Finanzexperte Jan Viebig
Welche strukturellen Probleme China derzeit zu schaffen machen

Finanzexperte Jan Viebig
Der Trick: Die chinesische Regierung schließt nun einfach 62 Millionen Vollzeit-Studenten bei der Berechnung der Jugendarbeitslosigkeit prinzipiell aus. Die neue Berechnung widerspricht den Konventionen der International Labour Organization (ILO). Das Beispiel zeigt: Statistische Daten in China sind nicht vertrauenswürdig für Ökonomen, die Rückschlüsse auf die volkswirtschaftliche Entwicklung z...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Der Trick: Die chinesische Regierung schließt nun einfach 62 Millionen Vollzeit-Studenten bei der Berechnung der Jugendarbeitslosigkeit prinzipiell aus. Die neue Berechnung widerspricht den Konventionen der International Labour Organization (ILO). Das Beispiel zeigt: Statistische Daten in China sind nicht vertrauenswürdig für Ökonomen, die Rückschlüsse auf die volkswirtschaftliche Entwicklung ziehen möchten, und für Investoren, die in China ihr Vermögen anlegen wollen.
Dies geschieht alles vor dem Hintergrund der offenkundigen strukturellen Probleme der chinesischen Wirtschaft. Der Motor der chinesischen Expansion war über viele Jahre die Investitionstätigkeit, die mit Hilfe freizügig verteilter Kredite mit staatlicher Unterstützung finanziert wurde.
Anfang 2021 wies der prominente US-Ökonom Kenneth Rogoff mit einem Co-Autoren auf Anzeichen einer Blasenbildung am chinesischen Immobilienmarkt hin, der rund 30 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung ausmacht.
Chinesische Immobilienentwickler wie Evergrande und Country Garden sind hochverschuldet. Die Verschuldung von Evergrande übersteigt 300 Milliarden US-Dollar. Infolge der Krise am Immobilienmarkt ist die Bautätigkeit in China gegenüber dem Höchststand im Jahr 2020 jüngst massiv eingebrochen (siehe nachfolgende Abbildung). Investoren sorgen sich, dass sich die Schieflage im Immobiliensektor auf andere Sektoren – insbesondere den Bankensektor, der großzügig Kredite verteilt hat – auswirken könnte.
Die chinesischen Unternehmen sind traditionell von Effizienzproblemen geplagt, gerade auch die Staatsunternehmen. Die Kapitalrentabilität ist schwach. Die forcierte Unterordnung der privaten Wirtschaft unter staatliche Ziele ist Gift für den Unternehmenssektor und untergräbt das Vertrauen der Anleger.
Unternehmen schaffen Werte für Ihre Aktionäre, wenn die Eigenkapitalrenditen höher sind als die Eigenkapitalkosten und die Umsätze stetig wachsen. In China liegen die Eigenkapitalrenditen des HSCEI bei rund 10 Prozent und damit ungefähr auf der Höhe der Eigenkapitalkosten. Die Folge: Trotz des kräftigen volkswirtschaftlichen Wachstums der Vergangenheit haben chinesische Unternehmen wenig Wert für Anleger geschaffen, da ihre Kapitaleffizienz zu niedrig war.
Chinesische Aktien handeln derzeit – gemessen am HSCEI – ungefähr zum siebenfachen der Gewinne. Sie sind damit auf Basis des Kurs-Gewinn-Verhältnisses niedrig bewertet. Die Regierung bereitet in diesen Tagen ein Maßnahmenpaket zur Stabilisierung des chinesischen Aktienmarktes vor. Neben dem Verbot von Leerverkäufen sollen über staatliche Pensionsfonds und Staatsunternehmen erhebliche Mittel – die Rede ist von 278 Milliarden US-Dollar – mobilisiert werden, um chinesische Aktien zu kaufen.
Zusätzlich sollen wohl 43 Milliarden US-Dollar über staatseigene Investmentfirmen in den Markt geschleust werden. Skepsis bleibt angebracht, aber vollständig verabschieden sollte man sich vom chinesischen Aktienmarkt nicht. Wenn die chinesische Regierung irgendwann beschließt, die Wirtschaft wieder stärker zu öffnen und Unternehmen weniger mit politischen Zielvorgaben zu gängeln, ergeben sich Chancen. Davon ist derzeit leider (noch) nichts zu spüren.
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