Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert
EZB-Politiker gefangen in der Zinsspirale
Aktualisiert am 17.03.2020 - 15:34 Uhr
Im November übergibt Mario Draghi den EZB-Vorsitz an Christine Lagarde. Foto: Commerzbank
Die Europäische Zentralbank führt voraussichtlich einen Staffelzins ein und kauft weiter fleißig Anleihen. Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert hält davon nicht viel.
Dies gilt umso mehr, als die aktuelle Schwäche der Euro-Wirtschaft überwiegend auf externe Gründe wie die Handelskonflikte und die – auch deshalb – schwächere Nachfrage aus China zurückzuführen ist, an denen eine noch lockerere Geldpolitik nichts ändern kann. Die Stimmung aufzuhellen, solange die Ursachen für die Verschlechterung fortbestehen, dürfte sich als schwierig erweisen.
Zudem dürfte der positive Effekt niedriger Zinsen mit der Zeit abnehmen. Ein wichtiger Wirkungskanal ist zum Beispiel, dass Konsumenten wegen des tiefen Zinsniveaus weniger sparen und zukünftigen Konsum vorziehen. Wenn aber die Zinsen auf Jahre extrem niedrig sind, haben Konsumenten irgendwann alle Konsumausgaben...
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Dies gilt umso mehr, als die aktuelle Schwäche der Euro-Wirtschaft überwiegend auf externe Gründe wie die Handelskonflikte und die – auch deshalb – schwächere Nachfrage aus China zurückzuführen ist, an denen eine noch lockerere Geldpolitik nichts ändern kann. Die Stimmung aufzuhellen, solange die Ursachen für die Verschlechterung fortbestehen, dürfte sich als schwierig erweisen.
Zudem dürfte der positive Effekt niedriger Zinsen mit der Zeit abnehmen. Ein wichtiger Wirkungskanal ist zum Beispiel, dass Konsumenten wegen des tiefen Zinsniveaus weniger sparen und zukünftigen Konsum vorziehen. Wenn aber die Zinsen auf Jahre extrem niedrig sind, haben Konsumenten irgendwann alle Konsumausgaben vorgezogen; eine weitere Lockerung der Geldpolitik wirkt dann nicht mehr. Es wird, je länger die Niedrigzinsphase anhält, sogar immer wahrscheinlicher, dass die Verbraucher weniger konsumieren, weil sie wegen der Aussicht auf dauerhaft niedrige Zinseinnahmen für das Alter mehr sparen.
Schließlich besteht zunehmend die Gefahr, dass negative Zinsen zwar kurzfristig möglicherweise noch positiv wirken, längerfristig aber einen negativen Effekt haben. Zum einen kann es für eine Wirtschaft nicht auf Dauer gesund sein, wenn wegen extrem niedriger Finanzkosten sich sogar Investitionen mit Nullertrag lohnen und sich unrentable "Zombie"-Unternehmen nur wegen der niedrigen Zinsen am Leben erhalten.
Zum anderen besteht wegen der immer verzweifelteren Jagd nach Rendite eine zunehmende Gefahr von Blasen an den Finanzmärkten, deren Platzen erhebliche negative Folgen haben wird. Schließlich sind drei der insgesamt vier im EZB-Finanzstabilitätsbericht identifizierten Hauptrisiken zumindest indirekt eine Folge der expansiven Geldpolitik:
- Die globalen Spreads für Unternehmensanleihen befinden sich auf den Tiefstständen vor der Krise;
- die immer mehr zunehmende Jagd nach Rendite im finanziellen Nichtbankensektor,
- die sehr hohe Staatsverschuldung;
- der Bankensektor ist mit hohen operativen Kosten konfrontiert.
Auf den Zusammenhang zu ihrer eigenen Politik geht die EZB allerdings nicht ein. Vielmehr betont sie, dass Blasen an den Finanzmärkten nicht mit den eher grobgestrickten Mitteln der Geldpolitik zu bekämpfen seien, sondern mithilfe makroprudenzieller Maßnahmen.
Die Tücken des Staffelzinses
Auf der letzten Pressekonferenz Ende Juli hatte EZB-Päsident Draghi
betont, dass die EZB im Falle einer Zinsenkung Ausgleichsmaßnahmen ergreifen wird. Er erwähnte dabei nur einen Staffelzins. Darum gehen wir davon aus, dass die EZB wohl solch einen Staffelzins ankündigen wird, also für jede Bank Freibeträge einführt, auf die die EZB keinen negativen Einlagezins erhebt.
