Natixis-Marktstrategin Esty Dwek
Europa im Krisenmodus
Esty Dwek ist bei Natixis für globale Marktstrategien zuständig. Foto: Natixis Investment Managers
In der Corona-Krise zahlt die Europäische Union hohe Hilfskredite an Mitgliedsländer. Aus Sicht von Esty Dwek, Marktstrategin bei Natixis Investment Managers, gibt es dazu keine Alternativen.
Als vor über zwanzig Jahren der Euro-Stabilitätspakt zur Sicherung der finanzpolitischen Solidität in der Eurozone geschlossen wurde, war man optimistisch, ein funktionierendes Regelwerk gefunden zu haben. Die jährliche Nettoneuverschuldung eines Landes durfte höchstens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen, die Gesamtverschuldung höchstens 60 Prozent des BIP ausmachen. So sollte der Euro stabil gehalten werden.
Spätestens die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 zeigte, dass diese Vorgaben nicht zu halten waren. Nahezu alle EU-Staaten rissen die Hürde, dabei auch Länder wie Frankreich und Deutschland. Auch in der aktuellen Corona-Krise werden die Vorgaben an die Verschuldungsgrenzen...
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Als vor über zwanzig Jahren der Euro-Stabilitätspakt zur Sicherung der finanzpolitischen Solidität in der Eurozone geschlossen wurde, war man optimistisch, ein funktionierendes Regelwerk gefunden zu haben. Die jährliche Nettoneuverschuldung eines Landes durfte höchstens 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen, die Gesamtverschuldung höchstens 60 Prozent des BIP ausmachen. So sollte der Euro stabil gehalten werden.
Spätestens die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 zeigte, dass diese Vorgaben nicht zu halten waren. Nahezu alle EU-Staaten rissen die Hürde, dabei auch Länder wie Frankreich und Deutschland. Auch in der aktuellen Corona-Krise werden die Vorgaben an die Verschuldungsgrenzen nicht einzuhalten sein. Erst recht, da die staatlichen und überstaatlichen Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft mit einer Verschuldung einhergehen, die weit über die der Finanzkrise von 2008 hinausgeht.
Vermutlich ist das Ende der Fahnenstange hier noch gar nicht in Sicht. Dies alles wird zu einem Grad der Verschuldung führen, der in der jüngeren Geschichte einmalig ist. In Italien zum Beispiel dürfte die Gesamtverschuldungsquote auf 165 Prozent ansteigen. Das ist fast dreimal so hoch wie im Euro Stabilitätspakt vorgesehen. Andere Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien und auch Frankreich verfehlen die Stabilitätskriterien mit 115 Prozent ebenfalls deutlich.
Dies wirft Fragen auf. Ist die finanzpolitische Stabilität im Euro-Raum noch gesichert? Werden die Länder mit überbordender Verschuldung wieder auf einen stabilen Pfad zurückfinden? Wird all dies in eine gigantische Staatsschuldenkrise führen? Diese Fragen sind berechtigt, bieten jedoch keinen begründeten Anlass, in Alarmismus oder Weltunter-gangsstimmung zu verfallen.
Das Instrumentarium des Euro-Stabilitätspaktes, und da waren sich alle Urheber einig, taugt nicht für Krisen. Es kann daher auch in der aktuellen Situation nicht als Maßstab dienen. In schwierigen Zeiten muss vielmehr auch mit außergewöhnlichen Maßnahmen reagiert werden, wenn dies erforderlich ist. Und das ist es. Denn die verschiedenen Hilfsprogramme und damit die Rekord-Verschuldung sind ohne Alternative. Eine zu große Zögerlichkeit mit Blick auf den Umfang der Maßnahmen würde der Wirtschaft auf Jahre hinaus einen immensen Schaden zufügen, der letztlich auch das Fundament der finanzpolitischen Stabilität untergraben würde.
Diese Sichtweise ist im Übrigen keine spezifisch europäische. Sie prägt das Handeln auch anderer Staaten rund um den Globus. Weltweit verschulden sich derzeit die Staaten, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abmildern zu können.
Zuschüsse verringern Verschuldungsdruck
Auch die Struktur des EU-Hilfsprogramms ist hilfreich für die Verschuldungssituation einzelner EU-Staaten. Zwar war der Anteil der in Form von Zuschüssen gewährten Hilfen ursprünglich höher geplant. Er beträgt jetzt aber immer noch 390 Milliarden Euro und umfasst damit mehr als die Hälfte des Gesamtprogramms. Von den Zuschüssen werden die am stärksten betroffen Länder am meisten profitieren. Gleichzeitig sind dies zumeist jene Länder, die ohnehin schon unter einer hohen Verschuldung leiden.
Die nicht rückzahlbaren Zuschüsse helfen ihnen also, notwendige Zukunftsinvestitionen vornehmen zu können, ohne die Neuverschuldung dafür anheben zu müssen. Im Fall von Italien machen die Zuschüsse immerhin rund 82 Milliarden Euro aus, und Spanien soll in etwa 70 Milliarden Euro erhalten. Auch politisch senden die Finanzzuschüsse ein wichtiges Signal an die Märkte. Nämlich dass Europa bereit ist, einen Schritt hin in Richtung weiterer Integration und Kooperation zu gehen.
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