Selbstverschuldete Wachstumsflaute Wie Chinas Konjunktur wieder in Schwung kommt
In einem überraschenden Schritt hat die chinesische Zentralbank am 22. Juli die Leitzinsen herabgesetzt: Die Währungshüter senkten den einjährigen Leitzins auf 3,35 Prozent und den fünfjährigen Leitzins auf 3,85 Prozent. Staatspräsident Xi Jinping fordert zudem mehr Koordination bei der Geld- und Fiskalpolitik sowie den Kauf von Staatsanleihen durch die Zentralbank. Auf diesem Weg will die Regierung das Wirtschaftswachstum wieder ankurbeln.
Fakt ist: Chinas Konjunktur stockt. Die Rufe einiger Analysten nach quantitativen Lockerungsmaßnahmen halten wir aber dennoch für verfehlt. Diese würden die Situation in China aus unserer Sicht nur verschlimmern. Die Zinssätze im Land liegen auch nach der Zinssenkung noch weit über null. Die chinesische Notenbank People’s Bank of China (PBoC) hat also noch Spielraum für weitere Zinssenkungen, bevor eine quantitative Lockerung notwendig wird. Diese wäre nur dann erforderlich, wenn wir in China Anzeichen einer Bilanzrezession sehen würden und Verbraucher und Unternehmen ihre Schulden nicht abbauen könnten. Das Land wäre dann in einer Falle aus Ausgaben- und Investitionsengpässen gefangen. Dafür gibt es zwar einige Anzeichen. Wir sehen aber weder massive Vermögensrückgänge noch einen weiträumigen Zusammenbruch des Finanzsystems.
Hohe Kosten, geringer Nutzen quantitativer Lockerungen
Die wirtschaftlichen Auswirkungen und die hohen Kosten quantitativer Lockerungen werden oft falsch eingeschätzt. Solche Maßnahmen zielen darauf ab, durch die Inflation von Vermögenswerten mehr Wohlstand zu schaffen, indem Verbrauch und Investitionen angeregt werden. Da in China jedoch das Verbrauchervertrauen schwächelt, bleibt die zusätzliche Liquidität ungenutzt – und Konsum und Investitionen verharren auf einem niedrigen Niveau.
Auch gehen wir nicht davon aus, dass eine Schwächung des Renminbi Yuan (RMB) durch die quantitative Lockerung den Export anregen, wirtschaftliche Kapazitäten ausnutzen und die Deflation beenden könnte. Der Wechselkurs des RMB spielt für die Wettbewerbsfähigkeit Chinas keine wesentliche Rolle. Das zeigen die wachsenden Exportmarktanteile Chinas sowie der Widerstand westlicher Volkswirtschaften gegen seine führende Wettbewerbsposition bei Elektrofahrzeugen.
Seit der Finanzkrise 2007/2008 sind Exporte zudem nur noch ein sekundärer Motor für Chinas Wirtschaftswachstum. Tatsächlich waren sie in einigen Jahren sogar eine Wachstumsbremse. Wenn die Ausfuhren das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts steigern sollen, müssten sie sehr hoch sein – und der RMB-Wechselkurs dafür um 20 bis 40 Prozent fallen. Eine solche Abwertung würde die Handelsspannungen weiter verschärfen und die globalen Märkte ins Chaos stürzen.
Da die Zinssätze positiv sind, eignen sich traditionelle geldpolitische Instrumente besser, um Chinas wirtschaftliche Probleme zu lösen. Seit der Covid-19-Pandemie versagen die Transmissionsmechanismen der Zentralbank. Peking müsste die Geldpolitik über einen längeren Zeitraum lockern, um die gleiche Wirkung auf das Wachstum zu erzielen wie in früheren Marktzyklen. Dazu muss das Land seine „implizite Garantie“ weiter reduzieren und die Zinssätze liberalisieren.
Lehren aus Japan
China zeigt keine Bilanzrezession wie Japan in den 1990er-Jahren. Dennoch könnte ein Blick auf den Inselstaat Anregungen geben, wie das Land der Mitte eine Schulden-Deflationsspirale vermeiden kann: China muss die Realzinsen lange genug niedrig halten, um Ausgaben im Privatsektor zu fördern und so die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die Bank of Japan schaffte es mithilfe anhaltender geldpolitischer Lockerung, dass die durchschnittliche nominale Wachstumsrate entgegen den Markterwartungen in den Jahren 2022 und 2023 auf über 3,0 Prozent anstieg – von -0,4 Prozent in den 2000er-Jahren.
Peking jedoch vermeidet seit der Pandemie aggressive Lockerungen, um die Strukturreformen und den Schuldenabbau nicht zu gefährden. Japan handelte ebenso zögerlich, nachdem die Immobilienblase des Landes in den 1990er-Jahren geplatzt war – mit gravierenden Konsequenzen. Die zögerliche geldpolitische Lockerung in China zwischen 2022 und 2023 hat die Wachstumsimpulse geschmälert und verhinderte nicht, dass Wohlstand und Vertrauen litten. China hat sich die geldpolitischen Probleme des Landes also selbst zuzuschreiben. Bei Zinssätzen über null erfüllen die traditionellen wirtschaftspolitischen Instrumente nach wie vor ihren Zweck: Die Gesamtkreditvergabe wächst um etwa 9,0 Prozent pro Jahr. Das reicht jedoch nicht aus, um die wirtschaftlichen Probleme des Landes zu lösen. Dazu müssten die Zinsen weiterhin und über einen längeren Zeitraum sinken.
Wahllose Liquiditätsspritzen würden Lage noch verschlimmern
Wahllose Liquiditätsspritzen durch quantitative Lockerungsmaßnahmen sind keine Lösung für die aktuellen Anreizprobleme und die strukturellen Verzerrungen. Im Gegenteil: Sie würden die Fehlallokation von Kapital weiter intensivieren und zu noch höheren Überkapazitäten und der Förderung ineffizienter Sektoren führen. Geldpolitische Lockerung ist die Antwort, nicht qualitative Lockerung. Bereits John Maynard Keynes hat erkannt: Ist der Privatsektor auf Sparkurs, muss die Regierung die Ausgabendefizite ausgleichen.