Finanzbranche zum EZB-Entscheid „Auch in Zukunft sollte die EZB schneller agieren als die Fed“
Michael Heise, Chefökonom bei HQ Trust:
„Der heutige Zinssenkungsschritt der EZB war erwartet worden und ist angesichts der schwachen Konjunkturdaten und der rückläufigen Inflation seit der Septembersitzung vertretbar. Der Zinsschritt wird der schwachen Nachfragentwicklung im Euroraum zumindest einen kleinen Impuls geben und kann als eine vorbeugende Maßnahme gegen Rezessionsrisiken gesehen werden.
Ob ein weiterer Zinssenkungsschritt im Dezember folgt, ist allerdings fraglich, denn er hängt entscheidend von den eingehenden Inflationsdaten ab. Der Rückgang der Preissteigerungen im September war vor allem geringeren Energiepreisen zu verdanken. Sollte die Gesamtinflation im November und Dezember wieder ansteigen, was vielfach erwartet wird, wird die EZB die Auswirkungen ihrer bisherigen Maßnahmen erst einmal abwarten. Eine Festlegung auf weitere Zinssenkungen wäre nicht zu empfehlen, da sich Dienstleistungen weiterhin stark verteuern und es bislang keine klaren Anzeichen für deutlich nachlassende Lohnsteigerungen im Euroraum gibt.
Mit der Rücknahme des Einlagensatzes wird sich die Verzinsung der Bankeinlagen für die Privathaushalte weiter reduzieren. Ohne deutliche Vorankündigung weiterer Leitzinssenkungen dürfte der Effekt allerdings moderat sein.“
Jan Viebig, Chief Investment Officer von Oddo BHF:
„Die Zinssenkung der EZB um 0,25 Prozentpunkte ist gerechtfertigt, auch in dieser Höhe. Der Zins für die Einlagefazilität, mit dem die EZB die Geldpolitik steuert, liegt nun bei 3,25 Prozent.
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Trotz dieser weiteren Rücknahme der Leitzinsen ist die Geldpolitik der EZB auch weiterhin restriktiv. Der Satz für die Einlagefazilität liegt weiterhin über dem neutralen Zinssatz, zu dem die Geldpolitik weder expansiv noch restriktiv auf die Wirtschaft wirkt. Deshalb werden diesem Zinsschritt voraussichtlich weitere folgen.
Diese Zinssenkung ist besonders durch den Rückgang der Inflation gerechtfertigt. Im September lag die jährliche Inflationsrate im Euroraum bei 1,8 Prozent, nach 2,2 Prozent im August und 4,3 Prozent im September 2023.
Eine größere Zinssenkung hätte Risiken mit sich gebracht, da die Kerninflation im Euroraum weiterhin bei 2,7 Prozent und damit über dem mittelfristigen Inflationsziel der EZB von 2,0 Prozent liegt.
Die Inflationsrisiken, die weiterhin auf der Wirtschaft lasten, sollten nicht unterschätzt werden. Besonders die Energiepreise sind schwer zu prognostizieren und bergen angesichts der zahlreichen geopolitischen Risiken Unwägbarkeiten für die Geldpolitik. Aus diesen Gründen halte ich den datengetriebenen Kurs der EZB für richtig.
Mit dieser Zinssenkung ist die EZB nun schon zum zweiten Mal in diesem Zinszyklus der amerikanischen Notenbank Fed zuvorgekommen. Auch in Zukunft sollte die EZB schneller agieren als die Fed, da die Wirtschaftsdynamik in den USA höher bleibt als im Euroraum.“