Volkswirt Hans-Jörg Naumer
Warum Deglobalisierung teilweise sinnvoll ist

Volkswirt Hans-Jörg Naumer
Für einen Ökonomen ist die Welt zunächst relativ einfach: Je globaler, desto besser. Global verstanden als den möglichst schrankenlosen Handel von Waren und Dienstleistungen. Dahinter steckt die Erkenntnis des vor fast genau 200 Jahren verstorbenen David Ricardo, einem der Altmeister der Ökonomie. Er erkannte die „komparativen Vorteile“ zwischen Standorten (David Ricardo, „On the Principles of ...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Für einen Ökonomen ist die Welt zunächst relativ einfach: Je globaler, desto besser. Global verstanden als den möglichst schrankenlosen Handel von Waren und Dienstleistungen. Dahinter steckt die Erkenntnis des vor fast genau 200 Jahren verstorbenen David Ricardo, einem der Altmeister der Ökonomie. Er erkannte die „komparativen Vorteile“ zwischen Standorten (David Ricardo, „On the Principles of Political Economy and Taxation“, 1817).
Kurz gefasst: Wenn sich jeder Standort auf die Herstellung dessen konzentriert, was er im Vergleich zu anderen relativ am besten produzieren kann, und Handel mit anderen Standorten treibt, die sich ebenfalls auf das konzentrieren, was sie relativ am besten können, gewinnen alle. Die Kosten sinken durch größere Stückzahlen und die Unterschiedlichkeit von Standortvorteilen.
Diese ricardianische Sicht der Welt hat einen wahren Siegeszug angetreten, in dem, was wir als Globalisierung kennen. Die Exporte sind über die letzten 200 Jahre hinweg geradezu explodiert, und das bereinigt um die Inflationseffekte (Our World in Data online, „Growth of global exports“). Über die letzte Dekade ist allerdings eine rückläufige beziehungsweise auf der Stelle tretende Entwicklung zu beobachten ist.
Diese rein auf den Exportwert bezogene Betrachtung überzeichnet allerdings insofern etwas, als dass auch die Wertschöpfung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, im selben Zeitraum enorm zugelegt hat. Letztlich kann also nur die relative Betrachtung zeigen, wie stark der Handel die Welt veränderte. Die relative Betrachtung zeigt die Ausweitung des Handels an Gütern und Dienstleistungen, also Exporte wie Importe, am Bruttoinlandsprodukt über die letzten Jahrzehnte.
Weltweit ist diese Quote auf circa 60 Prozent gestiegen, was auch die gewachsene Bedeutung der globalen Lieferketten zeigt. Im Falle der Eurozone liegt diese Quote sogar annähernd bei 90 Prozent, was vor allem durch den Binnenhandel des Währungsgebietes zu erklären ist.
Der Globalisierungsschub wurde dabei vor allem auch durch die zunehmende Bedeutung der Dienstleistungen als Teil des globalen Handels vorangetrieben, sowie durch die Entstehung globaler Wertschöpfungsketten (Global Value Chains). Weltweit werden überwiegend nicht mehr fertige Produkte gehandelt, sondern Zwischenprodukte.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich dabei, dass die Außenhandelsquote über die letzten circa zehn Jahre im Weltmaßstab, und auch im Falle der USA, auf der Stelle tritt. Für China ist sie sogar rückläufig. Die dortige Abkehr von einem überwiegend Export-getriebenen Wachstumsmodell hin zur Binnennachfrage scheint Früchte zu tragen.
Die jüngste Abflachung der Handelsquote gibt ein erstes, leichtes Gefühl dafür, warum der Begriff der Deglobalisierung immer stärker die Runde macht. Gemessen an den Bucheinträgen, wie sie der Google Ngram Viewer in den von Google Books erfassten Büchern zeigt, hat er eine außerordentlich steile Karriere hinter sich, die etwa in den Neunzigerjahren des letzten Jahrtausends einsetzte. Etwas zeitlich versetzt gewann auch der Begriff des Onshoring in den Buchveröffentlichungen an Bedeutung. Onshoring bezeichnet - im Gegensatz zum Offshoring, der Auswärts-Verlagerung von Produktion - die Erstellung von Gütern und Dienstleistungen im Heimatmarkt der Firma.
Dass Deglobalisierung mehr als nur ein Modewort ist, dafür gibt es mehrere Gründe:
Geopolitik: Galten die USA lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg - und vor allem seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion – als einzige Supermacht, so hat sich mit China die unipolare wieder in eine multipolare Welt verwandelt. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist das Reich der Mitte – um Kaufkraftparität adjustiert – mittlerweile die größte Volkswirtschaft der Welt.
Damit knüpft es an seine historische Bedeutung an. Nach dem Wirtschaftshistoriker Angus Maddison (Angus Maddison, „Contours oft he World Economy 1-2023 AD: Essays in Macro-Economic History“, 2007) und der Fortführung von dessen Daten mittels der Datenbank des IWF, hat China einen Anteil von 19 Prozent am globalen Bruttoinlandsprodukt (die unterschiedliche Kaufkraft der Länder wurde berücksichtigt). 1993 lag dieser Anteil noch bei 5 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 1.000 betrug der Anteil Chinas an der Weltwirtschaft 22 Prozent.
Die tektonischen Platten der Geopolitik verschieben sich entlang der ökonomischen Macht. Wie die Anteile am (kaufkraftbereinigten) Bruttoinlandsprodukt zeigen, schließt China nach seinem Tief unter Mao seit den Deng Xiaopingschen Reformen wieder zur alten Größe auf. Auch der Anteil der aufstrebenden Länder Asiens hat zugelegt.
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