Das Produktivitätsparadox
Mehr Innovationen, weniger Wachstum – wie das zusammenpasst
Roger Bayston und Patrick Klein von Franklin Templeton glauben, dass vor allem Routinearbeitsplätze der kommenden Automatisierungswelle zum Opfer fielen. Foto: Franklin Templeton
Wir leben in einem Zeitalter enormer technologischer Veränderungen. Doch laut Statistiken zur Arbeitsproduktivität tragen diese Veränderungen erstaunlich wenig dazu bei, die Arbeit produktiver zu machen.
Das Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie
In Abbildung 2 erkennt man für die aktuelle IT-Revolution (Computerchips, Software und Telekommunikation) eine ähnliche Produktivitätsentwicklung. Das erste kommerzielle Computermodell kam in den 1950er-Jahren auf den Markt, 1984 gefolgt vom Macintosh, dem Personal Computer von Apple für den Massenmarkt. Dennoch blieb das Wachstum der Arbeitsproduktivität bis Anfang der 1990er-Jahre schwach. Dieser scheinbare Widerspruch wurde als Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie bezeichnet und von Robert Solow im Jahr 1987 bekannt gemacht: Ihm zufolge war das Computerzeitalter überall erkennbar, außer in den...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Das Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie
In Abbildung 2 erkennt man für die aktuelle IT-Revolution (Computerchips, Software und Telekommunikation) eine ähnliche Produktivitätsentwicklung. Das erste kommerzielle Computermodell kam in den 1950er-Jahren auf den Markt, 1984 gefolgt vom Macintosh, dem Personal Computer von Apple für den Massenmarkt. Dennoch blieb das Wachstum der Arbeitsproduktivität bis Anfang der 1990er-Jahre schwach. Dieser scheinbare Widerspruch wurde als Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie bezeichnet und von Robert Solow im Jahr 1987 bekannt gemacht: Ihm zufolge war das Computerzeitalter überall erkennbar, außer in den Produktivitätsstatistiken.8
Doch warum kehrte das Wachstum der Arbeitsproduktivität dann im Jahr 1995 zurück? Der Harvard-Professor Dale Jorgenson weist auf zwei Faktoren hin: die zunehmende Produktivität der IT-Herstellungsprozesse sowie die darauf folgenden massiven Investitionen durch US-Unternehmen in die preiswertere Hardware und Software.9 Die Wachstumsphase begann mit der Verdopplung der Integrationsdichte bei Computerchips alle 18 bis 24 Monate, was auch als mooresches Gesetz bekannt ist. Die Kosten der Unternehmen für die Investition in Hard- und Software gingen in spektakulärem Ausmaß zurück, weil mit einem gleich großen Produktionsfaktor (Arbeit) auf einmal mehr Rechenleistung hergestellt werden konnte. Darauf reagierten US-Unternehmen mit massiven Investitionen in die neuerdings erschwingliche IT-Ausrüstung, was wiederum ergänzende Veränderungen an der geschäftlichen Organisation und am Personal zur Folge hatte. Dies wirkte sich auf die Art und Weise aus, wie die neuen Technologien zum Nutzen des Geschäfts eingesetzt wurden.
Das Versprechen der Automatisierung
Nach 2004, als praktisch jede Branche und jeder Wirtschaftssektor auf Computer umgestellt hatte, verlangsamte sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität in den USA wieder.
Mit Blick in die Zukunft sind wir der Ansicht, dass auch die Automatisierung eines Tages eine weltweite Zunahme der Arbeitsproduktivität auslösen wird, die mit der in Abbildung 2 dargestellten Ära der transportablen Energiequellen vergleichbar ist. Damals beschleunigte sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität in der Vorkriegszeit zwischen 1933 und 1940 erneut.
