Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert
Großes Stühlerücken im EZB-Rat
Michael Schubert, Volkswirt bei der Commerzbank und unter anderem auf die Europäische Zentralbank spezialisiert. Commerzbank Foto: Commerzbank
Im EZB-Rat wird man sich im Laufe dieses Jahres an viele neue Gesichter gewöhnen müssen: Die Amtszeit von EZB-Präsident Draghi und zwei weiteren Mitgliedern des Direktoriums endet – und auch bei den nationalen Notenbanken werden rund die Hälfte der Präsidenten ausgetauscht. Wie ändert sich dadurch die Geldpolitik der EZB? Wird die Mehrheit der Tauben im Rat noch größer? Wird die Geldpolitik noch stärker politisiert und werden extreme Ansichten häufiger? Keine einfachen Fragen, wir versuchen dennoch Antworten zu geben.
Lane wohl Nachfolger von Praet
Die Amtszeit von drei der sechs EZB-Direktoriumsmitglieder endet dieses Jahr. Bereits Ende Mai wird EZB-Chefvolkswirt Praet seinen Hut nehmen. Sein Nachfolger wird von den Euro-Finanzministern voraussichtlich bei ihrem nächsten Treffen am 11. Februar bestimmt, wobei die formelle Entscheidung erst nach einer Anhörung im Europa-Parlament auf dem EU-Gipfel am 21. und 22. März fallen soll.
Einziger Kandidat für Praets Nachfolge ist der irische Notenbankgouverneur Philip Lane. Die Bewerbungsfrist ist am Mittwoch abgelaufen. Bevor Lane Ende 2015 Chef der irischen Notenbank wurde, war er Professor für internationale Makroökonomik am Trinity...
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Lane wohl Nachfolger von Praet
Die Amtszeit von drei der sechs EZB-Direktoriumsmitglieder endet dieses Jahr. Bereits Ende Mai wird EZB-Chefvolkswirt Praet seinen Hut nehmen. Sein Nachfolger wird von den Euro-Finanzministern voraussichtlich bei ihrem nächsten Treffen am 11. Februar bestimmt, wobei die formelle Entscheidung erst nach einer Anhörung im Europa-Parlament auf dem EU-Gipfel am 21. und 22. März fallen soll.
Einziger Kandidat für Praets Nachfolge ist der irische Notenbankgouverneur Philip Lane. Die Bewerbungsfrist ist am Mittwoch abgelaufen. Bevor Lane Ende 2015 Chef der irischen Notenbank wurde, war er Professor für internationale Makroökonomik am Trinity College in Dublin. Deshalb ist seine fachliche Eignung als EZB-Chefvolkswirt unbestritten. Der geldpolitische Kurs der EZB dürfte sich durch diesen Wechsel kaum verändern. Denn Praet und Lane haben sich zumeist sehr ähnlich zur Geldpolitik geäußert.
Draghi-Nachfolge: Wieder ein Franzose?
Spannender ist die Frage, wer Anfang November Mario Draghi als EZB-Präsident nachfolgt. Hier dürfte eine Entscheidung erst nach der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai fallen. Denn in der EU werden Posten stets möglichst gleichmäßig auf die Länder verteilt, womit die Draghi-Nachfolge auch davon abhängen wird, aus welchem Land der nächste Präsident der EU-Kommission kommen wird.
Seit der CSU-Politiker Manfred Weber zum Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) für die Europawahl gekürt wurde, ist deshalb Bundesbank-Präsident Jens Weidmann in Umfragen auch nicht mehr der Favorit auf die Draghi-Nachfolge (Grafik 1). Denn mit dem zu erwartenden Wahlsieg der EVP wäre Weber erster Anwärter auf die Nachfolge von Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident – und zwei Deutsche auf den beiden wohl wichtigsten Posten in der EU würden die anderen Länder kaum akzeptieren. Aber selbst wenn der CSU-Politiker nicht gewählt werden sollte, sind Weidmanns Chancen auf den EZB-Chefposten wohl eher gering. Denn insbesondere in den hochverschuldeten Euro-Ländern ist er alles andere als der Wunschkandidat, weil er immer wieder betont, dass die Geldpolitik nicht die Hausaufgaben der Finanzpolitik erledigen dürfe.
