Ifo-Präsident Clemens Fuest
Digitalisierung und Steuerpolitik
Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts in München. Foto: Ifo-Institut
Die Digitalisierung führt in vielen Bereichen der Wirtschaft zu einem tiefgreifenden Wandel. Das Erfassen und Verarbeiten von Daten spielt eine wachsende Rolle, immaterielle Wirtschaftsgüter werden für die Wertschöpfung immer bedeutender, neue Geschäftsmodelle entstehen, die Grenze zwischen Güter- und Dienstleistungshandel wird unschärfer und Wettbewerbsmärkte verändern sich.
Gibt es ein unerwünschtes Steuergefälle zwischen Digitalwirtschaft und herkömmlichen Geschäftsmodellen, das eine Steuer auf Digitalumsätze rechtfertigt?
Die Europäische Kommission hat sich intensiv mit den Folgen der Digitalisierung für die Steuerpolitik und für die Wirtschafts- und Finanzpolitik insgesamt beschäftigt. In ihren Analysen betont sie die Bedeutung der Digitalisierung für die wirtschaftliche Entwicklung und weist darauf hin, die Herausbildung eines digitalen Binnenmarktes sei als Voraussetzung dafür anzusehen, dass die europäische Wirtschaft die Potenziale der Digitalisierung nutzen kann (vgl. European Commission 2017; 2018).
Gleichzeitig vertritt...
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Gibt es ein unerwünschtes Steuergefälle zwischen Digitalwirtschaft und herkömmlichen Geschäftsmodellen, das eine Steuer auf Digitalumsätze rechtfertigt?
Die Europäische Kommission hat sich intensiv mit den Folgen der Digitalisierung für die Steuerpolitik und für die Wirtschafts- und Finanzpolitik insgesamt beschäftigt. In ihren Analysen betont sie die Bedeutung der Digitalisierung für die wirtschaftliche Entwicklung und weist darauf hin, die Herausbildung eines digitalen Binnenmarktes sei als Voraussetzung dafür anzusehen, dass die europäische Wirtschaft die Potenziale der Digitalisierung nutzen kann (vgl. European Commission 2017; 2018).
Gleichzeitig vertritt sie die Auffassung, zwischen Unternehmen mit traditionellen Geschäftsmodellen und Unternehmen der Digitalwirtschaft existiere ein unerwünschtes Steuergefälle, das den Wettbewerb zu Gunsten der digitalen Geschäftsmodelle verzerre und zu einer unfairen Steuerlastverteilung führe. Dieses Steuerlastgefälle entstehe nicht nur durch internationale Steuervermeidung, es bestehe auch bei rein national tätigen Unternehmen.
Rein national tätige Unternehmen der Digitalwirtschaft hätten nur eine effektive durchschnittliche Steuerlast von 8,5 Prozent zu tragen, Unternehmen mit traditionellen Geschäftsmodellen hingegen eine Steuerlast von 20,9 Prozent (vgl. European Commission 2017, S. 6). Mit diesen Zahlen begründet die Europäische Kommission ihre Forderung, eine „digitale Ausgleichssteuer“ auf Umsätze von Unternehmen der Digitalwirtschaft einzuführen.
Diese Begründung erscheint auf den ersten Blick plausibel, tatsächlich ist sie nicht tragfähig. Das wird deutlich, wenn man die Berechnung des von der Kommission kritisierten Steuergefälles näher betrachtet. In ihrem Vergleich der steuerlichen Belastung der Digitalwirtschaft mit anderen Sektoren zitiert die Europäische Kommission Berechnungen des ZEW (2017). Dort heißt es:
„Im Durchschnitt werden digitale Geschäftsmodelle mit 10,2 Prozent belastet, womit deren Belastung im Vergleich zu traditionellen Geschäftsmodellen um 11,73 Prozentpunkte geringer ausfällt.“ (ZEW 2017, S. 14)
Entscheidend ist die Erklärung für das Zustandekommen dieser Zahlen. Es handelt sich nicht um gemessene Steuerzahlungen von Digitalunternehmen im Vergleich zu anderen Unternehmen, sondern um Berechnungen des effektiven Durchschnittssteuersatzes (EATR) nach der Methode von Devereux and Griffith (2003). Dabei wird ein hypothetisches Investitionsprojekt mit einer gegebenen Vorsteuerrendite und einer gegebenen Struktur von Investitionsgütern betrachtet. Dafür wird dann eine hypothetische Steuerbelastung berechnet. Das Ergebnis hängt stark von den getroffenen Annahmen über die Art der Investitionsgüter ab, die in dem Projekt eingesetzt werden, weil für unterschiedliche Investitionsgüter unterschiedliche steuerliche Regelungen gelten.
