Finanzexperte Jan Viebig
Welche strukturellen Probleme China derzeit zu schaffen machen
![Jan Viebig ist Investmentchef der Privatbank Oddo BHF.](/uploads/images/teaser/big/Jan-Viebig-ist-Investmentchef-der-Privatbank-Oddo-BHF-7.jpg)
Finanzexperte Jan Viebig
Der dramatische Fall des Hang Seng China Enterprises Index (HSCEI) von über 12.000 Punkten im Februar 2021 auf 5.002 Punkte am 22. Januar 2024 zeigt, dass der chinesische Aktienmarkt eine Vertrauenskrise erlebt.
Marktteilnehmer zweifeln verstärkt an den Wachstumszahlen, die die chinesische Regierung ausweist. Im Jahr 2023 wuchs die Volkswirtschaft nach offiziellen Zahlen um 5,2 Prozent. Die Skepsis gegenüber diesen Zahlen ist jedoch groß. So schätzt das US-Research-Haus Rhodium Group, dass das reale Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr möglicherweise nur um etwa 1,5 Prozent gestiegen sein könnte.
Als Präsident Xi Jinping bei der Abschlusszeremonie des 20. Parteikongresses der KP im Oktober 2022 seinen Vorgänger im Amt, Hu Jintao, aus dem Saal führen ließ, hat er ein deutliches Zeichen gesetzt: Widerspruch ist unerwünscht.
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Der dramatische Fall des Hang Seng China Enterprises Index (HSCEI) von über 12.000 Punkten im Februar 2021 auf 5.002 Punkte am 22. Januar 2024 zeigt, dass der chinesische Aktienmarkt eine Vertrauenskrise erlebt.
Marktteilnehmer zweifeln verstärkt an den Wachstumszahlen, die die chinesische Regierung ausweist. Im Jahr 2023 wuchs die Volkswirtschaft nach offiziellen Zahlen um 5,2 Prozent. Die Skepsis gegenüber diesen Zahlen ist jedoch groß. So schätzt das US-Research-Haus Rhodium Group, dass das reale Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr möglicherweise nur um etwa 1,5 Prozent gestiegen sein könnte.
Als Präsident Xi Jinping bei der Abschlusszeremonie des 20. Parteikongresses der KP im Oktober 2022 seinen Vorgänger im Amt, Hu Jintao, aus dem Saal führen ließ, hat er ein deutliches Zeichen gesetzt: Widerspruch ist unerwünscht.
Die Zeit, in der sich China dem Westen langsam zu öffnen schien, ist vorbei. Die staatlichen Eingriffe in das Wirtschaftsleben tragen zur Verunsicherung von Verbrauchern und Investoren bei. Dies spüren insbesondere IT-Unternehmen, die zu den bevorzugten Investments internationaler Anleger in China zählten.
Der Mitgründer von Alibaba, Jack Ma, hat mit einer regierungskritischen Rede im Oktober 2020 den Zorn der staatlichen Stellen auf sich gezogen. Der Gegenschlag kam in Form des Verbots des Börsengangs der Ant Group, einer Tochtergesellschaft von Alibaba.
Dies weitete sich zu einer breiten Disziplinierungsmaßnahme gegen Technologieunternehmen, insbesondere Alibaba und Tencent aus. Jenseits von Strafzahlungen wurden die Unternehmen gezwungen, staatlich ernannte Direktoren in die Geschäftsleitung aufzunehmen und „Goldene Aktien“ von Tochtergesellschaften im Rahmen von Joint Ventures an Staatsunternehmen auszugeben.
Missliebige Daten und politische Opponenten werden zunehmend vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Letztes Beispiel: China hat im Juni 2023 die Veröffentlichung der Daten zur Jugendarbeitslosigkeit eingestellt. Der kommunistischen Regierung missfiel, dass die Arbeitslosenquote der 16- bis 24-Jährigen auf das politisch unerwünschte Niveau von 21,3 Prozent gestiegen war.
