Ökonom Alexander Börsch
Das spricht gegen die Deglobalisierung
Alexander Börsch ist Chefökonom bei Deloitte Deutschland. Foto: Deloitte
Wegen des Ukraine-Kriegs erhält die Sicherheitspolitik zunehmend wieder Vorrang vor wirtschaftlichen Zielen. Produktionsverlagerungen in befreundete Länder führen dazu, dass die Absatzmärkte dieser Staaten stärker in den Fokus rücken. Deloitte-Chefökonom Alexander Börsch erläutert, warum die neue Geoökonomie nicht zwangsläufig zur Deglobalisierung führen muss.
2022 hat gute Chancen, als das Jahr in die Geschichte einzugehen, in dem die Geopolitik ins öffentliche Bewusstsein und in die Wirtschaftswelt zurückkehrte. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist der offensichtliche Auslöser. Der Krieg ist allerdings nicht der einzige Faktor. Durch die Handelsstreitigkeiten und die Systemkonkurrenz zwischen China und den USA sowie durch die Ungewissheit über die chinesischen Pläne bezüglich Taiwans wird das gesamte internationale Umfeld zunehmend konfliktreicher. Noch dazu scheint sich die Globalisierung im Rückwärtsgang zu befinden. Der globale Güterhandel bewegt sich seit Jahren eher seitwärts als aufwärts; der Protektionismus vor allem im Technologiebereich...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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2022 hat gute Chancen, als das Jahr in die Geschichte einzugehen, in dem die Geopolitik ins öffentliche Bewusstsein und in die Wirtschaftswelt zurückkehrte. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist der offensichtliche Auslöser. Der Krieg ist allerdings nicht der einzige Faktor. Durch die Handelsstreitigkeiten und die Systemkonkurrenz zwischen China und den USA sowie durch die Ungewissheit über die chinesischen Pläne bezüglich Taiwans wird das gesamte internationale Umfeld zunehmend konfliktreicher. Noch dazu scheint sich die Globalisierung im Rückwärtsgang zu befinden. Der globale Güterhandel bewegt sich seit Jahren eher seitwärts als aufwärts; der Protektionismus vor allem im Technologiebereich hat stetig zugenommen. Deglobalisierung und Decoupling sind die wirtschaftspolitischen Schlagwörter der Stunde.
Die neue Geoökonomie
Dieses Umfeld zwingt Unternehmen, ihre globalen Strategien auf allen Ebenen zu überdenken. Dabei sind es deutsche Unternehmen, die in allererster Linie betroffen sind. Schließlich ist Deutschland die offenste unter den großen Volkswirtschaften und exportiert fast die Hälfte seines Bruttoinlandsprodukts in die Welt, fünfmal so viel wie die USA und immer noch 2,5-mal so viel wie China.
Die Rückkehr der Geopolitik bedeutet vor allem eine Verschiebung der Prioritäten. Sicherheits- und außenpolitische Überlegungen haben zunehmend Vorrang vor wirtschaftlichen Zielen und offenen Märkten. Im Bereich der Wirtschaft übersetzt sich damit die Rückkehr der Geopolitik in eine Geoökonomie, die sehr viel stärker durch politische Ziele und Interventionen geprägt ist als wir es von den Jahrzehnten seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gewohnt sind. In der Geoökonomie vermischt sich die Konfliktlogik der Geopolitik, in der es um relative Machtgewinne von Ländern geht – mit der kooperativen Logik des internationalen Handels, in dem alle Beteiligten gewinnen. Wie sich das genaue Mischungsverhältnis zusammensetzt, bleibt abzuwarten.
Die geoökonomische Logik zeigt sich beispielsweise im Comeback der Industriepolitik, die strategisch wichtige Sektoren schützt und fördert, nicht zuletzt im Halbleitersektor. Gleiches gilt für die politische Bevorzugung der heimischen Produktion, wie im U.S. Inflation Reduction Act. Diese neue geoökonomische Logik hat das Potenzial, die Grundlagen des deutschen exportgetriebenen Geschäftsmodells in Frage zu stellen. Allerdings wäre es ein Missverständnis zu erwarten, dass dadurch die Globalisierung ein Ende hat und die Unternehmen sich Richtung Heimatmärkte zurückziehen. Es deutet sich an, dass die Unternehmen eher die Art ändern, wie sie sich international aufstellen. Somit wird die Globalisierung komplexer. Umfragen unter deutschen Unternehmen legen nahe, dass Diversifizierung statt Rückzug die Devise ist.
Die neue Geographie der Investitionen
Ein erster Fingerzeig auf die künftigen Entwicklungen lässt sich aus den Investitionsabsichten herauslesen. Laut dem aktuellen Deloitte CFO Survey aus dem Herbst 2022 planen Unternehmen, deutlich mehr in Deutschland und deutlich weniger in China zu investieren – verglichen mit den Ergebnissen aus der Vor-Corona-Zeit. Insofern scheint der gestiegene Bedarf für Resilienz in der Lieferkette gegen politische Risiken die Planung der Unternehmen deutlich zu beeinflussen. Dabei wirken allerdings unterschiedliche und vollkommen widersprüchliche Kräfte auf die Unternehmen. Politische Risiken legen erstmal nahe, Produktion an den Heimatstandorts oder in dessen Nähe zu verlagern. Günstigere Transportkosten und Nachhaltigkeitserwägungen sprechen auch dafür. Andererseits sind die Arbeitskräfte in Deutschland und Europa knapp, und die demographische Entwicklung sorgt dafür, dass kaum Besserung in den nächsten Jahren zu erwarten ist.
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