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Sicherheitsexperte Christoph Heusgen über die geopolitische Lage

„Putin glaubt, dass er am längeren Hebel sitzt“, sagt Christoph Heusgen. Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz trat als einer der Keynote-Redner beim Mannheimer Fondskongress auf. Dort saß Heusgen mit dem bekannten Journalisten und Gründer der Medienfirma „The Pioneer“, Gabor Steingart, auf dem Podium. Es ging um aktuelle wirtschafts- und sicherheitspolitische Fragen – im Zentrum standen die Großkonflikte zwischen China und den USA sowie der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.
Der zunehmend autokratisch regierende Vladimir Putin warte darauf, dass die westlichen Unterstützer-Länder müde würden, der Ukraine langfristig zu helfen, glaubt Heusgen. Der russische Präsident spekuliere dann auf einen militärischen Erfolg.
Sicherheits-Experte Heusgen hat viele Jahre als außen- und sicherheitspolitischer Berater für Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel gearbeitet, danach vertrat er die Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen. 2021 übernahm er seine heutige Aufgabe bei dem Münchner Forum für Fragen der internationalen Sicherheit.
Ukraine-Krieg: Wann Putin gesprächsbereit sein könnte
Aus seiner Berater- und Diplomatenkarriere hat Heusgen reichhaltige Beobachtungen aus erster Hand gemacht, die er mitunter anekdotisch einfließen ließ. Den russischen Präsidenten, den er mehrfach persönlich getroffen habe, schätzt Heusgen als „verbohrt“ ein. „Er malt sich die Welt, wie er sie gerne hätte.“ Nichtsdestotrotz geht Heusgen davon aus, dass der russische Präsident im Krieg gegen das Nachbarland einlenken werde: Wenn Putin sehe, dass er seine Ziele militärisch nicht erreichen könne, werde er zu Gesprächen bereit sein. Bis die Zeit reif dafür sei, sollten westliche Staaten die Ukraine auch im eigenen Interesse weiter militärisch unterstützen, forderte Heusgen.
Dass es in dem Konflikt noch zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen kommen könnte, wie die russische Seite mehrfach angedroht hat, glaubt der Sicherheitsexperte indes nicht. „Putin wird, wenn er nicht völlig verrückt ist, keine Atomwaffen einsetzen“, ist sich Heusgen sicher.
Der Sicherheitsexperte sprach auch über ein weiteres Spannungsfeld – das Verhältnis zwischen den USA und China. Mit Blick auf den zunehmend aggressiveren Tonfall zwischen den beiden Großmächten riet er zu mehr Fingerspitzengefühl: Die USA und auch andere westliche Staaten sollten in ihren diplomatischen Bemühungen um Taiwan nicht unnötig offensiv auftreten. Die politisch unabhängige Insel, auf die Chinas Staatschef Xi Jinping immer offener Ansprüche formuliert, sei Chinas wunder Punkt. Man solle die Volksrepublik nicht bewusst provozieren, mahnte Heusgen. Dass die Taiwan-Frage einen nächsten Weltkrieg auslösen könnte, glaubt er indes nicht.
Decoupling von China: „Keine gute Idee“
Ebenso warnte der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz vor der Forderung, die USA sowie andere westliche Ländern sollten sich wirtschaftlich ganz von China entkoppeln. Das sei „überhaupt keine gute Idee“ – denn es würde sich deutlich negativ auf alle beteiligten Volkswirtschaften auswirken. Andererseits sei auch Naivität fehl am Platz: „Wenn wir uns in eine Abhängigkeit gegenüber China begeben, wird China das ausnutzen“, gab Heusgen zu bedenken.
Sein allgemeiner Rat an Wirtschaftsvertreter, den er damit auch den Investmentprofis auf dem Fondskongress mit auf den Weg gab: „Mein Appell an die deutsche Wirtschaft ist: Geht nicht aus China raus.“ Wer in der Volksrepublik tätig sei, solle dennoch stets auch ein Worst-Case-Szenario mitdenken. Gleichzeitig sollten deutsche Unternehmen ihre Wirtschaftsaktivitäten diversifizieren und dabei auch jene Märkte im Blick haben, die in den entwickelten Volkswirtschaften oft unter dem Radar liegen – wie Indien, Afrika und Lateinamerika. „Das sind die Kontinente, wo die Zukunft in vielerlei Hinsicht spielt“, so Heusgen. Im Gegensatz zu China habe man es in Deutschland und Europa bislang „verschlafen“, sich in diesen Regionen zu engagieren.
Als ein Anliegen, das ihm besonders wichtig sei, mahnte der Sicherheitsexperte zudem ein undogmatischeres Auftreten gegenüber anderen Ländern an: „Wir müssen eine realistische Sicht auf die Dinge haben“, forderte Heusgen. Deutschland dürfe nicht darauf beharren, nur mit Staaten zusammenarbeiten zu wollen, die deckungsgleiche ethische Grundsätze teilten. Die Bundesrepublik solle eine „tolerante Außenpolitik“ verfolgen, mahnte Heusgen.