Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer
Warum wir auch 2020 keine EZB-Zinserhöhung erwarten
Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank Foto: Commerzbank
Auf unserer monatlichen Prognosesitzung haben wir unsere 2019er Konjunktur-Prognosen deutlich gesenkt – für Deutschland von 1,2 auf 0,6 Prozent und für den Euroraum von 1,4 auf 0,9 Prozent. Wir zeigen, dass der laufende Abschwung mittlerweile zurückliegenden milden Rezessionen ähnelt. Die neu entwickelte Orphanides-Regel legt nahe, dass die EZB ihren Einlagensatz auch im kommenden Jahr nicht erhöhen wird. Wir erwarten nun auch für 2020 unveränderte Leitzinsen.
Im Rahmen unseres Jahresausblicks hatten wir Ende November für das Wachstum der deutschen Wirtschaft im Jahr 2019 ein Plus von 1,2 Prozent prognostiziert. Damit lagen wir unter dem Durchschnitt der Volkswirte (1,5 Prozent). Aber im Rückblick waren wir zu optimistisch; die Konjunkturindikatoren haben sich schlechter entwickelt als erwartet. Wir tragen dem Rechnung und senken unsere Deutschland-Prognose für 2019 von 1,2 Prozent auf 0,6 Prozent. Wir liegen damit deutlich unter dem Konsens (1,2 Prozent), wobei sich viele der zuletzt geänderten Prognosen zwischen 0,5 Prozent und 1,0 Prozent bewegen.
Die Gründe für die Abwärtsrevision
Vor allem drei Gründe sind für die Abwärtsrevision verantwortlich:
Enttäuschendes...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Im Rahmen unseres Jahresausblicks hatten wir Ende November für das Wachstum der deutschen Wirtschaft im Jahr 2019 ein Plus von 1,2 Prozent prognostiziert. Damit lagen wir unter dem Durchschnitt der Volkswirte (1,5 Prozent). Aber im Rückblick waren wir zu optimistisch; die Konjunkturindikatoren haben sich schlechter entwickelt als erwartet. Wir tragen dem Rechnung und senken unsere Deutschland-Prognose für 2019 von 1,2 Prozent auf 0,6 Prozent. Wir liegen damit deutlich unter dem Konsens (1,2 Prozent), wobei sich viele der zuletzt geänderten Prognosen zwischen 0,5 Prozent und 1,0 Prozent bewegen.
Die Gründe für die Abwärtsrevision
Vor allem drei Gründe sind für die Abwärtsrevision verantwortlich:
- Enttäuschendes viertes Quartal: Das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal 2018 ist enttäuschend ausgefallen. Statt wie ursprünglich von uns erwartet gegenüber dem dritten Quartal um 0,3 Prozent zuzulegen, stagnierte es. Enttäuscht wurde selbst das Statistische Bundesamt, das noch am 15. Januar für das Schlussquartal „eine leichte Erholung“ erwartet hatte. Mit der Stagnation im vierten Quartal hat sich die Ausgangsbasis für die 2019er Prognose merklich verschlechtert.
- Verzögerte Erholung der Autoproduktion: Wegen der Einführung des neuen Abgastestverfahrens WLTP ist die Produktion von Autos und Autoteilen im dritten Quartal 2018 gegenüber dem zweiten Quartal um 8 Prozent eingebrochen. Wir hatten wie die meisten Volkswirte eine kräftige Erholung der Autoproduktion vor allem für das erste Quartal 2019 erwartet. Aber tatsächlich haben die Autobauer ihre Produktion Verbandsstatistiken zufolge im Januar und Februar nur moderat erhöht. Offenbar dauert die Umstellung auf das neue Testverfahren länger.
- Fallende Frühindikatoren: In den letzten Monaten sind die Frühindikatoren stark gefallen. Das gilt vor allem für die auf Umfragen basierenden Stimmungsindikatoren wie das Ifo-Geschäftsklima oder den Einkaufsmanagerindex. Offenbar hat die Grundgeschwindigkeit der deutschen Wirtschaft stärker nachgelassen als noch im November erwartet.
Prognose: Ohne Sondereffekte nur Stagnation im ersten Halbjahr
Die bis zuletzt gefallenden Stimmungsindikatoren legen nahe, dass die deutsche Wirtschaft im ersten Halbjahr weiter stagnieren wird (Grafik 1). Aber die Produktion der chemischen und pharmazeutischen Industrie, die bis Anfang Dezember massiv unter dem Niedrigwasser des Rheins gelitten hatte, sollte sich im ersten Quartal erholen.1
Außerdem dürfte die Autoproduktion im zweiten Quartal kräftig zulegen, nachdem die Autobauer mittlerweile wieder so viele Aufträge erhalten wie vor den WLTP-Problemen. Es sind also vor allem Sonderfaktoren, die im ersten Halbjahr für ein moderates Plus des Bruttoinlandsprodukts sorgen dürften.
