Ifo-Präsident Clemens Fuest
Digitalisierung und Steuerpolitik
Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts in München. Foto: Ifo-Institut
Die Digitalisierung führt in vielen Bereichen der Wirtschaft zu einem tiefgreifenden Wandel. Das Erfassen und Verarbeiten von Daten spielt eine wachsende Rolle, immaterielle Wirtschaftsgüter werden für die Wertschöpfung immer bedeutender, neue Geschäftsmodelle entstehen, die Grenze zwischen Güter- und Dienstleistungshandel wird unschärfer und Wettbewerbsmärkte verändern sich.
Insgesamt spricht nichts dagegen, das Konzept der digitalen Betriebsstätte in internationale Verhandlungen zur Fortentwicklung der Besteuerungsregeln einzubringen. Dabei sollte man aber Wert darauf legen, die Besteuerungsregeln nicht allzu sehr zu verkomplizieren. Allzu viel sollte man sich von diesem Ansatz aber nicht versprechen.
Steuern als Instrument für die »Bepreisung« von Daten?
Ein anderer Ansatz zur Anpassung des Steuersystems an Veränderungen durch Digitalisierung beschäftigt sich mit der Frage, ob es sinnvoll ist, dass Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen Daten sammeln, ohne für diese Daten zu bezahlen. Dem könnte man entgegenhalten, dass zum...
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Insgesamt spricht nichts dagegen, das Konzept der digitalen Betriebsstätte in internationale Verhandlungen zur Fortentwicklung der Besteuerungsregeln einzubringen. Dabei sollte man aber Wert darauf legen, die Besteuerungsregeln nicht allzu sehr zu verkomplizieren. Allzu viel sollte man sich von diesem Ansatz aber nicht versprechen.
Steuern als Instrument für die »Bepreisung« von Daten?
Ein anderer Ansatz zur Anpassung des Steuersystems an Veränderungen durch Digitalisierung beschäftigt sich mit der Frage, ob es sinnvoll ist, dass Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen Daten sammeln, ohne für diese Daten zu bezahlen. Dem könnte man entgegenhalten, dass zum einen niemand gezwungen ist, seine Daten bereitzustellen und dass zum anderen auch viele Unternehmen mit nicht-digitalen Geschäftsmodellen Kundendaten systematisch sammeln und nutzen. Hinzu kommt, dass bei Daten üblicherweise keine Rivalität in der Nutzung besteht. Das spricht dagegen, die Nutzung durch einen positiven Preis zu beschränken.
Komplizierter ist die Situation, wenn Unternehmen durch das Sammeln von Daten Marktmacht erlangen, beispielsweise weil diese Unternehmen dann von verschiedenen Nachfragern gezielt unterschiedliche Preise verlangen können. Dadurch entsteht nicht notwendigerweise ein Effizienzproblem, aber eine Umverteilung von Konsumenten an Produzenten. Wenn Angela Merkel von einem „Gerechtigkeitsproblem“ spricht, denkt sie möglicherweise an eine derartige Machtverschiebung.
Um die Entstehung von unerwünschter Marktmacht zu verhindern, sind allerdings weniger steuer- als vielmehr wettbewerbspolitische Eingriffe gefragt. Allerdings kann man nicht behaupten, dass die Digitalisierung generell die Marktmacht der Unternehmen auf Kosten der Konsumenten steigert. Vielfach ist das Gegenteil der Fall, beispielsweise deshalb, weil Preisvergleichsplattformen es den Konsumenten erleichtern, das preiswerteste Angebot zu finden. Statt flächendeckender steuerlicher Eingriffe sind gezielte Interventionen der Wettbewerbspolitik in Fällen unerwünschter Wettbewerbsbeschränkungen der bessere Weg (vgl. dazu auch Kronberger Kreis 2017).
