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Wie China aus Japans „verlorenen Jahrzehnten“ lernen kann
Vergleicht man Chinas wirtschaftliche Zukunft mit Japans Vergangenheit, sind die Parallelen unübersehbar. Die Frage, ob China das nächste Japan wird, ist nicht nur für das Land selbst, sondern auch für die globale Wirtschaft von großer Bedeutung.
Japan durchlebte in den 1980er und 1990er Jahren eine wirtschaftliche Krise, die durch einen Rückgang des Arbeits-Inputs, niedrige Inflation und niedrige Zinssätze gekennzeichnet war. Diese strukturellen Probleme führten zu einem langanhaltenden wirtschaftlichen Abschwung, der als „verlorenes Jahrzehnt“ bekannt ist.
Heute steht China vor ähnlichen Herausforderungen, darunter eine alternde Bevölkerung, hohe Verschuldung und ein schwächelnder Immobilienmarkt. Diese strukturellen Gegenwinde könnten China in eine ähnliche wirtschaftliche Sackgasse wie Japan führen.
Was verursachte Japans „verlorene Jahrzehnte“?
Der Begriff „Japanisierung“ wird seit Langem verwendet, um eine wirtschaftliche Situation zu beschreiben, in der die sich verschlechternde demografische Lage und politische Fehltritte niedriges Wachstum, niedrige Inflation und niedrige Zinssätze verursachen. Nach dem Platzen der Blase in den 90er Jahren sah Japan strukturellen Problemen entgegen: Rückgang der Arbeitsleistung und Abwärtsdruck auf die langfristigen Wachstumserwartungen bei Unternehmen und Haushalten.
Dies führte zu geringerem Konsum, Investitionen, Inflation und löste eine Abwärtsspirale aus. Analysten-Einschätzungen verstärkten das. Sie senkten die Prognosen für zukünftiges Wachstum der japanischen Wirtschaft insgesamt und somit auch das erwartete Lebenszeiteinkommen. Damit deflationierten die Vermögenspreise. Die Regierung reagierte, indem sie sich gegen eine fiskale Expansion entschied – und verschärfte damit die Situation. Die Folge: Entlassungen und Kaufkraftverlust. Ein Teufelskreis, der langfristig für strukturelle Probleme sorgte.
Was Chinas Lage mit der Japans gemein hat
Wo aber sind nun die Parallelen zur heutigen Situation in China? In beiden Fällen besteht eine strukturelle Ähnlichkeit, die schwer umkehrbar ist und politische Entscheidungsträger herausfordert. In China spiegelt sich das in einem steilen demografischen Rückgang wider, der das Abhängigkeitsverhältnis verschärft und die zukünftige Nachfrage beeinträchtigt.
Die Größe der Schuldenblase ist ebenfalls alarmierend, obwohl sie in China kleiner ist als damals in Japan. Beide Länder haben mit einer weiteren Schwächung der bereits schwachen Nachfrage zu kämpfen, was das Wirtschaftswachstum gefährdet. Geopolitische Spannungen verschärfen die Situation, da protektionistische Maßnahmen die externe Nachfrage beeinträchtigen. Dennoch können kluges Währungsmanagement und politische Initiativen helfen, eine Wiederholung der japanischen Misere in China zu verhindern.
Die Vor- und Nachteile Chinas gegenüber Japan
Trotz vieler Parallelen sind das Ausmaß und die Schwere der strukturellen Probleme im heutigen Reich der Mitte anders als im damaligen Japan. Auf der positiven Seite verfügt China über eine größere monetäre Politikautonomie und strengere Kapitalkontrollen, was es weniger anfällig für Währungsschwankungen macht. Zudem hat das Land eine niedrigere Urbanisierungsrate und ein geringeres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf als Japan in den 90ern, was sein Wachstumspotenzial erhöht.