Grafik 1: Kopf-an-Kopf-Rennen bei Draghi-Nachfolge Umfrage von Bloomberg über die wahrscheinlichsten Kandidaten für die Nachfolge von EZB-Präsident Draghi, von Bloomberg berechnete Punktezahl1
Darum liegt Weidmann bei einer Bloomberg-Umfrage nur auf Platz 4 (Grafik 1), ohne dass es allerdings einen eindeutigen Favoriten gibt. Derzeit sehen die Umfrageteilnehmer den ehemaligen finnischen Notenbankpräsidenten Liikanen leicht vor dem französischen Notenbank-gouverneur Villeroy, gefolgt von EZB-Direktoriumsmitglied Coeure aus Frankreich. Wir würden allerdings eher auf Villeroy setzen. Bei der Kandidatenkür geht es nämlich immer darum, ausreichende Mehrheiten hinter sich zu bringen, und die europäischen Schwergewichte Frank-reich und Italien haben ein gemeinsames Interesse, dass ein Franzose EZB-Präsident wird. Zunächst einmal ist es höchst unwahrscheinlich, dass nach Draghi sofort wieder ein Italiener EZB-Präsident wird. Wenn aber ein Franzose den Posten übernimmt, könnte ein Italiener den des Franzosen Coeure im EZB-Direktorium übernehmen, dessen Amtszeit nur zwei Monate nach Draghis Amtszeit endet. Kommt der nächste EZB-Präsident dagegen aus einem anderen Land, wäre entweder Italien oder Frankreich für längere Zeit nicht im EZB-Direktorium vertreten.
Villeroy räumen wir bessere Chancen als Coeure ein, weil Letzterer derzeit schon Direktoriumsmitglied ist und laut EU-Vertrag eine Wiederernennung nicht zulässig ist. Einige Juristen sind zwar der Ansicht, dass eine Ernennung dennoch legal sei, wenn Coeure zuvor für einen gewissen Zeitraum dem Direktorium nicht angehören würde. Allerdings würde dies eindeutig gegen den Geist des EU-Vertrages verstoßen.
Sowohl Villeroy als auch Coeure rechnen wird dem Lager der Tauben im EZB-Rat zu. Allerdings ist ihre Neigung zu einer sehr expansiven Geldpolitik wohl etwas weniger ausgeprägt als bei Draghi. Beispielsweise sprachen sich beide Franzosen deutlich vor Draghi und EZB-Chefvolkswirt Praet für ein allmähliches Ende der Anleihenkäufe aus.2
Da sich auch Erkki Liikanen in seiner geldpolitischen Haltung stets etwas neutraler als Draghi präsentiert hat3, dürfte der nächste EZB-Präsident zumindest eine Spur weniger „täubisch“ eingestellt sein als der jetzige Amtsinhaber Draghi.
1 Bei der Bloomberg-Umfrage wurden die Umfrageteilnehmer gebeten, die drei wahrscheinlichsten Kandidaten für die Nachfolge von EZB-Präsident Draghi zu nennen, wobei drei Punkte für den wahrscheinlichsten Kandidaten, zwei Punkte für den zweitwahrscheinlichsten sowie einer für den drittwahrscheinlichsten vergeben werden sollten. Jedes einzelne Ergebnis wurde dann durch die maximal mögliche Punktzahl dividiert und mit 100 multipliziert.
2 „EZB-Ratsmitglied Coeure bereitet den Boden für QE-Ende“, Economic Briefing, 26.2.2018.
3 „EZB-Hawkometer: Wenn Tauben plötzlich Falken ähneln“, 24.1.2018.
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