Finanzstabilität der Lebensversicherer „Das Krisenjahr 2020 hat die Risikopuffer deutlich belastet“
Wie krisenfest sind die deutschen Lebensversicherer? Dieser Frage widmeten sich jetzt wieder die Analysten der Frankfurter Policen-Direkt-Gruppe, der am Zweitmarkt für Lebensversicherungen aktiv ist und ein Policen-Bestandsvolumen von rund 1 Milliarde Euro verwaltet.
Die für die Aufsicht relevante Solvenzquote der deutschen Lebensversicherer beträgt den Branchenbeobachtern zufolge im Durchschnitt knapp 390 Prozent. Damit liegen sie knapp 10 Prozentpunkte unter dem Vergleichswert der Studie aus dem vergangenen Jahr.
Versicherer in Manndeckung
Und 17 Gesellschaften befinden sich jetzt in sogenannter „enger Manndeckung“ der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Das sind vier Lebensversicherer mehr als im vergangenen Jahr.
Die Nettoquote ohne bilanzielle Hilfen und Übergangsmaßnahmen liegt knapp 20 Prozent unter dem Vorjahresschnitt. Die Zahl der Unternehmen, die vor sehr großen Herausforderungen steht, ist nahezu unverändert.
Risikopuffer deutlich belastet
„Covid-19 fordert Lebensversicherer auch in ihrer Finanzstabilität. Das erste Krisenjahr hat die Risikopuffer der Gesellschaften deutlich belastet“, sagt Henning Kühl, Versicherungsmathematiker und Leitender Aktuar von Policen Direkt mit Blick auf die aktuellen Solvenzquoten.
„Vor allem das weiter gesunkene Zinsniveau hat zu einer Erhöhung der Kapitalanforderungen oder zu einem Rückgang bei den anrechnungsfähigen Eigenmitteln geführt. Das hat Auswirkungen auf die Solvenzquoten", erklärt Kühl weiter.
Bilanzielle Hilfen beantragt
Die Gesellschaften verzeichnen bei der aufsichtsrelevanten Quote teils deutliche Rückgänge. Um ihre Finanzstabilität zu sichern, haben die Anbieter auch weitere bilanzielle Hilfen wie Volatilitätsanpassungen oder Übergangsmaßnahmen bei der Bafin beantragt.
Gleichzeitig zeigt sich die Branche alarmiert: Man will angesichts der immer noch unklaren Lage schnell auf weitere Änderungen der Finanz- und Risikolage reagieren können. Versicherer haben Krisenstäbe gebildet und führen regelmäßig spezielle Covid-19-Stresstests durch.
Mit derartigen zusätzlichen Berichtsinstrumenten wollen die Unternehmen die Situation fortlaufend analysieren und gegebenenfalls Maßnahmen ergreifen können. Zurückhaltend zeigen sich Versicherer in den Solvenzberichten mit Blick auf die Entwicklung des Neugeschäftes.
Wichtige Daten im Vergleich
Hallo, Herr Kaiser!
Kennzahl | 2020 | 2019 |
Aufsichtsrelevante Bruttoquote | 390 % | 428 % |
Nettoquote plus Volatilitätsanpassungen (+VA) | 234 % | 279 % |
Nettoquote | 211 % | 256 % |
Mindestanforderung: MCR-Quote Netto | 567 % | 716 % |
Versicherer mit Nettoquote +VA < 100% | 15 | 9 |
Versicherer mit Nettoquote < 100% | 17 | 13 |
Versicherer mit Mindestquote (MCR-Netto) < 100% | 13 | 7 |
Versicherer, die Übergangsmaßnahmen beantragten | 60 | 58 |
Versicherer, die Volatilitätsanpassungen beantragten | 67 | 59 |
Nach Angaben der Studienautoren haben sich 67 Versicherer bei der relevanten Nettoquote +VA im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert, 15 hingegen verbessert. Die bei der Bafin beantragten Übergangsmaßnahmen verbessern die Quoten im Schnitt um 156 Prozentpunkte (2019: 148).
Auf seiner Solvenzquotenübersicht veröffentlicht Policen Direkt die relevanten Solvenzquoten inklusive Verlinkung zu den Solvenzberichten der Lebensversicherer im Vergleich seit Einführung der Transparenzpflicht.
Anbieter mit Risikopuffern
Die Analyse der Solvenzquoten ohne Übergangsmaßnahmen mit Volatilitätsanpassungen (Nettoquote +VA) blendet kurzfristige Marktentwicklungen eher aus, weil sie die Volatilitätsanpassungen mit einbezieht. Diese Bilanzierungshilfen berücksichtigen, dass Lebensversicherer ihr Kapital langfristig anlegen und damit kurzfristige Schwankungen und Schocks eher aussitzen können.
Die Solvenzquoten zeigen, dass kleinere Versicherer mit hohem Garantiebestand und diejenigen, die bereits in der Vergangenheit nur mit Übergangsmaßnahmen eine Solvenzquote von über 100 Prozentpunkten erreicht haben, jetzt vor noch größeren Herausforderungen stehen.
Wie die Korridor-Analyse verdeutlicht, geht es hier mitunter darum, überhaupt noch Neugeschäft zeichnen zu können. Laut Bafin-Exekutivdirektor Frank Grund könnten Versicherer hierbei in den nächsten Jahren große Schwierigkeiten bekommen und damit ihre Lizenz für das Neugeschäft riskieren.
Neugeschäft noch möglich?
22 Unternehmen stehen mit einer Solvenzquote ohne Bilanzierungshilfen (Nettoquote +VA) von unter 150 Prozent (2019: 19) aktuell vor großen Herausforderungen. Hier geht es um bestehende Garantieanforderungen und darum, sich in Zukunft überhaupt noch Neugeschäft leisten zu können.
Bei 39 Unternehmen (2019: 29) mit einer Nettoquote +VA von 150 bis 300 Prozent sieht Kühl die finanzielle Stabilität weitgehend gewährleistet und gerüstet für Extremszenarien. Sie sind in der Lage, den eingegangenen Versprechen auch in Zukunft nachzukommen.
21 Unternehmen (2019: 36) sind aufgrund ihrer vergleichsweise komfortablen Solvenzkapitalausstattung mit einer Nettoquote +VA von mehr als 300 Prozent sehr gut gewappnet und können weitere Verschärfungen der Lage bewältigen oder im Neugeschäft weitreichende Zusagen geben.
Wie ein Unternehmen letztlich vorhandene Puffer nutzt, ist laut Kühl Teil der Unternehmensstrategie.