Entscheidend für die Wirkung dieser Maßnahmen wird ihre genaue Ausgestaltung sein. Diese Entscheidung dürfte stark davon beeinflusst werden, dass die Überschussliquidität im Euroraum und damit auch die Kosten, die den Banken durch den negativen Einlagesatz in den einzelnen Euro-Ländern entstehen, höchst ungleich verteilt ist. So konzentrieren sich 75 Prozent der Überschussliquidität auf die vier Länder Deutschland, Frankreich, Niederlande und Luxemburg. Die Banken in diesen Ländern würden also zunächst besonders vom Staffelzins profitieren – was nicht unbedingt im Interesse einer Mehrheit der Euro-Länder sein dürfte.
Die positiven Effekte des Staffelzinses könnte die EZB dadurch gleichmäßiger auf die Banken im Euroraum verteilen, dass sie etwa wie in der Schweiz den Freibetrag für jede Bank als Vielfaches ihres Mindestreservesolls berechnet. In der Schweiz hat dies nach einer Untersuchung der Schweizer Nationalbank den Geldmarkt belebt, weil Banken ihre nach Ausschöpfung des Freibetrages verbleibende Liquidität an Banken weiterleiten, die noch über ungenützte Freibeträge verfügen. Als Resultat nutzen fast alle Banken ihre Freibeträge aus, profitieren also auch alle von dem Staffelzins.
Damit könnte ein derart ausgestalteter Staffelzins die EZB sogar ihrem Ziel näher bringen, den länderübergreifenden Interbankenmarkt wieder anzukurbeln. Allerdings ist fraglich, ob der Geldmarkt im Euroraum tatsächlich so wie in der Schweiz belebt würde. Vielmehr könnte die Fragmentierung des Euro-Geldmarktes länderübergreifende Transaktionen verhindern und in den Euro-Ländern, deren Banken über ungenützte Freibeträge verfügen, zu einem von der EZB nicht gewünschten Anstieg der Zinsen führen. Die EZB vertritt zwar die Auffassung, dass Fragmentierung im Euroraum kein großes Problem mehr darstellt. Aber aus Vorsichtsgründen dürfte sie Freibeträge nur sehr zurückhaltend einführen, um die Reaktion der Geldmarktzinsen zu beobachten und einen unerwünschten Anstieg so zu verhindern. Damit würde aber die eigentlich erwünschte Entlastung der Banken zunächst nur gering ausfallen. Da die EZB zudem sicherlich Probleme bei der am 2. Oktober erfolgenden Umstellung des Euro Over Night Index Average (EONIA) auf den neuen Referenzsatz „€STR“ verhindern will, gehen wir davon aus, dass die EZB zwar am Donnerstag einen Staffelzins ankündigen wird, dieser aber erst Ende Oktober, also zum Beginn der übernächsten Reserveperiode, Anwendung finden wird.
1 Hierfür sprechen eine Reihe von Gründen:
• Einige geldpolitischen Falken (Lautenschläger, Weidmann, Knot, Holzmann) haben sich gegen eine Neuauflage von QE ausgesprochen. Es ist ein Zugeständnis an diese Gruppe, auf Aktienkäufe zu verzichten, um auf diese Weise das Kaufprogramm nicht noch zusätzlich aufzuwerten.
• Verzichtet die EZB wegen der Ankaufsobergrenze für Staatsanleihen auf weitere Käufe in diesem Segment und erwirbt stattdessen Aktien, entstände der Eindruck, dass ihr die Munition ausgegangen ist.
• Aktienkäufe der EZB könnten als nicht zulässige Industriepolitik verstanden werden, die zudem noch die Gruppe von Großunternehmen gegenüber der im Euroraum sehr wichtigen Gruppe der kleinen und mittleren Unternehmen bevorzugt.
• Aktienkäufe wirken über den Vermögenseffekt, d.h. es wird mehr konsumiert, weil sich Halter von Aktien aufgrund gestiegener Kurse reicher fühlen. Da das Halten von Aktien im Euroraum aber nicht weit verbreitet ist, dürfte dieser Effekt eher gering ausfallen.
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