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Aktualisiert am 07.07.2023 - 10:41 Uhrin Karl PilnyLesedauer: 9 Minuten

Pilnys Asia Insights Im Indopazifik entscheidet sich die neue Weltordnung des 21. Jahrhunderts

Treffen des russischen und chinesischen Verteidigungsministers
Treffen des russischen und chinesischen Verteidigungsministers. | Foto: Imago Images / ITAR-TASS

Aufgrund der verstärkten militärischen Zusammenarbeit zwischen Moskau und China warnten die versammelten Politiker auf dem G7-Treffen vor jedem Versuch einer gewaltsamen Änderung der internationalen Ordnung und bekräftigten die Forderung an Russland, seine Truppen unverzüglich und bedingungslos aus der Ukraine abzuziehen. Doch Putin denkt nicht daran, sondern sucht mehr denn je den Schulterschluss mit der Dritten Welt und China. So geht mittlerweile ein knappes Drittel der russischen Exporte nach China und füllt seine Staatskasse. Zugleich liefert China inzwischen mehr und mehr Dual-Use-Güter nach Russland und versilbert damit den zunehmenden geoökonomischen Einfluss auf Russland.

Doch irgendwann in der Zukunft wird Putin - wenn er denn noch im Amt ist - die Rechnung in Form von gerade kaum vorstellbaren Zugeständnissen vorgelegt bekommen, wie zum Beispiel chinesische Marine- und Militärbasen in der russischen Arktis oder Zentralasien sowie neue Erdgas-Pipelines.

Auch eine Revision der chinesisch-russischen Staatsgrenze, die Moskau und Peking eigentlich vor knapp zwei Jahrzehnten völkerrechtlich abschließend geregelt hatten könnte schon bald ein Thema werden. Indizien dafür gibt es: So schreibt die neu erlassene Vorschrift zur „Darstellung kartografischer Inhalte“ des Ministeriums für natürliche Ressourcen der Volksrepublik China vor künftig bei topografischen Bezeichnungen im Fernen Osten Russlands neben den russischen Namen in Klammern auch die historischen chinesischen Namen aufzuführen.

Daher muss Wladiwostok auf chinesischen Landkarten nun wieder Haishenwai heißen, die Insel Sachalin Kuyedao, und das Stanowoi-Gebirge Äußeres Xing’an-Gebirge. Eine Art Wiedergutmachung für die Demütigung als Mitte des 19. Jahrhunderts das Zarenreich den China abgenommenen Vorposten am Pazifik auf den Namen „Wladiwostok“ („Beherrsche den Osten“) taufte.

Historische Konflikte zwischen China und Russland nicht vergessen

Man sollte sich also nicht von der aktuellen „grenzenlosen Freundschaft“ täuschen lassen. Denn in der knapp vierhundertjährigen Nachbarschaft gab es entlang der gemeinsamen Grenze mit einem, bis lange in die Neuzeit, unklaren Verlauf vom Tianshan-Gebirge in Zentralasien bis zum Japanischen Meer häufige Spannungen. Im Jahr 1689 legten beide Reiche im Vertrag von Nertschinsk – Chinas ältestem Abkommen mit einer europäischen Macht – zum ersten Mal den Grenzverlauf fest. Während das Qing-Imperium seine nördlichen Territorien damals noch behaupten konnte, drangen Mitte des 19. Jahrhunderts Kosakentruppen in Territorien nördlich des Amur und östlich des Ussuri vor.

Das Zarenreich nutzte damit die durch Aufstände und die Attacken europäischer Mächte in den Opiumkriegen geschwächte Position Chinas und besiegelte im Vertrag von Aigun (1858) und in der Pekinger Konvention (1860) diese Annexionen. Erst die verheerende Niederlage im Krieg gegen Japan 1904/ 1905 unterband einen weiteren russischen Vormarsch in die chinesischen Grenzprovinzen.

Nach dem Untergang beider Monarchien 1911 und 1917 blieben die Positionen unverändert. Erst als die ideologischen Spannungen zwischen den beiden kommunistischen Staaten Anfang der Sechziger eskalierten, drohte Mao Zedong mit Blick auf sowjetische Gebiete östlich des Baikalsees: „Unsere Rechnung für diese Gebiete kommt noch!“

 

Schon in den Zwanzigern hatte Sun Yat-sen, der Vater der Republik China, den Verlust dieser weitläufigen Gebiete Zentralasiens beklagt. Die verbale Zuspitzung provozierte immer öfter Grenzscharmützel, die schließlich 1969 in einem offenen Grenzkrieg eskalierten. Die Tode von Leonid Breschnew und Mao Zedong ebneteb den Weg für eine zaghafte Annäherung, ein Treffen zwischen Michail Gorbatschow und Deng Xiaoping in Peking im Mai 1989 brachte schließlich den Durchbruch.

Zwei Jahre später billigte China den Verlauf der Staatsgrenze auf Grundlage historischer Resolutionen und verzichtete damit faktisch auf die Position, dass die vor 1917 geschlossenen Abkommen „ungleiche Verträge“ gewesen seien. Damit hatten erstmalig beide Seiten „das Fehlen von Gebietsansprüchen“ festgehalten.

