirtschaftsordnung, die sich zwischen Sozialismus und Kapitalismus geschickt hindurchlaviert.9
Ludwig von Mises hatte allerdings bereits im Jahr 1929 in seiner Schrift „Kritik des Interventionismus“ aufgezeigt: Es gibt keinen solchen Mittelweg, keinen „Dritten Weg“.10
Es ist unmöglich, so Mises, eine Wirtschaftsordnung zu schaffen, die die guten und wünschenswerten Eigenschaften des Sozialismus und des Kapitalismus nutzt und ihre schlechten und unerwünschten Eigenschaften aussondert.
Diesen irrtümlichen Mittelweg – der später Ordoliberalismus genannt und dann als Soziale Marktwirtschaft populär wurde – nannte Mises Interventionismus. Der Interventionismus belässt formal den Bürgern und Unternehmern ihr Eigentum. Um bestimmte Ziele zu erreichen, schränkt der Staat jedoch die Verfügungsrechte der Eigentümer über ihr Eigentum ein – durch Besteuerung, Weisungen, Vorschriften, Regulierung, Gebote und Verbote; er greift fallweise in das Gesellschafts- und Wirtschaftsleben.
Der Interventionismus, so zeigt Mises, erweist sich jedoch als sinn- und zweckwidrig.11 Er kann das Ziel, den Wohlstand aller zu verbessern, nicht erreichen; und es ist noch nicht einmal gesichert, dass der Interventionismus diejenigen, die er begünstigen will, auch begünstigen kann.
Und noch etwas zeigte Mises: Der Interventionismus setzt eine Interventions-Spirale in Gang, die Alexander Rüstow (1885 – 1963) Eindrücklich wie folgt beschreibt:
„Der Staat macht bestimmte Eingriffe in der Absicht, sich auf sie zu beschränken. Aber diese Eingriffe führen zu unvorhersehbaren Folgen, die ihrerseits neue, ursprünglich nicht beabsichtigte Eingriffe nötig machen. Mit diesen neuen Eingriffen geht es wieder ebenso, usw. usf. Und wenn die Grenze der Staatseingriffe nicht auf eine einsichtige und haltbare Weise von vornherein mindestens im Prinzip festliegt, wenn die privaten Wirtschafter irgendeines bisher noch freigelassenen Wirtschaftssektors mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass der Staat über kurz oder lang auch in ihre Sphäre in nicht vorausrechenbarer Weise eingreift, so hört die Möglichkeit langfristiger Kalkulation und solider Geschäftsführung auf. Es finde geradezu eine Regression auf jene vorkapitalistische Epoche statt, wo, mangels sicherer Vorausberechenbarkeit, „Krieg, Handel und Piraterie“ noch nicht zu trennen waren.“12
Wird am Interventionismus unbeirrt festgehalten, so führt das in eine Befehls- und Lenkungswirtschaft, in der der Staat letztlich alles bestimmt: Löhne, Preise, Zinsen; wer was wann wie und wo produziert; und wer wann wo und wie lange arbeitet.
Eine solche Lenkungswirtschaft gab es beispielsweise in der Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Die Nationalsozialisten beließen den Unternehmern grundsätzlich ihr Sondereigentum an den Produktionsmitteln. Gleichzeitig wurden jedoch die Unternehmer vom Staat angewiesen, die Produktion auf die Wünsche des Regimes auszurichten. Das funktionierte zunächst, weil die Nationalsozialisten den Unternehmern die Möglichkeit eröffneten, mit ihrer Produktion Gewinne zu erzielen.
Die nationalsozialistische Lenkungswirtschaft führte zu Unwirtschaftlichkeit, Fehlallokationen und Übernutzung der Produktionskapazitäten, laugteden Kapitalstock aus, die Versorgungslage der Bevölkerung verschlechterte sich.13
9 Im Sozialismus ist das Eigentum an den Produktionsmitteln verstaatlicht, im Kapitalismus befindet es sich in privaten Händen.
10 Siehe Mises, L. v. (2013), Kritik des Interventionismus, H. Akston Verlags GmbH, München.
11 Lässt man die „Unschuldsvermutung“ fallen, so lässt sich der Interventionismus auch als Vehikel kritisieren, um, quasi durch die Hintertür, die freie in eine unfreie Gesellschaft zu überführen. Siehe hierzu Polleit, T. (2014), Die Naiven, die Achtlosen und die Kaltblütigen, Ludwig von Mises Institut Deutschland, 2. April; siehe auch Hayek, F. A. v. (1960), Die Verfassung der Freiheit, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen, S. 327 f.
12 Rüstow, A. (1949), Zwischen Kapitalismus und Kommunismus, Godesberg, S. 25f.
13 Siehe hierzu zum Beispiel Thamer, H.-U. (2006), Siedler Deutsche Geschichte. Verführung und Gewalt Deutschland 1933 – 1945, VI. Industriegesellschaft unterm Hakenkreuz, Random House GmbH, München, S. 467 – 493; auch Ambrosius, G. (2000), Von Kriegswirtschaft zu Kriegswirtschaft, insb. 326 – 350, in: Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick, M. North (Hrsg.), Verlag C.H. Beck, München.
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