Interview zum Dax „Anfällig bei globaler Konjunkturschwäche“ – Aktienexperte von Flossbach findet klare Worte
Der deutsche Leitindex Dax hat ein turbulentes Jahr hinter sich. Nach einem starken Jahresauftakt mit einem Umsatzplus von 1,7 Prozent und einem Gewinnsprung von fast 17 Prozent im zweiten Quartal mussten viele Unternehmen dennoch Rückgänge verkraften. Die Automobilbranche traf es besonders hart. Doch wie geht es weiter? Welche Chancen und Risiken birgt die zyklische Natur des Dax in Zeiten einer sich eintrübenden Weltwirtschaft?
Wir sprachen mit Kubilay Yalcin, Portfoliodirektor Aktien (Portfolio Director Equities) bei Flossbach von Storch, über seine Einschätzungen zur vergangenen Berichtssaison, den Ausblick für den Dax und die Anlagestrategie seines Hauses in diesem herausfordernden Umfeld. Im Interview erläutert er, warum viele Dax-Unternehmen verwundbar sind, wenn die globale Konjunktur schwächelt, wo er dennoch Chancen sieht und wie Anleger ihr Portfolio widerstandsfähig aufstellen können. Dabei gewährt er auch Einblicke in den selektiven Stock-Picking-Ansatz von Flossbach von Storch und die Bedeutung von Qualitätsunternehmen mit „Burggraben“.
DAS INVESTMENT: Herr Yalcin, welche Sektoren oder Branchen des Dax haben aus Ihrer Sicht in der vergangenen Berichtssaison besonders positiv abgeschnitten? Und welche haben am meisten enttäuscht?
Kubilay Yalcin: Wir haben keinen bestimmten Fokus auf einer Region oder einem Sektor, sondern fokussieren uns auf die Geschäftsmodelle von Unternehmen, welche wir Bottom-up analysieren. Jedoch kann man sagen, dass Unternehmen mit einer zyklischen Ausprägung, wie beispielsweise aus dem Bereich diskretionärer Konsum, Industrie oder Chemie, in schwierigen konjunkturellen Fahrwassern tendenziell stärker von Schwankungen betroffen sind. Defensive Sektoren haben in der Berichtssaison zum Teil besser abgeschnitten.
Die Dax-Konzerne haben insgesamt ein Umsatzplus von 1,7 Prozent verzeichnet und einen Gewinnsprung von fast 17 Prozent im zweiten Quartal. Viele Unternehmen mussten aber trotzdem Rückgänge verkraften, wie beispielsweise die Automobilbranche. Wie ordnen Sie die Entwicklung im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld ein? Glauben Sie, dass sich die Situation für die Branchen in einer schweren Phase durch mögliche Zinssenkungen deutlich verbessert?
Yalcin: Eine Zinssenkung erfolgt häufig als Konsequenz auf eine konjunkturelle Schwäche und es vergeht Zeit, bis sie zu wirken beginnt. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen einer Zinssenkung und einem verbesserten Bild für börsennotierte Unternehmen ist da nicht immer hundertprozentig gegeben. Sinkende Zinsen können zwar den Absatz von Autos durch günstigere Finanzierung fördern. Aber wir haben gesehen, dass Unternehmen wie BMW oder Mercedes auf der Kursentwicklung temporär schwächer notierten, weil sich auch diese Unternehmen dem wirtschaftlichen Gesamtbild nicht vollends entziehen können. Faktoren wie die konjunkturelle Entwicklung in wichtigen Märkten wie China spielen da natürlich auch eine Rolle.
Gab es von einzelnen Unternehmen Überraschungen bei Umsatz, Gewinn oder Marge, die besonders hervorgehoben werden müssen und möglicherweise Ihre Anlageentscheidung beeinflusst haben? Oder machen Sie das nicht von einem Quartal oder einem halben Jahr abhängig?