Doch wurde damit der Konflikt endgültig beigelegt oder „doch nur eingefroren“? China fordert zwar aktuell keine Revision seiner Grenzen zu Russland. Doch vergessen sind die Ansprüche keinesfalls, nur die Methoden der Durchsetzung sind subtil, etwa durch Ministerialverordnungen. Jedenfalls hat Peking Russlands historische Demütigungen nicht vergeben. Und auch in Russland sind – trotz aller Freundschaftsbeteuerungen – die historischen Konflikte nicht vergessen.

Viele Bewohner Sibiriens erinnern sich noch an die Grenzscharmützel von 1969 und befürchten, dass China die Grenzverträge nur als eine vorläufige Regelung betrachtet. Auch der demografische Druck Chinas auf die nur dünn besiedelten, aber enorm rohstoffreichen Ostgebiete Russlands steigt stetig.

 

Indopazifik wird zum Hotspot der „grenzenlosen Freundschaft“

In den chinesischen Social Media wächst die Zahl der Beiträge über die Territorialverluste Chinas über den russischen Raub von anderthalb Millionen Quadratkilometern Staatsgebiet seit Mitte des 19. Jahrhunderts einschließlich der heutigen russischen Fernostregion, der Mongolei und Teilen des heutigen Kirgistans und Kasachstan. Dass diese Chats in Zeiten „grenzenloser Freundschaft“ zwischen Peking und Moskau unter den Argusaugen der chinesischen Überwachungsbehörden veröffentlicht werden können, ist wie die patriotische Ministerialverordnung über die Gestaltung chinesischer Karten äußerst aufschlussreich.

Der Indopazifik wird also immer mehr zum Hotspot zwischen Russland, China und den USA. So hält Russland immer mehr unangekündigte Manöver im Pazifik ab, zum Beispiel nahe der zwischen Moskau und Tokio umstrittenen Kurilen-Inselgruppe. Diese Übungen werden auch als Unterstützungsgeste an China gewertet. An den jüngsten Manövern haben mehr als 25.000 Soldaten, 167 Schiffe, 12 Unterseeboote sowie 89 Flugzeuge und Hubschrauber teilgenommen.

Vor allem die USA sehen sich durch die militärische Macht Pekings im Pazifik herausgefordert, denn die USA sind vor allem eine pazifische Macht und unterhalten überall im Pazifik eigene Stützpunkte. Zudem obliegt den USA die Verantwortung seine Verbündeten Japan, Südkorea und Taiwan zu schützen.

Noch nie seit der Niederlage Japans 1945 wurde die Vorherrschaft Amerikas über den Pazifik derart infrage gestellt wie durch China. Für die USA ist das eine echte Zeitenwende. Schleichender als die in Europa mit dem Ukraine-Krieg, ihre Folgen sind aber mindestens genauso gravierend.

Etwa die aus europäischer Sicht befremdend, geradezu hysterisch wirkende Fixierung der USA auf einen unmittelbar bevorstehenden Krieg um Taiwan, das von enormer strategischer Bedeutung ist. Die vergleichsweise schmale und flache Straße von Taiwan wirkt wie ein Stöpsel im Pazifik und reguliert den Zugang. Der Verlust an China wäre für die USA eine Art zweites Pearl Harbour.

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Chinas Macht zu Wasser steigt stetig

China hat mittlerweile die größte Marine der Welt und zum ersten Mal seit 80 Jahren kann sich Amerika nicht mehr darauf verlassen, in jedem Seekrieg die Oberhand zu behalten. Damit ist die Sicherheit der amerikanischen Westküste existentiell bedroht. Europa hingegen ist keine pazifische, sondern eine eurasische Macht, was Präsident Macron zum allgemeinen Ärger in der EU auch aussprach.

Die größten Gefahren liegen in Russland und in Afrika, nicht zuletzt dem Mittleren Osten. Probleme, die jetzt schon die europäische Einigkeit ans Limit führen, wie könnte man sich da noch mit einer Stimme um den Pazifik kümmern. China ist vor allem ein Markt, der mittlerweile auch als Rivale wahrgenommen wird. In einem Showdown zwischen China und den USA müsste sich Europa eher früher als später entscheiden, auf wessen Seite es steht.

China, das weiterhin „nur“ ein Drittel der Rüstungsausgaben der USA hat - 225 Milliarden im Vergleich zu 842 Milliarden US-Dollar - ist damit viel früher und weitergekommen als erwartet. Auf den Philippinen üben westliche Soldaten im „Vorhof“ und trainieren zeitgleich den Luftkampf mit indischen Piloten über Westbengalen. Russland versetzt seine Pazifikflotte in Alarmbereitschaft und China demonstriert eine Umzingelung Taiwans, Nordkorea testet beinahe im Wochenrhythmus Langstreckenraketen, Japaner, Australier und Amerikaner stimmen sich auf das Großmanöver Malabar bei Sydney ein. Taiwan rüstet offen mithilfe der USA auf und kauft bis zu 400 Harpoon-Raketen von den USA.

