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CNN-Effekt: Unicredit-Chefvolkswirt über die Folgen der Japan-Katastrophe

Die dramatischen Ereignisse in Japan sind der berühmte "Schwarze Schwan". Etwas Schreckliches ist Realität geworden, das so nicht vorhersehbar war und sich im schlimmsten aller Fälle sogar noch weiter zuspitzen könnte. Jenseits der humanitären Katastrophe sind die Unsicherheiten über die ökonomische Entwicklung in Japan und der restlichen Welt enorm hoch. Die exakte Quantifizierung der Folgen einer Nuklearkatastrophe auf die internationalen Finanzmärkte und die Weltwirtschaft ist zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich. Es wäre buchstäblich reine Spekulation.

Es gibt allerdings zwei Möglichkeiten, sich der Unsicherheit makroökonomisch anzunähern. Zum einen können Annahmen über die Entwicklung zentraler gesamtwirtschaftlicher Stellschrauben getroffen werden. Ein Beispiel wäre die Tiefe und Dauer einer möglichen Rezession in Japan. Im Anschluss werden dann die wirtschaftlichen Folgen auf Basis eines ökonometrischen Modells für andere Länder und die Weltwirtschaft insgesamt quantifiziert. Zwar lässt sich dann natürlich über die getroffenen Annahmen trefflich streiten. Um dieses Problem abzumildern, können aber mehrere Szenarien für den BIP-Einbruch durchgerechnet werden, um entsprechend vorbereitet zu sein. Eine andere Möglichkeit ist die Identifizierung von makroökonomischen Transmissionskanälen. Dadurch lassen sich Aussagen darüber treffen, welche wirtschaftlichen Übertragungswege bestehen und wie sich eine mögliche Katastrophe in Japan auf die restliche Weltwirtschaft auswirken könnte. Im Folgenden wird dieser Weg beschritten:

CNN-Effekt

Aufgrund der schrecklichen TV-Bilder aus Japan trübt sich die Stimmung bei Unternehmen und Konsumenten weltweit spürbar ein. Die Verunsicherung steigt, wodurch wirtschaftliche Entscheidungen wie etwa der Kauf langlebiger Konsumgüter zeitlich nach hinten geschoben
werden könnten.

Weiter steigende Risikoaversion an den internationalen Finanzmärkten

Anleger verkaufen in noch viel größerem Umfang Aktien und flüchten in die (vermeintlich) sicheren Häfen wie amerikanische und deutsche Staatsanleihen. Hält dieser Prozess über einen längeren Zeitraum an, führen die Aktienkursverluste zu negativen Vermögenseffekten bei Investoren. Die Wirkung dürfte insbesondere in den USA besonders stark ausgeprägt sein. Ökonometrischen Berechungen zufolge führt ein dauerhafter Rückgang der Aktienkurse um 10 Prozent zu einer Verringerung des privaten Verbrauchs um 0,5 Prozent. Im Zuge der Flucht in Sicherheit könnte auch der Goldpreis weiter ansteigen.

Repatriierung von Geldern und dadurch Zinsanstieg außerhalb Japans

Japanische Investoren hielten Ende 2009 (letzter verfügbarer Datenpunkt für einen länderübergreifenden Vergleich) rund 800 Milliarden USD an Anleihen in der EU, knapp 700 Milliarden USD in den USA sowie 380 Milliarden USD in Mittel- und Südamerika. Werden massiv Gelder nach Japan transferiert, steigen in diesen Ländern die Zinsen an (trotz dem aus Japan kommenden Dämpfungseffekt für die Weltwirtschaft). Dies belastet wiederum die Aktienmärkte und die globale Konjunktur.

Wird Kapital aus den europäischen Peripheriestaaten abgezogen, verschärft sich die Schuldenkrise. Allerdings muss diese Wirkungskette nicht zwangsläufig eintreten. Interveniert die japanische Zentralbank am Devisenmarkt, um die Aufwertung des Yen im Zuge der Repatriierung zu begrenzen, könnte sie die so erworbenen Devisen (in Euro) wieder in der EWU investiert werden. Mittelfristig wäre der Nettoeffekt auf die Anleihen der europäischen Peripheriestaaten – zumindest rein theoretisch – vernachlässigbar. Die Staatsanleihen hätten lediglich den Besitzer gewechselt.

Auf kurze Sicht könnte es aber auch dann noch immer zu erheblichen Marktturbulenzen kommen. Der "Besitzerwechsel" benötigt Zeit und rüttelt die Rentenmärkte in Griechenland und Co. erneut durcheinander.

Kapitalflucht aus Japan als Alternativszenario?

Grundsätzlich ließe sich auch eine gegenläufige Entwicklung vorstellen. Im Falle einer nuklearen Katastrophe lösen sowohl institutionelle als auch private Investoren ihre Anlagen in Japan auf und transferieren das Geld ins sichere Ausland. Der Yen würde sich dann nicht aufwerten, sondern deutlich schwächer werden. Nach unserer Einschätzung ist ein solches Alternativszenario aber unwahrscheinlich. Um weitere Turbulenzen am japanischen Aktien-und Anleihenmarkt zu verhindern, würde die Politik wohl rasch Kapitalverkehrskontrollen einführen. Ein massiver Abfluss von Kapital, das für den Wiederaufbau benötigt würde, könnte so auch vermieden werden.

Außenhandel und internationale Wertschöpfungskette

Der klassische realwirtschaftliche Kanal läuft über die Export- und Importschiene. Aufgrund einer Rezession in Japan gehen die Ausfuhren anderer Länder (nach Japan) sehr stark zurück. Gleichzeitig wird die internationale Wertschöpfungskette unterbrochen. Da die Produktion in Japan heruntergefahren wird, sacken die Einfuhren von benötigten Vorprodukten und Zwischengütern aus Japan ab. Ein gutes Maß für die "Anfälligkeit" einzelner Länder ist die Summe des gesamten Außenhandels mit Japan in Relation des jeweiligen nationalen BIP.
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