In der Digitalwirtschaft werden stärker immaterielle Güter (z.B. selbst erstellte Software) eingesetzt als in herkömmlichen Geschäftsmodellen, bei denen Maschinen und Gebäude eine größere Rolle spielen. Da für Maschinen und Gebäude in den meisten Steuersystemen längere Abschreibungsfristen gelten als bei immateriellen, selbst erstellten Wirtschaftsgütern, für die in der Regel die Sofortabschreibung gilt, ist die steuerliche Effektivbelastung bei herkömmlichen Geschäftsmodellen größer. Außerdem wird in den Berechnungen angenommen, dass digitale Geschäftsmodelle stärker in den Genuss steuerlicher Forschungsförderung kommen. In der Studie des ZEW (2017), aus der die Zahlen der Kommission stammen, wird dieser Umstand auch klar erläutert:
„Grund dafür sind ein angenommener höherer Anteil nicht aktivierungspflichtiger Kosten in der Investitionsstruktur … sowie vorteilhaftere Abschreibungsregeln für digitale Investitionsgüter und die Anwendbarkeit steuerlicher Anreize für Forschung, Entwicklung und Innovation.“ (ZEW 2017, S. 14)
Mit anderen Worten: Die Europäische Kommission beklagt hier, dass die nationale Steuerpolitik Investitionsgüter steuerlich bevorteilt, die in der Digitalwirtschaft stark verwendet werden, und will nun völlig neue Steuern einführen, um die politisch erst geschaffenen Vorteile wieder auszugleichen. Das weitaus zielgenauere und sachgerechtere Vorgehen würde darin bestehen, die im Steuersystem vorhandenen Ungleichbehandlungen darauf hin zu untersuchen, ob sie gerechtfertigt sind und die nicht gerechtfertigten Vorteile abzuschaffen.
Grundsätzlich sind unterschiedliche steuerliche Abschreibungsbedingungen gerechtfertigt, wenn die wirtschaftliche Lebensdauer verschiedener Wirtschaftsgüter sich unterscheidet. Differenzen in der effektiven Steuerbelastung entstehen aus unterschiedlichen Abweichungen der steuerlichen Abschreibung von der wirtschaftlichen Abschreibung. Ähnliche Wirkungen haben Unterschiede bei der Aktivierungspflicht von selbst erstellten Wirtschaftsgütern. Wenn hier ein unerwünschtes Steuergefälle vorliegt, kann die Politik dies beseitigen, indem sie die Abschreibungsregeln entsprechend anpasst.
Unterschiede in der Steuerbelastung, die sich durch eine höhere Forschungsintensität der Digitalwirtschaft und die damit verbundene steuerliche Forschungsförderung ergeben, sind ausdrücklich erwünscht. Sie durch steuerliche Belastungen der Digitalwirtschaft einzuebnen, ist wirtschaftlich schädlich. Steuerliche Forschungsförderung ist dadurch begründet, dass die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit einzelner Unternehmen positive Externalitäten hervorbringt, also Vorteile, von denen auch andere Unternehmen profitieren, ohne dass sie zu den Kosten beitragen. Ohne die Förderung kommt es zu ineffizient niedrigen Forschungsausgaben.
Insgesamt kann man festhalten, dass es hochgradig irreführend ist, ein Steuergefälle, das durch unterschiedliche Abschreibungsbedingungen und Unterschiede in der Beanspruchung steuerlicher Forschungsförderung entsteht, als Begründung für neue Steuern auf digitale Geschäftsmodelle anzuführen.
Kaum überzeugender ist das Argument, Digitalsteuern seien erforderlich, um einen Ausgleich für Steuervermeidung zu schaffen.1 Es ist zwar richtig, dass internationale Konzerne der Digitalwirtschaft, wie Facebook oder Amazon, ihre rechtlichen und finanziellen Strukturen gezielt gestalten, um Steuern zu vermeiden. Das Problem der Steuervermeidung geht aber weit über den Bereich digitaler Geschäftsmodelle hinaus. Man muss außerdem bedenken, dass die geplante Steuer auf Umsätze der Digitalwirtschaft ein begrenztes Aufkommenspotenzial hat. Die Europäische Kommission erwartet, dass die Digitalsteuer europaweit ein Aufkommen von rund 5 Milliarden Euro erheben würde (vgl. European Commission 2018, S. 9).
1 Dieser Aspekt wird in European Commission (2018) in den Vordergrund gestellt
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