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Fondsmanager Stefan Albrecht „China wird oft missverstanden“

Qilin-Chef Stefan Albrecht
Qilin-Chef Stefan Albrecht: Der Fondsmanager hat selbst mehrere Jahre lang in China gelebt und gearbeitet. | Foto: Fotomontage Jessica Hunold/Canva

DAS INVESTMENT: Die chinesische Staatsführung unternimmt immer wieder radikale Schritte, die viele internationale Anleger abschrecken. Beispiel Corona-Pandemie. Man versucht mit extremen Lockdowns und Schließen des Hafens von Shanghai, das Virus einzudämmen. Wieso so rigoros?

Stefan Albrecht: China hat schon auf die erste Corona-Welle 2020 mit drastischen Maßnahmen reagiert, ganze Städte wurden geschlossen. Allerdings hat man die Fallzahlen auch schnell in den Griff bekommen. Das hat die Staatsführung auch kommuniziert: Wir handeln schnell und sind damit dem Westen überlegen. In der Omikron-Welle dieses Jahr wurde die Wirtschaft über mehrere Monate zum Stillstand gebracht, die Kosten waren sehr hoch. Es gab sogar murrende Stimmen, und das ist in China selten. Xi Jinping möchte sich allerdings Ende des Jahres auch zum dritten Mal zum Präsidenten wählen lassen und wollte so kurz vor der Wiederwahl möglicherweise keinen vergangenen Fehler eingestehen. Jedenfalls ist die Ansteckungsrate auch diesmal schnell gesunken. Den Erfolg beim Bekämpfen der Pandemie erkennt man in China im Nachhinein allgemein an.

Sind solche scharfen Maßnahmen wirklich gerechtfertigt?

Albrecht: Hätte man weniger rigoros gehandelt, wäre die Pandemie möglicherweise weiter entgleist, Chinas Städte sind sehr dicht besiedelt. Der Schaden für die Wirtschaft wäre möglicherweise höher gewesen. Aber diese Rechnung aufzumachen, ist nicht trivial.

Man hat den Eindruck, dass Einschnitte in China oft sehr plötzlich geschehen. Die chinesische Staatsführung hat viele ausländische Investoren in den vergangenen Monaten mit drastischer Regulierung vergrault. Tech-Firmen wurden zerschlagen, Börsengänge abgeblasen und Geldstrafen verhängt.

Albrecht: Die Schritte sind aus chinesischer Sicht nachvollziehbar. Und sie kommen auch nicht plötzlich. Man hat zum Beispiel einen Missstand in der Nachhilfeindustrie erkannt: Schüler haben keine Freizeit mehr, sondern stehen durch die vielen privaten Kurse permanent unter Stress. Deshalb wurde diskutiert, entschieden und kommuniziert, dass Nachhilfe kein profitmaximierendes Geschäft mehr sein sollte. In Berlin diskutiert man zum Beispiel, ob Wohnungsbaugesellschaften enteignet werden sollten – eine sehr einschneidende Maßnahme. Man sollte alle Seiten mit den gleichen Maßstäben messen. Aus China kam mittlerweile auch ein offizielles Statement zur Regulierungsflut: Man sehe die Folgen der Regulierungen, sie sollen nun zu einem Ende kommen.

Quelle Fondsdaten: FWW 2024

Wie kommen die radikalen Maßnahmen im Land selbst an?

Albrecht: Eine wichtige politische Priorität dort ist soziale Stabilität. In diesem Sinne lässt sich auch die Regulierungskampagne verstehen. Sie hatte „Common prosperity“ zum Ziel – Wohlstand für alle. Ich glaube, wenn es in China eine freie Wahl gäbe, würde die kommunistische Partei die Mehrheit bekommen. Das Land hat sich in allen möglichen Dimensionen in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt: Vielen geht es besser, die Menschen verdienen mehr Geld, man ist zunehmend stolz, Chinese zu sein. Man wird zur größten Wirtschaftsnation der Welt.

Man hört auch von unterdrückten Oppositionellen.

Albrecht: Das ist die Kehrseite der Medaille, und das dürfte es nicht eben. Aber aus chinesischer Perspektive ist es in Ordnung, wenn es 99 Prozent der Menschen gut geht. Dass dabei Menschenrechte und Meinungsfreiheit auf der Strecke bleiben, darf man nicht schönreden. Allerdings wird bei uns selten erwähnt, dass der Kurs der Regierung bei einem Großteil der Bevölkerung sehr gut ankommt.

Es wurden Informationen über chinesische Umerziehungslager in China geleakt. Menschen aus ethnischen und religiösen Minderheiten würden dort unter anderem gefoltert.

Albrecht: Ein schwieriges Thema. China bestreitet alle Vorwürfe, es ist schwer überprüfbar. Bei den chinesischen Bürgern kommt das Thema übrigens gar nicht an, denn die Berichterstattung wird ja kontrolliert. Ein normaler Bürger hat von Lagern vermutlich noch nichts gehört. Es gibt aber auch bei uns keine konstruktiven Diskussionen, wie man mit dem Thema umgeht.

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