Yalcin: Für uns ist entscheidend, dass wir das Gefühl haben, dass ein Unternehmen ein sehr gutes Management hat, das auf Herausforderungen sehr gut reagieren kann. Mercedes konnte beispielsweise trotz eines Absatzrückgangs von 4 Prozent die Marge immer noch zweistellig halten – eine Konsequenz aus einer sehr strikten Kostenkontrolle des Managements. Das gibt uns ein gutes Gefühl. Bei Autobauern werden Konjunkturschwächen häufig schon in den Kursen vorweggenommen. In solchen Fällen kann es opportun sein, wieder Chancen zu suchen. Zumindest dann, wenn wir überzeugt sind, dass die Unternehmen in ihrem Fundament so gut aufgestellt sind, dass sie trotz temporärer Schwankungen eine attraktive Rendite liefern.
Haben Sie noch andere Beispiele von Unternehmen neben den Autobauern, die ein gutes Quartal abgeliefert haben? Beispielsweise die Telekom, die den größten Gewinn aller Unternehmen verzeichnen konnte?
Yalcin: Auch wenn die Deutsche Telekom einen großen Gewinn in diesem Quartal verzeichnen konnte, sind wir in das Unternehmen nicht investiert. Wir bevorzugen keine Unternehmen, die von einer strikten staatlichen Regulatorik abhängig sind und zudem wenig attraktive Kapitalrenditen aufweisen. Die Aktie passt daher aus verschiedenen Blickwinkeln aktuell nicht ins Portfolio. Ein anderes Beispiel ist SAP, das abermals gestiegene Umsatzerlöse berichten konnte, getrieben durch das Cloudgeschäft. Gleichzeitig hat SAP ein sehr fähiges Management, das vorausschauend in Zukunftsfelder wie künstliche Intelligenz investiert.
Verstehe ich richtig, dass Sie bei Ihren Investitionen sehr darauf achten, dass das Unternehmen einen „Burggraben“ hat?
Yalcin: Ja, das ist meines Erachtens eine der elementaren Bedingungen, damit ein Unternehmen nachhaltig mit hohen Margen operieren kann. Ein wehrhafter Burggraben bedeutet Preissetzungsmacht und Schutz vor Wettbewerbern. Ohne Burggraben, wie beispielsweise im Airline-Geschäft, ist man einem starken Wettbewerb ausgesetzt und kann häufig die Investitionen nicht amortisieren.
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Einige Dax-Unternehmen mussten ihre Jahresprognose anpassen. Gibt es da Unternehmen, wo Sie Chancen oder Risiken sehen?
Yalcin: Grundsätzlich gilt: Wenn eine Umsatzprognose gesenkt wird, weil ein zyklischer Abschwung befürchtet wird, ist das erst einmal kein Beinbruch. Die Nachfrage nach Produkten atmet und ist selten statisch. Trauen wir einem Unternehmen zu, dass temporäre Schwächephasen auch wirklich nur temporäre Schwächephasen bleiben, würden wir in Phasen zugreifen, wenn die Bewertung der Aktien attraktiver wird. Das sind Unternehmen, die eine Reihe von Eigenschaften besitzen, welche sie auf Dauer wenig krisenanfällig machen. Denken Sie etwa an starke Marken, die trotz einer konjunkturellen Flaute nicht „verramscht“ werden. Oder an Unternehmen, die finanziell solide aufgestellt sind und nicht zuletzt ein umsichtiges Management besitzen, das die Strategie mit Weitsicht entwickelt. Im Gegensatz dazu werden Schwächen des Geschäftsmodells bei Krisen schonungslos offengelegt. Deshalb ist es von elementarer Bedeutung sich diesen bereits vor einem möglicherweise einsetzenden Abschwung bewusst zu werden und ein Engagement im Zweifel dann zu vermeiden.
Langfristig dürften die Zukunftsinvestitionen der Dax-Konzerne eine wichtige Rolle spielen. Wie beurteilen Sie die Bedeutung von Investitionen in Geschäftsmodelle und Produktinnovationen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, beispielsweise bei Mercedes im Vergleich zu den chinesischen Autoherstellern?
