Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert
Großes Stühlerücken im EZB-Rat
Michael Schubert, Volkswirt bei der Commerzbank und unter anderem auf die Europäische Zentralbank spezialisiert. Commerzbank Foto: Commerzbank
Im EZB-Rat wird man sich im Laufe dieses Jahres an viele neue Gesichter gewöhnen müssen: Die Amtszeit von EZB-Präsident Draghi und zwei weiteren Mitgliedern des Direktoriums endet – und auch bei den nationalen Notenbanken werden rund die Hälfte der Präsidenten ausgetauscht. Wie ändert sich dadurch die Geldpolitik der EZB? Wird die Mehrheit der Tauben im Rat noch größer? Wird die Geldpolitik noch stärker politisiert und werden extreme Ansichten häufiger? Keine einfachen Fragen, wir versuchen dennoch Antworten zu geben.
Noch mehr Tauben …
Trotzdem dürfte es nach dem Ausscheiden Draghis kaum einen spürbaren Wechsel in der Geldpolitik geben. Denn auch bei den nationalen Notenbankpräsidenten ist ein großes Stühlerücken im Gange. Und auf Basis der aktuell zur Verfügung stehenden Informationen vermuten wir, dass unter dem Strich im EZB- Rat die bestehende Mehrheit der Tauben eher noch größer werden dürfte.
So läuft bei sechs nationalen Präsidenten die Amtszeit 2019 aus (Grafik 2) und nur die von Bundesbankpräsident Weidmann dürfte verlängert werden. Zudem sind vier Ratsmitglieder erst vor kurzem neu hinzugekommen: der Spanier Hernandez de Cos, der Finne Rehn, der Belgier Wunsch sowie...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Noch mehr Tauben …
Trotzdem dürfte es nach dem Ausscheiden Draghis kaum einen spürbaren Wechsel in der Geldpolitik geben. Denn auch bei den nationalen Notenbankpräsidenten ist ein großes Stühlerücken im Gange. Und auf Basis der aktuell zur Verfügung stehenden Informationen vermuten wir, dass unter dem Strich im EZB- Rat die bestehende Mehrheit der Tauben eher noch größer werden dürfte.
So läuft bei sechs nationalen Präsidenten die Amtszeit 2019 aus (Grafik 2) und nur die von Bundesbankpräsident Weidmann dürfte verlängert werden. Zudem sind vier Ratsmitglieder erst vor kurzem neu hinzugekommen: der Spanier Hernandez de Cos, der Finne Rehn, der Belgier Wunsch sowie der Slowene Vesla. Schließlich werden der Franzose Villeroy und der Ire Lane vermutlich ins Direktorium aufrücken, so dass nochmals zwei neue Gesichter hinzukommen. Insgesamt dürften damit bis Ende 2019 11 der insgesamt 19 Notenbankpräsidenten neu sein.
Grafik 2: Bald viele neue Gesichter im EZB-Rat Amtszeiten im EZB-Rat; vor kurzem neu hinzugekommene Mitglieder = Kreis mit durchgezogener Linie; möglicher Wechsel ins Direktorium = Kreis mit gepunkteter Linie
Dabei werden aller Voraussicht nach zwei der ohnehin nicht zahlreichen Falken aus dem EZB-Rat ausscheiden (Hansson aus Estland und Rimsevics aus Lettland4). Zudem werden drei von uns als „neutral“ eingestufte Ratsmitglieder den Rat verlassen oder haben dies vor kurzem getan (Liikanen aus Finnland, Jazbec aus Slowenien, Makuch aus der Slowakei).
Auf der anderen Seite haben sich die nachrückenden Notenbankpräsidenten bisher eher täubischer als ihre Vorgänger geäußert. So hat sich der Finne Olli Rehn für eine geänderte geldpolitische Strategie eingesetzt, die eine langanhaltend expansive Politik ermöglicht. Pierre Wunsch aus Belgien hatte sich bereits letztes Jahr für den Fall einer weiteren Abschwächung der Konjunktur für eine Verschiebung der ersten Zinserhöhung nach hinten ausgesprochen. Ähnlich äußerte sich auch der Slowene Vesla. Er warnte zudem, dass die Banken sich wegen der anhaltenden Unsicherheiten bei der Kreditvergabe zurückhalten würden.
… und mehr Politiker?
Die in den Medien immer wieder thematisierte zunehmende Politisierung des EZB-Rats sehen wir hingegen nicht. Zwar hatten einige der neuen Mitglieder des Rats wie EZB-Vizepräsident Luis de Guindos, der Slowake Peter Kazimir (Nachfolger von Makuch) und der Finne Olli Rehn zuvor wichtige Posten in der Politik inne. Allerdings hat es solche Fälle auch in der Vergangenheit immer wieder gegeben, und wir haben nicht den Eindruck, dass sie zugenommen haben. Zudem gibt es Gegenbeispiele: Der Spanier Hernandez de Cos und der Belgier Wunsch atmeten vor ihrer Nominierung schon ausgiebig Zentralbank-Stallgeruch.
Allerdings gibt es Anzeichen, dass sich das Erstarken populistischer Parteien in Europa auch im künftigen EZB-Rat widerspiegeln wird. Ein Beispiel ist Robert Holzmann. Er wurde am Mittwoch – auf Vorschlag der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) – als Nachfolger von Ewald Nowotny bei der österreichischen Zentralbank berufen. Holzmann gilt als ausgewiesener Pensionsexperte und als wirtschaftsliberal und hatte bisher mit Geldpolitik nichts zu tun. Der Nachfolger von Josef Makuch (Slowakei), Peter Kazimir, wurde bekannt durch seine rigorose Haushaltspolitik sowie für seine sehr harte Haltung bei den Verhandlungen der Eurozone mit dem verschuldeten Griechenland. Durch sie könnten sich nicht nur die Diskussionen im EZB-Rat kontroverser gestalten, sondern auch bei den öffentlichen Äußerungen der Ratsmitglieder dürften die bestehenden Meinungsunterschiede stärker zu Tage treten als dies bisher der Fall war.
(Teilweise) neues Personal – unveränderte Politik
Alles in allem dürften die Tauben damit den EZB-Rat weiter dominieren. Rein zahlenmäßig werden sie im Verlauf dieses Jahres ihre Mehrheit sogar ausbauen, was die voraussichtlich etwas neutralere Ausrichtung des neuen EZB-Präsidenten wohl zumindest ausgleichen dürfte. Damit wird der personelle Wechsel wohl auch keine Änderung in der grundsätzlichen Ausrichtung der Geldpolitik im Euroraum bringen, sondern neben der Preisentwicklung dürfte weiterhin die Sorge um den Zusammenhalt der Währungsunion das Vorgehen der EZB bestimmen. Folglich wird die EZB auch weiterhin Rücksicht auf die hohe Verschuldung zahlreicher Euro-Länder nehmen und deshalb die Zinsen möglichst niedrig halten.
Wir gehen weiter davon aus, dass die EZB auch unter dem Eindruck der zuletzt schwächeren Konjunktur im Frühjahr neue langfristige Tender ausschreiben wird, also noch einmal einen expansiven Impuls geben wird. Zinserhöhungen stehen hingegen noch lange nicht an. Anders als der Konsens rechnen wir nicht damit, dass die EZB ihren Einlagesatz bereits in diesem Jahr anheben wird.
4 Rimsevics nimmt schon derzeit nicht an den Ratssitzungen teil, weil gegen ihn in Lettland ein Gerichtsverfahren läuft.
Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?
Über den Autor