Credit-Suisse-Anlagechef Varnholt über das Schulden-Paradox
Warum steigende Schulden nicht zwingend zu höheren Zinsen führen
Aktualisiert am 17.08.2018 - 14:16 Uhr
Wirft einen kritischen Blick auf den Zinsmarkt: Burkhard Varnholt, Anlagechef Credit Suisse (Schweiz) Foto: Credit Suisse (Schweiz)
Angesichts wachsender Schuldenberge werden manche Anleger nervös. Sie sorgen sich um die Zinsentwicklung, die derzeit ganz anders verläuft, als von vielen erwartet. Doch dafür gibt es Gründe. Vielleicht ist die Weltwirtschaft einfach robuster als ihr Ruf? Allerdings führt auch rationales Kalkül manchmal auf Holzwege. Deshalb gilt die Weisheit „Prepare, don’t predict“. Das gilt auch für den aktuellen Handelskonflikt. Manchmal kann sogar kleines Zündeln einen Flächenbrand auslösen.
Doch warum erhöht das wachsende Angebot an Staatsanleihen nicht die langfristigen Zinsen? Es ist schließlich absehbar, dass die Flut an Staatsanleihen noch weiter ansteigen wird. Denn zu Staatsdefiziten kommen die angekündigte Bilanzreduktion der Notenbanken und die Defizite staatlicher Vorsorgewerke noch hinzu. „Wann“, so fragen mich Anleger fast täglich, „reagieren die Märkte darauf mit steigenden Langfristzinsen?“ Wie gesagt: eine berechtigte Frage. Es mag zwar paradox klingen, aber – salopp gesagt – gilt tatsächlich die Regel: Schulden sind egal, bis sie nicht mehr egal sind.
Mit anderen Worten: Eine Ausweitung des Anleihenangebots ist so lange unerheblich, bis dies nicht mehr der...
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Doch warum erhöht das wachsende Angebot an Staatsanleihen nicht die langfristigen Zinsen? Es ist schließlich absehbar, dass die Flut an Staatsanleihen noch weiter ansteigen wird. Denn zu Staatsdefiziten kommen die angekündigte Bilanzreduktion der Notenbanken und die Defizite staatlicher Vorsorgewerke noch hinzu. „Wann“, so fragen mich Anleger fast täglich, „reagieren die Märkte darauf mit steigenden Langfristzinsen?“ Wie gesagt: eine berechtigte Frage. Es mag zwar paradox klingen, aber – salopp gesagt – gilt tatsächlich die Regel: Schulden sind egal, bis sie nicht mehr egal sind.
Mit anderen Worten: Eine Ausweitung des Anleihenangebots ist so lange unerheblich, bis dies nicht mehr der Fall ist. Denn solange Anleger erwarten, dass ein Staat seine Schulden bedienen wird, ignorieren Bondmärkte oft die Analysen von Angebot und Nachfrage. Auch die wachsenden Unternehmensschulden haben bis heute keinen Zinsanstieg ausgelöst. Ja, ironischerweise wirkt die finanzielle Stabilität des Privatsektors heute trotz höherer Schulden gesünder als vor zehn Jahren. Diese Beobachtung wird oft verzerrt durch den einseitigen Fokus auf das absolute Schuldenwachstum. Die folgenden zwei Abbildungen illustrieren dies. Abbildung 4 zeigt das absolute Wachstum der US-Unternehmensschulden. Seit 2010 stiegen diese von sechs auf neun Billionen US-Dollar.
Abbildung 4: Explosiv? Wachstum von US-Unternehmensschulden (nicht finanziell)
Billionen US-Dollar
Sobald man aber die Perspektive wechselt, ändert das Bild. Dann sieht man, dass der Schuldendienst vieler Unternehmen den tiefsten Wert seit über 30 Jahren erreicht hat und dass das Verhältnis von Schulden zu liquidem Vermögen in den USA sogar den tiefsten Wert seit den 1960er-Jahren erreicht hat (Abbildung 5).
Abbildung 5: Verglichen mit dem liquiden Vermögen sind US-Unternehmensschulden so tief wie seit den 1960er-Jahren nicht mehr
US-Unternehmensschulden (nichtfinanz) im Verhältnis zum totalen liquiden Vermögen
Warum ist das so? Vier Gründe fallen auf. Erstens fielen in der letzten Dekade die Zinsen rascher als die Schulden wuchsen. Zweitens profitierten viele Schuldner hiervon, um die Laufzeit ihrer Schulden bei gleichzeitig tieferen Schuldkosten zu verlängern. In den 80er- und 90er-Jahren beispielsweise machten kurzfristige Unternehmensschulden durchschnittlich 45 Prozent ihrer Gesamtverschuldung aus. Heute ist dieser Anteil auf circa 25 Prozent gesunken. Die längeren Schulden stellen einen wichtigen Stabilisator dar. Drittens verfügen Banken weltweit heute über die höchsten Eigenkapitalquoten seit 45 Jahren. Diese Kapitalkraft ließe Banken in einer unerwarteten Kettenreaktion nicht als Brandbeschleuniger, sondern als Risiko-Puffer wirken. Und viertens hat die robuste Weltwirtschaft über steigende Einkommen der öffentlichen- und privaten Haushalte auch ihre Stabilität gefördert, wie auch der jüngste „Global Financial Stability“-Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) betont.
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