Yalcin: Sowohl BMW als auch Mercedes investieren sehr stark in die Elektrifizierung. Die Herausforderung für Autobauer ist, Trends realistisch einzuordnen und vorausschauend zu investieren. Entscheidend ist, ob sich diese Investitionen durch Faktoren wie die Marke monetarisieren lassen. Wenn ein Premiumhersteller mehr als nur ein Auto verkauft – also etwa auch das Fahrerlebnis, Individualisierung und eine emotionale Kundenbindung –, dann gestaltet sich der Wettbewerb anders als im Preiseinstiegssegment, wo man chinesischen Anbietern stärker ausgesetzt ist.
Kostensenkungen sind derzeit ein großes Thema in vielen Unternehmen. Wie schätzen Sie den Einfluss von Effizienzsteigerungen und Restrukturierungen auf die zukünftige Wertentwicklung der Dax-Konzerne ein?
Yalcin: Neue Technologien ermöglichen weitere Effizienzsteigerungen und der Lieferkettenschock in der Pandemie hat Unternehmen gezwungen, ihre Prozesse effizienter zu gestalten. Kostenkontrolle ist entscheidend für hohe Margen und eine geringere Krisenanfälligkeit. Die Frage ist aber, wie weit sich Kosten noch reduzieren lassen. Bei Airlines beispielsweise sind die Effizienzsteigerungen limitiert aufgrund hoher Fixkosten. Bei Softwareunternehmen hingegen ist die Kostenstruktur ganz anders – einmal geschriebene Software lässt sich vereinfacht gesagt beliebig oft verkaufen.
Angesichts der konjunkturellen und geopolitischen Herausforderungen – wie positioniert sich Flossbach von Storch derzeit strategisch und welche Anpassungen haben Sie vorgenommen oder planen Sie?
Yalcin: Niemand weiß, wie sich Makro- oder Geopolitik entwickeln werden. Eine Portfoliostrategie, die versucht, solche Entwicklungen vorwegzunehmen, wird diesen hinterherlaufen. Die Frage muss lauten: Wie stellen wir das Portfolio so auf, dass es resilient ist, wenn etwas passiert? Es kommt darauf an, das Geschäftsmodell von allen Seiten zu beleuchten: Ist es inhärent weniger anfällig für Verwerfungen? Kann das Management gut darauf reagieren? Als Analyst muss man genau hinschauen: Wo hat ein Unternehmen Achillesfersen, wo kann es verwundbar sein? Das beeinflusst das Chance-Risiko-Verhältnis. Wir berücksichtigen das in der Positionsgröße und mit einer ausreichenden Diversifikation.
Beim kurzfristigen Ausblick auf die kommenden sechs bis zwölf Monate: Gibt es Branchen oder Einzelwerte im Dax, die aus Ihrer Sicht großes Potenzial oder auch großes Risiko bergen?
Yalcin: Zum einen wissen wir nicht, wie sich die Konjunktur kurzfristig entwickelt und denken deshalb langfristig in Szenarien. Zum anderen fokussieren wir uns nicht auf einen Index oder eine Region. Was wir jedoch sagen können, ist, dass der Deutsche Aktien Index eine insgesamt eher zyklische Struktur aufweist und zudem stark davon abhängt, wie sich die globale Konjunktur entwickelt. Diese Punkte müssen in der Analyse und der Bewertung berücksichtigt werden. Nichtsdestotrotz ergeben sich auch hierzulande attraktive Möglichkeiten, wie die Holdings in unseren Portfolios zeigen.
Über den Interviewten:
Kubilay Yalcin ist Portfolio Direct Equities bei Flossbach von Storch. Bereits seit 2020 ist er bei der Kölner Fondsgesellschaft tätig. Sein Spezialgebiet ist der globale Aktienmarkt.