Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert
EZB-Politiker gefangen in der Zinsspirale
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Im November übergibt Mario Draghi den EZB-Vorsitz an Christine Lagarde. Foto: Commerzbank
Die Europäische Zentralbank führt voraussichtlich einen Staffelzins ein und kauft weiter fleißig Anleihen. Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert hält davon nicht viel.
Der EZB-Rat hat bei seiner letzten Sitzung Ende Juli Arbeitsgruppen beauftragt, Vorschläge für eine weitere Lockerung der Geldpolitik zu unterbreiten. Auf der Sitzung am Donnerstag will der Rat dann auf Basis der neuen Wachstums- und Inflationsprojektionen entscheiden, was zu tun ist.
Da die Notenbank ihre Wachstumsprognose merklich und die Inflationsprognose etwas nach unten revidieren dürfte (...
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Der EZB-Rat hat bei seiner letzten Sitzung Ende Juli Arbeitsgruppen beauftragt, Vorschläge für eine weitere Lockerung der Geldpolitik zu unterbreiten. Auf der Sitzung am Donnerstag will der Rat dann auf Basis der neuen Wachstums- und Inflationsprojektionen entscheiden, was zu tun ist.
Da die Notenbank ihre Wachstumsprognose merklich und die Inflationsprognose etwas nach unten revidieren dürfte (siehe Tabelle unten), wird sie den Worten im Juli nun wohl Taten folgen lassen. Wir gehen davon aus, dass sie den Einlagezins von -0,4 auf -0,6 Prozent senken wird. Zudem dürfte sie die Einführung eines Staffelzinses ankündigen sowie die Nettoanleihenkäufe wieder aufnehmen. Bei Letzteren ist ein monatliches Kaufvolumen in einer Größenordnung von 40 Milliarden Euro über zunächst neun Monate zu erwarten, wobei die Zusammensetzung der Käufe ähnlich ausfallen dürfte wie bisher. Dies heißt auch, dass wir Käufe von Aktien, über die immer wieder spekuliert wurde, bis auf weiteres für unwahrscheinlich halten.
Kritische Äußerungen der geldpolitischen Falken Lautenschläger, Weidmann, Knot, Holzmann und Müller in Hinblick auf neue Anleihenkäufe zeigen, dass diese umstrittener sind als etwa eine Zinssenkung. Deswegen ist das Risiko größer, dass die Maßnahmen der EZB eher etwas hinter unseren Erwartungen zurückbleiben als dass sie diese übertreffen. Aber die Mehrheit im Rat dürfte davon überzeugt sein, dass die Notenbank nur mit einem Paket von Maßnahmen erfolgreich signalisieren kann, dass sie alles in ihrer Macht stehende unternehmen will, um ihr Inflationsziel ohne Verzögerung zu erreichen. Wie bisher dürfte die Notenbank betonen, dass sich die einzelne Elemente des Pakets in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken.
Für ein Bündel von Maßnahmen spricht auch, dass die EZB wieder in erster Linie auf einen spürbaren Effekt an den Finanzmärkte abzielen wird. Die meisten Ratsmitglieder dürften davon überzeugt sein, dass sich die Stimmung bei Investoren dann besonders bessert, wenn die Notenbank die Erwartungen übertrifft. Denn sie will verhindern, dass Zweifel an ihrer Entschlossenheit zum Handeln aufkommen. Sie will die Finanzmärkte kurzfristig stimulieren, dadurch die allgemeine Stimmung verbessern, und wohl auch durch einen schwächeren Euro einen schnellen positiven Effekt erzielen – auch wenn sie dies offiziell bestreitet.
Dabei ist sich die EZB offenbar durchaus bewusst, dass die positive Wirkung ihrer Maßnahmen nachlässt. So fragt sie in ihrem "Survey of Monetary Analysts", wo exakt die Teilnehmer der Umfrage die Untergrenze bei den Leitzinsen sehen. Schließlich betonen die EZB-Ratsmitglieder schon seit vielen Jahren, dass die Nebeneffekte der expansiven Geldpolitik zunehmen, je länger diese andauert. Die Angst vor einer Verstärkung dieser Nebeneffekte ist ohne Frage auch der Grund dafür, dass die Notenbank wie oben schon angedeutet im Falle einer erneuten Zinssenkung ein Staffelzinssystem zur Entlastung der Banken von Strafzinsen bekannt geben will.
Trotz dieser offensichtlichen Zweifel zeigt sich die EZB überzeugt, dass neue Maßnahmen der Wirtschaft per Saldo einen zusätzlichen Schub geben werden. So hatte EZB-Präsident Draghi auf der letzten Pressekonferenz betont, dass die Notenbank bisher keine Hinweise auf eine negative Gesamtwirkung der expansiven Geldpolitik auf die Profitabilität der Banken erkennen könne. In diesem Zusammenhang verweist die EZB auf die bis zuletzt leicht anziehende Kreditvergabe gerade in den Ländern, in denen die Banken eine nennenswerte Überschussliquidität aufweisen und deshalb unter dem negativen Einlagesatz leiden. Ferner macht die notenbank auf ihren Bank Lending Survey aufmerksam, nach dem die Kreditvergabe vom negativen Einlagezins bisher sogar positiv beeinflusst wurde, wobei allerdings die aktuellen Antworten der Banken zu dieser Frage vom März stammen.
Auch wenn sich die negativen Nebenwirkungen bisher in Grenzen gehalten haben, heißt dies nicht, dass dies auch auf Dauer zu erwarten ist. Dies gilt insbesondere, wenn die Zinsen weiter in den negativen Bereich gedrückt werden und damit auf jeden Fall der Punkt näher rückt, in dem die negativen Effekte zusätzlicher Maßnahmen überwiegen.
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