Auf der negativen Seite steht, dass die politische Unsicherheit in China höher ist, was das Investitionsklima beeinträchtigt. Eine ausgeprägtere Immobilienblase und eine schneller alternde Bevölkerung verschärfen die Herausforderungen. Der strategische Wettbewerb zwischen den USA und China beeinflusst zudem die internationale Wahrnehmung und die Investitionsentscheidungen.
Was kann China tun, um eine Japanisierung zu vermeiden?
Die Erfahrung Japans lehrt, dass eine proaktive, koordinierte politische Reaktion erforderlich sein wird. Erstens, um eine kurzfristige wirtschaftliche Stabilisierung zu erreichen, und zweitens, um langfristige strukturelle Reformen durchzuführen. Ein anhaltender Abschwung und eine mögliche Stagnation können dadurch vermieden werden.
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Um eine rasche wirtschaftliche Stabilisierung zu erreichen, ist eine kluge Kombination aus akkommodierender Geldpolitik und expansiver Fiskalpolitik erforderlich. Somit wird eine ausreichende Liquidität sichergestellt und das Wachstum garantiert.
China hat sich entschieden dagegen ausgesprochen, Quantitative Easing anzuwenden. Wohingegen der Großteil der entwickelten Welt während der globalen Finanzkrise darauf setzte. In der aktuellen Situation, in der Haushalte sich entschulden und Unternehmen sich vor neuer Verschuldung scheuen, muss die Regierung als „Kreditnehmer letzter Instanz“ einspringen, um die Vermögenspreise zu stabilisieren und das Investorenvertrauen zu steigern.
Chinas Immobiliensektor beeinflusst Wirtschaft massiv
Die Sparquote in China ist aufgrund der steigenden Unsicherheit über zukünftiges wirtschaftliches Wachstum und der Haushaltsfinanzierung in der Covid-19-Zeit deutlich gestiegen. Dieses Verhalten unterstreicht einen Mangel an Vertrauen in staatliche Investitionsaktivitäten und hat negative Auswirkungen auf das Wachstum.
Auf der Haushaltsseite verschlechtern sich die Einkommensaussichten. Zusammen mit den teuren Immobilienpreisen – die 70 Prozent des Haushaltsvermögens ausmachen – drückt das die Wachstumserwartungen. Das wiederum wirkt sich negativ auf die Kapitalbildung und Investitionen aus.
Ein Großteil des Vermögens der chinesischen Wirtschaft ist an den Immobiliensektor gebunden. Daher hat die angeschlagene Branche einen erheblichen Einfluss auf das Gesamtvermögen in der Wirtschaft. Sie beschädigt das Vertrauen sowohl inländischer als auch internationaler Investoren mit geringer Risikobereitschaft. Damit sich dieser Trend umkehrt, müssten weitaus entschlossenere politische Garantien und stabilere geopolitische Verhältnisse her.
Notwendige Reformen und komplexe Herausforderungen
Langfristig sind wohl strukturelle Reformen notwendig, um Chinas Überschusskapazitäten und den demografischen Rückgang anzugehen sowie die Gesamtproduktivität zu steigern. Dazu gehört, Einwanderung zu ermöglichen, ein umfassendes Sozialschutz- und Wohlfahrtssystem aufzubauen und den Immobiliensektor zu stabilisieren.
Reformen der öffentlichen Finanzen sind ebenfalls wichtig, um fehlgeleitete Anreize zu korrigieren und alternative Wachstumsquellen zu fördern. Zudem müssen geopolitische Risiken minimiert werden, um Chinas Aufstieg in der Wertschöpfungskette zu unterstützen.
Jedoch stehen China komplexe Herausforderungen bevor. Neben der regionalen Vielfalt und der komplexen Bürokratie sind das insbesondere die Spannungen mit den USA. Die Zukunft der US-chinesischen Beziehungen bleibt unsicher – die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ebenso.
Über den Autor:
Elliot Hentov ist Leiter politisches Research (Head of Policy Research) beim Fondsanbieter State Street Global Advisors. Das US-Unternehmen hat seinen Sitz in Boston.