Unserer Meinung nach wird es für führende globale Unternehmen aufgrund der raschen Entwicklungen beim maschinellen Lernen und in der Robotik einfacher, ihre Produktivität zu steigern. Man denke nur ans weltweit erste vollautomatisierte Lagerhaus des führenden E-Commerce-Anbieters JD.com in Shanghai, das im vergangenen Juni seinen Betrieb aufnahm. Zwanzig industrielle Verpackungsroboter suchen, transportieren und verpacken die Waren für Bestellungen von Online-Kunden. In chinesischen Lagerhäusern der gleichen Größe sind in China in der Regel 400 bis 500 Menschen beschäftigt, während JD.com mit fünf Personen auskommt – hauptsächlich zur Wartung der Maschinen. Technologisch beruht das Konzept auf der von Mujin, einem Robotik-Start-up mit Sitz in Japan, entwickelten Steuerung für Roboter. Die Steuerung bringt den Roboterarmen mithilfe von Kamerasystemen und Bewegungsplanungssoftware bei, wie Aufgaben (etwa das Ergreifen und Bewegen von Paketen) auszuführen sind – ganz ohne manuelle Anweisungen durch Menschen.
Der Mitgründer und technische Leiter von Mujin, Rosen Diankov, ist der Meinung, dass die Automatisierung einen Wendepunkt erreicht hat. Und in der Tat erkennen immer mehr Unternehmen, dass sie mit Robotiksystemen attraktive Renditen erzielen können, weil der Preis für die Systeme fällt.
Ein weiteres Beispiel für tiefgreifende Veränderungen im Produktionsprozess durch Automatisierung ist Adidas. Ende 2015 eröffnete das Unternehmen in Deutschland die „Speedfactory“, einen stark automatisierten Produktionsbetrieb. Es ist seit über 30 Jahren das erste Mal, dass Adidas eine Fabrik auf deutschem Boden errichtet. Letztes Jahr nahm Adidas seine zweite Speedfactory in Betrieb: nahe der US-amerikanischen Stadt Atlanta im Bundesstaat Georgia.
In den Adidas-Werken des Typs Speedfactory werden relativ wenig Mitarbeiter eingesetzt, dafür aber Technologien wie 3D-Druck, Roboterarme und computergestützte Strickmaschinen. Auf diese Weise werden die gleichen Laufschuhe hergestellt wie in China, Indonesien und Vietnam – aber in wesentlich kürzerer Zeit. Adidas hat erkannt, dass viele Kunden eine Lieferung am gleichen Tag sowie eine individuelle Anpassung erwarten. Und da sich die neuen automatisierten Werke des Typs Speedfactory näher bei den Kunden befinden, geht Adidas Produktionsverzögerungen in Fabriken am anderen Ende der Welt aus dem Weg.
Allerdings ist die Produktionsmenge der neuen Roboterfabriken von Adidas im Vergleich zu den asiatischen Lieferketten ziemlich klein. Die zwei neuen Werke sollen ab 2020 jedes Jahr eine Million Schuhe herstellen – das entspricht einem Tag der Produktion in Asien, wo Adidas letztes Jahr 403 Millionen Schuhe fertigte.10 Doch die innovativen Produktionsbetriebe bieten andere Vorteile. So plant Adidas, die Roboter in den Speedfactory-Werken zu testen und genauer anzupassen, um die KI-Prozesse dann in die asiatischen Lieferketten zu integrieren. Auf diese Weise soll der bereits heute enorm umfangreiche Herstellungsprozess schneller, besser und preiswerter werden. Verringert Adidas die Stundenzahl menschlicher Arbeit, steigt die Arbeitsproduktivität.
8 Solow, R., 12. Juli 1987. New York Times Book Review, Seite 36.
9 Jorgenson D., Mun H. und Stiroh K., Winter 2008. „A Retrospective Look at the U.S. Productivity Growth Resurgence“ Journal of Economic Perspectives – Band 22, Nummer 1 – Seiten 3–24.
10 Source: Wiener, A., November 2017 „Inside Adidas’ Robot-Powered, On-Demand Sneaker Factory.“ Wired.
Über die Autoren