Grafik 1: WLTP und Niedrigwasser verzerren Wachstum
Deutsches Bruttoinlandsprodukt, saison- und arbeitstäglich bereinigt, in Prozent zum Vorjahr, offizielle Werte sowie bereinigt um geschätzten Einfluss der WLTP-Abgastests und des Rhein-Niedrigwassers.
Kommt es zu einer Rezession?
Mit Blick auf die Unsicherheit von Konjunkturprognosen ist dennoch die Frage berechtigt, ob die deutsche Wirtschaft in den kommenden Monaten nicht doch noch in eine Rezession rutscht, das Bruttoinlandsprodukt also im Vorjahresvergleich fällt. Die Auftragseingänge sind in den zurückliegenden zwölf Monaten schließlich um rund fünf Prozent gefallen. Das Minus ist damit ähnlich ausgeprägt wie im Vorfeld zurückliegender milder Rezessionen – etwa während der Staatsschuldenkrise oder nach dem Platzen der Aktienmarktblase zu Beginn des Jahrhunderts. Unser Rezessionsradar, in das neben den Auftragseingängen das Ifo-Geschäftsklima sowie die Volatilität der Aktienkurse eingeht2, veranschlagt das Rezessionsrisiko basierend auf einem statistischen Modell mittlerweile auf 24 Prozent, wobei das Risiko schnell ansteigt (Grafik 2). Wir befinden uns in einem Graubereich zwischen einer ausgeprägten Wachstumsverlangsamung und einer Rezession.
Grafik 2: Commerzbank-Rezessionsradar bei 24 Prozent
Modellergebnisse für die Wahrscheinlichkeit eines Rückgangs des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) gegenüber dem Vorjahr; graue Schattierungen: Quartale, in denen das BIP tatsächlich fiel. Das Modell basiert auf dem Ifo-Geschäftslima für die gewerbliche Wirtschaft, dem Auftragseingang sowie dem S&P500 (beide als Vorjahresveränderung in Prozent).
Am Ende kommt es auf China an
Wenn wir am Ende an einer Rezession vorbeischrammen, dann deshalb, weil wir eine Stabilisierung der chinesischen Wirtschaft erwarten. Nachdem sich das Wachstum der deutschen China-Exporte 2018 deutlich abgeschwächt hat und damit ein wichtiger Impuls für die deutsche Wirtschaft wegfiel (Grafik 3), dürften die Exporte nach China vom Frühjahr an wieder langsam an Dynamik gewinnen. Dafür spricht das Gegensteuern der chinesischen Regierung. So hat sie diese Woche beschlossen, die Mehrwertsteuer sowie die Sozialversicherungsbeiträge für Unternehmen in einem Umfang von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu senken. Das ist das größte Steuersenkungspaket in der neueren Geschichte Chinas. Darüber hinaus hat die Regierung die Geldpolitik massiv gelockert, indem sie die Mindestreservesätze mehrfach senkte sowie Banken mehrjährige Kredite und faktisch frisches Kapital gewährte. Außerdem will sie den Handelsstreit mit den USA beilegen, der die chinesische Wirtschaft belastet.
Grafik 3: China-Exporte mit weniger Schwung
Exporte Deutschlands nach China, preisbereinigt mit dem Deflator der Euroraum-Exporte, in Prozent zum Vorjahr, gleitende 3-Monatsdurchschnitte.
Erste Indikatoren deuten darauf hin, dass der Regierung eine Stabilisierung der Konjunktur gelingen könnte. So hat sich das Wachstum der Häuserpreise in den letzten Monaten beschleunigt. Außerdem zog die Zuwachsrate der Bankkredite an.3
1 Das Institut für Weltwirtschaft schätzt, dass die niedrigen Pegelstände das Niveau des Bruttoinlandsprodukts im vierten Quartal um bis zu ¼ Prozent gedrückt hat.
2 „Deutschland: Wie steht es um die Konjunktur“, Woche im Fokus v. 15. Februar 2019.
3 Diese Stimulierungspolitik hat natürlich ihren Preis. So lässt sie die Schulden der Unternehmen weiter steigen. Außerdem verführt das viele billige Geld zu unrentablen Investitionen, was die Produktivität belastet. In diesem Sinne kauft sich die chinesische Regierung jetzt Entlastung auf Kosten der Zukunft.
Über den Autor