Chefvolkswirt Jörg Zeuner
Japanische Krankheit in Europa
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Straßenszene in Tokio: In Japan hält die Zentralbank die Zinsen seit 25 Jahren niedrig.
Ganz nach japanischem Vorbild versucht die Europäische Zentralbank seit Jahren, die Wirtschaft mit niedrigen Zinsen anzukurbeln - ohne nennenswerten Erfolg. Union-Investment-Chefvolkswirt Jörg Zeuner nennt Gründe.
Noch im Spätsommer 2018 standen die Zeichen an den europäischen Kapitalmärkten auf Normalisierung: moderates Wirtschaftswachstum, vorsichtige Rückabwicklung der ultra-expansiven Geldpolitik der Vorjahre, sanft steigende Zinsen. Zum Jahresausklang 2019 hat sich das Bild dann aber gründlich gewandelt. Das Wachstum ist schwach, aus der geldpolitischen Normalisierung ist nichts geworden und Zinsen ...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Noch im Spätsommer 2018 standen die Zeichen an den europäischen Kapitalmärkten auf Normalisierung: moderates Wirtschaftswachstum, vorsichtige Rückabwicklung der ultra-expansiven Geldpolitik der Vorjahre, sanft steigende Zinsen. Zum Jahresausklang 2019 hat sich das Bild dann aber gründlich gewandelt. Das Wachstum ist schwach, aus der geldpolitischen Normalisierung ist nichts geworden und Zinsen sowie Inflation sind phasenweise so tief wie nie zuvor.
Diese Entwicklung erinnert an Japan. Die Bevölkerung dort lebt seit Jahrzehnten mit niedrigen und zuletzt sogar negativen Realzinsen, erodierendem Wirtschaftswachstum und Deflation. Hinter dem Schlagwort „Japanisierung“ steckt die Aussage: Der Eurozone wird es wie Japan ergehen. Aber leiden die beiden Wirtschaftsräume tatsächlich an der gleichen Krankheit, drohen uns in Europa wirklich japanische Verhältnisse? Auf den ersten Blick mag das so scheinen.
Japan und die Eurozone: Auffällige Parallelen
Seit annähernd 25 Jahren verharrt Japan bereits im Niedrigzinsumfeld. Ein Faktor hierfür: Die klassische Rollenverteilung aus sparenden Haushalten und investierenden Unternehmen brach in Japan mit dem Platzen der Immobilien-, Kredit- und Aktienmarktblase Mitte der 1990er Jahre zusammen. Seitdem nehmen die japanischen Unternehmen keine Kredite mehr auf, sondern sparen. So legt der nicht-finanzielle Unternehmenssektor des Landes pro Jahr rund 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf die hohe Kante. In der Eurozone ist dieses Phänomen ebenfalls zu beobachten. Vor allem in Deutschland, aber auch in Spanien und in Italien ist der Finanzierungssaldo der Unternehmen positiv.

Eine wichtige Bestimmungsgröße für das Zinsniveau – nämlich die Bereitschaft zu investieren, um produktiver zu werden – weist also große Parallelen zwischen beiden Wirtschaftsräumen auf. In Japan war der Trend lediglich früher zu beobachten.
Dieses Muster gilt auch für die Geldpolitik: Ob Nullzinspolitik oder quantitative Lockerung, auch die Bank of Japan hat in ihrem geldpolitischen Experimentierlabor so gut wie jedes auch in Frankfurt im Einsatz befindliche unorthodoxe Instrument zuerst angewendet.
Ähnliche Parallelen finden sich beim Thema Demographie: In Japan schrumpft die Erwerbsbevölkerung seit 1995, im Euroraum dürfte es ab etwa 2020 so weit sein. Gleichzeitig nimmt der Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und Löhnen ab. Niedrige Arbeitslosenquoten führen zu weniger starken Lohn- und Preisanstiegen als früher, die sogenannte Phillips-Kurve. Auch dies ist ein Grund für die Verfestigung negativer Realzinsen.
Worin sich Japan und die Eurozone unterscheiden
Eine gewisse „Japanisierung“ der Eurozone ist also nicht wegzudiskutieren. Wer einzelne Bereiche genauer untersucht, stellt jedoch deutliche Unterschiede fest.
So fällt die Reaktion beider Volkswirtschaften auf die Krise unterschiedlich aus. In Japan etwa sind Entlassungen aufgrund des Arbeitsrechtes und des Sozialsystems nur sehr schwer durchsetzbar. Dadurch kam es zu drastischen Lohnkürzungen. In der Folge gab es 1995 erstmals eine Deflation, gleichzeitig litt die Produktivität.
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