Christian Jasperneite, Investmentchef von M.M. Warburg & Co.
Warum sich die Kritiker der europäischen Sparpolitik gewaltig irren
Aktualisiert am 28.01.2021 - 11:14 Uhr

Christian Jasperneite ist seit Anfang 2009 Investmentchef der Privatbank M.M. Warburg & Co. Foto: M.M. Warburg & Co
Europa diskutiert seit Jahren mal mehr, mal weniger über den Sparkurs und ob es nicht besser sei, den Staaten eine kurzfristige Neuverschuldung zu ermöglichen, um nach induziertem Wachstum langfristig Schulden abzubauen. Dass das nicht funktionieren kann, erklärt Christian Jasperneite von der Privatbank M.M. Warburg & Co.
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Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte hat eine klare Meinung, wenn es um die italienische Haushaltspolitik geht. Sparen habe keine Priorität, so der Politiker gegenüber dem Fernsehsender RAI Anfang August, „Priorität haben die Bürger und ihre Bedürfnisse“. Konkret bedeutet dies für den Politiker, Steuern zu senken und Ausgaben für Sozialleistungen zu erhöhen, auch wenn dies zu einer Verletzung bestehender Verschuldungsgrenzen führt.
Während die meisten Beobachter diese Positionierung der italienischen Regierung mit Stirnrunzeln oder Befremden zur Kenntnis nehmen, existiert auf der anderen Seite aber auch ein harter Kern von „Verschuldungsbefürwortern“, der für eine weniger restriktive Fiskalpolitik eintritt. Viele Befürworter einer sehr laxen Verschuldungspolitik vertreten dabei eine These, die sowohl volkswirtschaftlichen Grundregeln als auch dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen scheint.
Dabei geht es um die Überlegung, wonach die Sparpolitik der letzten Jahre in vielen Ländern des Euroraums zu weniger BIP-Wachstum geführt habe, mit dem Ergebnis, dass die Staatseinnahmen kaum wachsen konnten und deshalb auch die Schuldenquote höher sei als eigentlich notwendig ausgefallen sei. Mit dieser Logik wird nicht nur die Sinnhaftigkeit der Maastricht-Kriterien in Frage gestellt, sondern auch der generelle Ansatz einer Austeritätspolitik. Die Schlussfolgerung dieser Logik lautet, auf eine restriktive Fiskalpolitik zu verzichten, um Wachstum zu erzeugen, mit dem man dann die Schulden abbauen könne.
Der Lügenbaron lässt grüßen
Für einen ungeübten Betrachter mag diese Argumentation vielleicht sogar nachvollziehbar klingen, jedoch ist der Begriff einer weniger restriktiven Fiskalpolitik letztlich nur ein Euphemismus für mehr Schulden, denn nur mit mehr Schulden lässt sich eine Fiskalpolitik in signifikantem Ausmaß expansiv gestalten. Am Ende läuft die Logik darauf hinaus, kurzfristig mehr Schulden zu machen, um langfristig Schulden reduzieren zu können. Das klingt auf den ersten Blick in etwa so belastbar wie die Geschichte des Lügenbarons von Münchhausen, der es angeblich schaffte, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.
Doch ist ein so hartes Urteil hier wirklich gerechtfertigt, oder könnte in dieser Logik tatsächlich ein Funke Wahrheit stecken? Immer dann, wenn solche Fragen nicht ad hoc geklärt werden können, erscheint es sinnvoll, nach einem empirischen Befund zu suchen. Wenn die Logik stimmte, müssten Länder mit einer besonders harten Sparpolitik beziehungsweise einer besonders starken Rückführung der Verschuldung relativ zum BIP in den Folgejahren so starke Wachstumsrückgänge erlebt haben, dass danach die Schuldenquote wieder gestiegen ist. Uns fällt es allerdings schwer, ein Land zu identifizieren, wo dieser Sachverhalt beobachtet werden konnte.
Ganz im Gegenteil: Die Länder, die besonders erfolgreich laufende Haushaltsdefizite und die Gesamtverschuldung relativ zur Wertschöpfung reduziert haben, waren eher die Länder, die in den Folgejahren auch noch höhere BIP-Wachstumsraten aufwiesen. Man findet auch über lange Zeiträume kein Land, das höhere temporäre Schulden in derart starkes und nachhaltiges Wachstum umsetzen konnte, so dass die Schulden langfristig durch diesen Effekt reduziert wurden.
- Seite 1 − Die vermeintliche Kritik an der Austeritätspolitik
- Seite 2 − Die Mär vom ewigen Schlaraffenland
- Seite 3 − Brisante Absprache zwischen Merkel und Macron
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