Während Politiker in westlichen Demokratien mit missliebigen Daten leben müssen, entschloss sich die Regierung in China um Xi Jinping, die Zeitreihe einfach nicht mehr zu publizieren. Nun hat die nationale Statistikbehörde (NBS) für diese Altersklasse mit Stand Dezember eine neu berechnete Arbeitslosenquote für 16- bis 24-Jährige bekanntgegeben. Wenig erstaunlich: Die neu berechnete Jugendarbeitslosigkeit wird dem Wunsch der Regierenden entsprechend mit 14,9 Prozent nun niedriger ausgewiesen.
Der Trick: Die chinesische Regierung schließt nun einfach 62 Millionen Vollzeit-Studenten bei der Berechnung der Jugendarbeitslosigkeit prinzipiell aus. Die neue Berechnung widerspricht den Konventionen der International Labour Organization (ILO). Das Beispiel zeigt: Statistische Daten in China sind nicht vertrauenswürdig für Ökonomen, die Rückschlüsse auf die volkswirtschaftliche Entwicklung ziehen möchten, und für Investoren, die in China ihr Vermögen anlegen wollen.
Dies geschieht alles vor dem Hintergrund der offenkundigen strukturellen Probleme der chinesischen Wirtschaft. Der Motor der chinesischen Expansion war über viele Jahre die Investitionstätigkeit, die mit Hilfe freizügig verteilter Kredite mit staatlicher Unterstützung finanziert wurde.
Anfang 2021 wies der prominente US-Ökonom Kenneth Rogoff mit einem Co-Autoren auf Anzeichen einer Blasenbildung am chinesischen Immobilienmarkt hin, der rund 30 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung ausmacht.
Chinesische Immobilienentwickler wie Evergrande und Country Garden sind hochverschuldet. Die Verschuldung von Evergrande übersteigt 300 Milliarden US-Dollar. Infolge der Krise am Immobilienmarkt ist die Bautätigkeit in China gegenüber dem Höchststand im Jahr 2020 jüngst massiv eingebrochen (siehe nachfolgende Abbildung). Investoren sorgen sich, dass sich die Schieflage im Immobiliensektor auf andere Sektoren – insbesondere den Bankensektor, der großzügig Kredite verteilt hat – auswirken könnte.
Die chinesischen Unternehmen sind traditionell von Effizienzproblemen geplagt, gerade auch die Staatsunternehmen. Die Kapitalrentabilität ist schwach. Die forcierte Unterordnung der privaten Wirtschaft unter staatliche Ziele ist Gift für den Unternehmenssektor und untergräbt das Vertrauen der Anleger.
Unternehmen schaffen Werte für Ihre Aktionäre, wenn die Eigenkapitalrenditen höher sind als die Eigenkapitalkosten und die Umsätze stetig wachsen. In China liegen die Eigenkapitalrenditen des HSCEI bei rund 10 Prozent und damit ungefähr auf der Höhe der Eigenkapitalkosten. Die Folge: Trotz des kräftigen volkswirtschaftlichen Wachstums der Vergangenheit haben chinesische Unternehmen wenig Wert für Anleger geschaffen, da ihre Kapitaleffizienz zu niedrig war.
Chinesische Aktien handeln derzeit – gemessen am HSCEI – ungefähr zum siebenfachen der Gewinne. Sie sind damit auf Basis des Kurs-Gewinn-Verhältnisses niedrig bewertet. Die Regierung bereitet in diesen Tagen ein Maßnahmenpaket zur Stabilisierung des chinesischen Aktienmarktes vor. Neben dem Verbot von Leerverkäufen sollen über staatliche Pensionsfonds und Staatsunternehmen erhebliche Mittel – die Rede ist von 278 Milliarden US-Dollar – mobilisiert werden, um chinesische Aktien zu kaufen.
Zusätzlich sollen wohl 43 Milliarden US-Dollar über staatseigene Investmentfirmen in den Markt geschleust werden. Skepsis bleibt angebracht, aber vollständig verabschieden sollte man sich vom chinesischen Aktienmarkt nicht. Wenn die chinesische Regierung irgendwann beschließt, die Wirtschaft wieder stärker zu öffnen und Unternehmen weniger mit politischen Zielvorgaben zu gängeln, ergeben sich Chancen. Davon ist derzeit leider (noch) nichts zu spüren.
Über den Autor
Neue Artikel der Denker der Wirtschaft