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Aktualisiert am 20.03.2020 - 17:42 Uhrin AnalysenLesedauer: 6 Minuten

Coronavirus und ungesundes Framing „Aus dem Schlagzeilen-Wust das Seriöse vom Unseriösen unterscheiden“

Thailändische Post-Mitarbeiter desinfizieren Pakete, Pressevertreter schauen zu: Morningstar-Mann Ali Masarwah ärgert sich über "alarmistische Berichterstattung" in Zusammenhang mit dem Coronavirus.
Thailändische Post-Mitarbeiter desinfizieren Pakete, Pressevertreter schauen zu: Morningstar-Mann Ali Masarwah ärgert sich über "alarmistische Berichterstattung" in Zusammenhang mit dem Coronavirus. | Foto: imago images / ZUMA Wire
Ali Masarwah
Foto: Morningstar

Ich muss gestehen, dass ich seit meiner Kindheit ein gespaltenes Verhältnis zu Boulevardmedien habe; „Bild“ hätte mir um ein Haar den Sommerurlaub meines Lebens versaut. Es war im Jahr 1979. Die US-Raumstation Skylab geriet außer Kontrolle und drohte unkontrolliert auf die Erde zu stürzen. Die NASA versuchte zwar, Skylab über auf das offene Meer abstürzen zu lassen, aber es war nicht sicher, ob das gelingen würde. Prompt war auf Seite 1 der Zeitung mit den großen Buchstaben zu lesen, dass Skylab über Deutschland abzustürzen drohe, ich meine sogar, dass die Region Frankfurt benannt wurde. Da ich zu der Zeit in Frankfurt sein wollte, waren meine Eltern drauf und dran, meine Reise zu stornieren. „Was passiert, Junge, wenn dir Skylab auf den Kopf stürzt?“, waren die bangen Worte meiner Mutter. Ich konnte mich – Gott sei Dank – durchsetzen, und ich erlebte den Sommer meines Lebens. (Skylab stürzte im Juli 1979 über irgend einen Ozean ab, und ich weiß nicht, ob „Bild“ darüber berichtete.) 

Schnitt. Gut 40 Jahre später fand ich mich Ende vergangener Woche gefühlt im Frühsommer 1979 wieder. Das Coronavirus, längst in China und Asien manifest, breitete sich rasant in Europa aus. Ab Montag vergangener Woche erreichte das Bewusstsein der Risiken einer Pandemie Kapitalmarktanleger in Europa und den USA. Die Börsen reagierten so, wie es bei Krisen häufig der Fall ist: mit hohen Kursverlusten. Am Ende der Woche stand bei den meisten Aktien-Indizes unter dem Strich ein niedriges zweistelliges Minus. Das war bemerkenswert.

Wenn schwarze Schwäne zum Massenphänomen werden

Es kam, wie es kommen musste. Etliche Medien berichteten vom „Schwarzen Freitag“, von „Schwarzen Schwänen“ und von „abstürzenden Börsen“. Erst recht ging es in den sozialen Medien hoch her, die inzwischen für viele die erste Informationsquelle sind. Eine Google-Stichwortsuche „Corona Crash“ förderte in 0,41 Sekunden fast 47 Millionen Ergebnisse zutage. 

Alarmismus in den Medien ist ein Problem für Anleger. Oft merken sie nicht, dass sie durch eine gezielte Wortwahl und Bildersprache, man nennt es auch Framing, in ihrer Wahrnehmung beeinflusst werden. Das galt auch für die bisherige Coronavirus-Berichterstattung. Es wurde ein klarer Krisen-Rahmen für die Ereignisse gesetzt. Das passierte auf wenig subtile Weise. Alles, was nach dem Stichwort „Crash“ gelesen wird, wird unter den Vorzeichen gelesen: Drama, Terror, Krise. Wer von „abstürzenden“ Börsen fabuliert oder anders dramatisiert, legt es darauf an, Panik zu verbreiten.

Und natürlich wissen wir alle, dass Panik ein sehr schlechter Ratgeber ist.

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Wer sich von Weltuntergangsmeldungen anstecken ließ und am Freitag vergangener Woche Aktien verkaufte, realisierte Buchverluste und verpasste das Plus von vier bis fünf Prozent (USA) und die zaghaftere Erholung in Europa bis Dienstag. Gerade nach hohen Kursverlusten schnellen die Märkte in der Folgezeit nach oben (ob nachhaltig oder nicht, sei hier dahingestellt). Wer in Panik verkauft, hat die Verluste realisiert und verpasst die Erholung danach.

Natürlich haben nicht alle Medien und Blogs unreflektiert Panik geschürt. Einige haben besonnen agiert und sogar hervorgehoben, dass Anleger bei Verlusten auch antizyklisch Positionen aufbauen können. (Hier seien lobend die FAZ und die Financial Times erwähnt.). 

Das bringt uns unumwunden zur Frage: Cui Bono, wem nutzt es? Die Frage ist schnell beantwortet. Die meisten Medien sind Gewinn-orientierte Unternehmen, die von der verkauften Auflage (Print) bzw. von Clicks (Online) leben. Da eine zugespitzte Nachricht mehr Kaufinteresse weckt als eine vermeintlich langweilige Verlaufsmeldung, werden sich viele Medien für die dramatischere Darstellung der Ereignisse entscheiden. Das widerspricht zwar dem Geist und oft auch dem Wort des Pressekodex, ist aber dennoch gang und gäbe. (Dass es sich bei vielen Medien offenbar noch nicht herumgesprochen hat, dass man mit der bloßen Wahl der verwendeten Wörter oder Bilder einen Kontext schafft und Deutungen implizit vornimmt, macht die Sache nicht besser.). 

Die alarmistische Berichterstattung in einigen Medien zum Coronavirus war auch aus einem anderen Grund ärgerlich. Sie spielte den so genannten Crash-Gurus in die Hände, weil sich die Medien deren Wortwahl zu eigen machten. Dadurch dürften sie den schamlosen Marktschreiern, die mit Krisengerede und Chaos-Prophezeiungen ihre Bücher, ihre Fonds oder Gold verkaufen wollen, einen guten Dienst erwiesen haben. „Wenn schon die Zeitungen die Kursverluste als Crash bezeichnen, dann ist ja vielleicht doch etwas dran an der Crash-Prognose von XY?“, werden sich so manche Medien-Konsumenten gefragt haben. (Ich nenne hier bewusst keine Namen.) 

Auch Berater und Fondsanbieter haben ihre eigene Agenda

Anleger haben es also nicht leicht. Sie müssen aus dem Wust an Schlagzeilen das Seriöse vom Unseriösen unterscheiden und die Fakten aus dem Crash-Frame lösen. Leider hilft die Unterscheidung zwischen „Qualitätsmedien“ und „Boulevard“ nur bedingt weiter. Anleger müssen lernen, ihre Investment-These unbeirrt unter unguten Rahmenbedingungen faktenbasiert zu überprüfen und sich nicht von der Tageshektik der Märkte beinflussen zu lassen. Gute Selbstentscheider können nüchtern abwägen und die für sie richtigen Entscheidungen treffen. Wer sich das nicht zutraut, sollte sich unbedingt an einen Berater seines Vertrauens wenden.

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