Datensammlung als umsatzsteuerpflichtiger Tausch
Ein anderer Ansatz zur Besteuerung von Daten beruht auf dem Argument, dass Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen auf umsatzsteuerpflichtigen Tauschgeschäften beruhen. Getauscht werden hier Dienstleistungen wie etwa die Nutzung einer Suchmaschine gegen die Bereitstellung von Daten. Das Umsatzsteuerrecht sieht grundsätzlich vor, Tausch zu besteuern. Die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer entspricht dem Wert der getauschten Güter.3
Wenn man die Bereitstellung von Daten in diesem Kontext besteuern will, müssten praxistaugliche Verfahren zur Bewertung der Daten entwickelt werden. Eine Herausforderung dabei wäre erneut der Umstand, dass bei sehr vielen Geschäften, auch bei nicht-digitalen
Geschäftsmodellen, Daten ausgetauscht werden, die für die Tätigkeit der beteiligten Unternehmen erhebliche Bedeutung haben. Auch hier kann es leicht zu einer überzogenen Verkomplizierung des Steuersystems kommen.
Fazit
Die ökonomischen Veränderungen, die mit der Digitalisierung der Wirtschaft einhergehen, betreffen auch die Steuerpolitik. Die derzeit diskutierten Vorschläge zur Einführung einer europäischen Digitalsteuer führen jedoch in die Irre. Die von der Europäischen Kommission angeführten Argumente und Zahlen, mit denen sie die These eines unerwünschten Steuergefälles zu Gunsten der Digitalwirtschaft untermauern will, sind teilweise irreführend.
Die Tatsache, dass einige US-Technologieunternehmen mit mehr oder weniger stark digitalen Geschäftsmodellen in der EU viel Geld verdienen, ist nach den geltenden Grundsätzen der internationalen Besteuerung kein hinreichender Grund dafür, sie in der EU stärker zu besteuern. Ob die USA ihre Besteuerungsansprüche gegen diese Unternehmen durchsetzen oder nicht, spielt dafür keine Rolle. Dass steuerliche Unterschiede zwischen Ländern den internationalen Wettbewerb in Märkten für Güter und Dienstleistungen beeinflussen, ebenso wie andere länderspezifische Eigenschaften, ist kein Argument für Eingriffe wie die Digitalisierungssteuer.
Zutreffend ist, dass multinationale Unternehmen generell über Möglichkeiten verfügen und diese auch nutzen, durch steuerliche Gestaltungen Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern. Dieses Problem geht aber weit über den Bereich digitaler Geschäftsmodelle hinaus. Um gegen unerwünschte Steuervermeidung vorzugehen, sollte die EU vor allem die Möglichkeit der Nutzung von Quellensteuern erweitern und Doppelbesteuerungsabkommen zu Drittländern besser koordinieren (vgl. dazu Fuest et al. 2013). Eine Steuer auf die Umsätze von Digitalunternehmen ist hier das falsche Instrument. Die USA müssten die unilaterale Einführung einer solchen Steuer als Maßnahme betrachten, die einem Strafzoll ähnelt. Entsprechende Gegenreaktionen wären zu erwarten.
Die Steuerpolitik in Europa sollte sich darauf konzentrieren, für eine ordnungsgemäße Erhebung der Umsatzsteuern auch bei digitalen Dienstleistungen zu sorgen. Es spricht nichts dagegen, neue Konzepte wie die digitale Betriebsstätte oder eine Umsatzbesteuerung der Datenbereitstellung im Rahmen der Regelungen zum Tausch zu prüfen. Das sollte aber international abgestimmt erfolgen, und große Mehreinnahmen sollte man sich davon nicht versprechen. Bei alldem sollte nicht aus dem Blick geraten, dass Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in Europa nur aufrechtzuerhalten sind, wenn die Potenziale der Digitalisierung genutzt werden. Eine unüberlegte Belastung digitaler Geschäftsmodelle mit Sondersteuern birgt das Risiko, dass neue digitale Dienstleistungen zuerst in anderen Märkten entwickelt und eingeführt werden, mit dem Ergebnis, dass Europa in der Digitalwirtschaft weiter an Boden verliert.
Vortrag bei der Jahresversammlung des Ifo-Instituts am 28. Juni 2018.
3 Beim Tausch ist die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer (§ 3 Abs. 12 Satz 1 UStG) in § 10 Abs. 2 Satz 2 und 3 U StG geregelt.
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