China fordert sogar von Deutschland Hilfe bei „ Wiedervereinigung “mit Taiwan und hat in den vergangenen drei Jahren seinen militärischen Druck auf Taiwan verstärkt.

Kurz gesagt, Kriegsspiele in Asien sind an der Tagesordnung, die Rüstungsspirale dreht sich im Indopazifik immer schneller. Im Jahr 2000 standen die Waffenkäufe in Asien-Pazifik für 17,5 Prozent aller Verteidigungsausgaben, 2021 waren es schon 28 Prozent.

US-Haushalt für Militärausgaben aufgestockt

Die USA wollen unbedingt die stärkste militärische Macht in der Region bleiben, in der es 300.000 amerikanische Soldaten stationiert hat. Der für 2024 vorgeschlagene US-Militärhaushalt in Höhe von 842 Milliarden US-Dollar beinhaltet eine vierzigprozentige Erhöhung der Mittel für die Initiative zur Abschreckung im pazifischen Raum auf ein Allzeithoch von 9,1 Milliarden US-Dollar.

Wie gesagt sind im Vergleich mit den US-Ausgaben Chinas absolute Rüstungsausgaben deutlich kleiner. Doch selbst der offiziell genannte Verteidigungsetat wächst von einer immer höheren Basis immer rascher. In diesem Jahr werden es umgerechnet 225 Milliarden Dollar sein, 7,2 Prozent mehr als 2022 und das achte Jahr in Folge mit einem Anstieg. Allein Chinas jährlicher Zuwachs hat die Größe von Taiwan gesamtem Verteidigungsbudget. 2020 legten die Ausgaben um 6,6 Prozent zu, 2021 um 6,8 Prozent, und 2022 stiegen sie um 7,1 Prozent.

Die Hauptbedrohungen sieht China im zunehmenden Engagement der USA im Indopazifik, mit Indien im Himalaya und der neu beschlossenen Aufrüstung in Japan.

Selbst entwickelte Kampfflugzeuge J-20 und J-16, nach dem dritten Flugzeugträger Fujian noch weitere Flugzeugträger und Hyperschallwaffen stehen im Fokus. Zudem baut China sein Atomwaffenarsenal von derzeit 400 Sprengköpfen zügig aus, bis 2035 auf rund 1500. Drohnen und der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Verteidigung bergen großes Potential.

Daher unterstützen die USA immer mehr Länder der Region mit immer größeren Lieferungen auch moderner Waffen. Zum Teil ersetzen sie damit russische Lieferanten etwa in Vietnam oder Indien, die aufgrund des Ukrainekrieges und eines drohenden Mangels an Ersatzteilen unsichere Lieferanten geworden sind. Für die US-Hersteller bietet die Aufrüstung des indopazifischen Raums ungeahnte Möglichkeiten.

Doch auch Australien, Indien und Japan fühlen sich von China bedroht, weswegen die Japaner die größte Kehrtwende seit Ende des Zweiten Weltkrieges vollzogen haben. Der Rüstungshaushalt wurde schlagartig um 26 Prozent erhöht, Ländern wie Bangladesch, Fidschi, den Philippinen oder Malaysia soll durch das Programm Overseas Security Assistance künftig mit Finanzzuschüssen für den Kauf von Si­cherheitstechnik geholfen werden. Auch die Einschränkungen des Waffenexports sollen abgeschafft werden. Während China seinen Rüstungsbedarf vornehmlich aus eigener Produktion deckt, sind seine Rivalen auf das Ausland angewiesen.

 

Indien - größter Waffenimporteur der Welt

Deswegen bleibt Indien der größte Waffenkäufer der Welt und hält 11 Prozent am globalen Waffenimport. Das nun bevölkerungsreichste Land der Welt bestellte in den fünf Jahren bis 2021 vor allem in Russland (45 Prozent der Einfuhr), auch wenn dessen Anteil stark sinkt, und Frankreich (29) mit der Lieferung von 62 Kampfflugzeugen und vier U-Booten sowie Amerika (11) und Israel (8). Insgesamt investiert Indien in diesem Jahr 70 Milliarden Dollar in seine Verteidigung, knapp 13 Prozent seines gesamten Haushalts. Das sind 13 Prozent mehr als im Vorjahr.

Rund 17 Milliarden sollen in Käufe neuer Waffen fließen, doch ein wachsender Anteil geht auch in Forschung und Entwicklung, um die heimische Industrie weiter aufzubauen. Damit wird Indien zunehmend selbst zum Exporteur. Ministerpräsident Modi hat das Ziel verkündet, bereits im Jahr 2025 Waffen im Wert von 5 Milliarden Dollar ins Ausland verkaufen zu wollen. Dass Indien nicht nur mit dem Westen kooperiert, sondern auch Manöver wie Zapad 2021 und Vostok 2022 mit den Russen und Chinesen abhält, löst allerdings Unbehagen aus, da dabei Wissen zum potenziellen Gegner des Westens abfließt.

Die sich steigernde Furcht vor China lässt Indien zunehmend als unverzichtbaren Partner für den Westen erscheinen, dessen eigene Agenda und Herausforderungen gleichwohl nicht zu unterschätzen sind.

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