Degussa-Chefvolkswirt Polleit „Wenn die Preise fallen, wird es kritisch“
Thorsten Polleit, Chefvolkswirt Degussa Goldhandel
Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt verlauten, die Inflation im Euroraum sei derzeit zu niedrig. Mit anderen Worten: Die Geldentwertung sei nicht hoch genug. Wie erklärt sich das? Die EZB hat sich zur Aufgabe gemacht hat, die Inflation (der Konsumentenpreise) bei etwa 2 Prozent zu halten. Derzeit liegt die Inflation tatsächlich bei etwa null Prozent. Für die Konsumenten ist das sehr erfreulich!
Die Klage der EZB, die Inflation sei zu niedrig, hat einen tieferliegenden Grund. Er ist in der Konstruktion des ungedeckten Papiergeldsystems zu finden, in dem Geld per Kreditvergabe „aus dem Nichts“ geschaffen wird. Es handelt sich hierbei um ein inflationäres System, das für ein Ansteigen der Preise auf breiter Front sorgt: Die Preise der Güter der laufenden Produktion und die der Güter, die in Vorperioden erstellt wurden (Vermögen), steigen. Problematisch ist dabei, dass der Preisauftrieb sich fortsetzen muss, damit das ungedeckte Papiergeldsystem nicht ins Schlingern gerät. Keinesfalls jedoch dürfen die Preise der Güter fallen. Sonst wird es kritisch.
Überschuldet
Betrachten wir dazu ein einfaches Beispiel. Die Familie XYZ hat ein Haus zu 100 Euro gekauft. Sie verfügt über 20 Euro Eigenkapital und hat einen Kredit in Höhe von 80 Euro aufgenommen (Abb. 1).
Abb. 1
Nun fällt der Hauspreis auf 80 Euro (Abb. 2). Das Eigenkapital von Familie XYZ fällt auf 0 Euro. Daraufhin meldet sich die Bank. Sie sagt, die ursprüngliche Beleihungsgrenze (von 80 Prozent - also Kredit 80 Euro dividiert durch Hauspreis von 100 Euro) sei nunmehr auf 100 Euro gestiegen.
Abb. 2
Die Bank fordert daher Familie XYZ auf, zusätzliche Sicherheiten zu stellen (und zwar in Höhe von 20 Euro). Doch Familie XYZ hat das Geld nicht. Die Bank stellt daraufhin den Kredit fällig. Familie XYZ muss ihr Haus verkaufen. Geht es vielen Familien so, fallen die Häuserpreise (zum Beispiel auf 50 Euro, siehe Abb. 3). Familie XYZ und auch andere Familien, die ihr Haus mit Kredit und wenig Eigenkapital gekauft haben, sind plötzlich überschuldet: Der Erlös aus dem Häuserverkauf reicht nicht mehr aus, um die Kredite zurückzuzahlen.
Abb. 3
In gleicher Weise ergeht es nicht nur den privaten Häuslebauern, sondern auch Unternehmen, die verschuldet sind. Sinkt der Marktpreis ihres Vermögens, geraten sie unter Druck. In einer Deflation – wenn die Preise auf breiter Front fallen – geraten Schuldner in Probleme, werden zahlungsunfähig. Die Kreditgeber – allen voran Banken und Versicherungen, die die Banken finanzieren – erleiden Verluste.
Interesse an Inflation
Die Staaten sind in einer Deflation nicht mehr in der Lage, ihre Ausgaben wie bisher zu leisten. Die Steuereinnahmen schrumpfen. Transferzahlungen (wie Sozialleistungen und Pensionen) müssen reduziert werden. Zudem dramatisiert sich die staatliche Verschuldungslast: Die Steuereinnahmen fallen, der Schuldenstand bleibt hingegen unverändert. Angesichts schwindender Kreditqualität steigen zudem auch die Kreditkosten an.
Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um zu verdeutlichen, warum die staatlichen Geldpolitiken alles daran setzen, damit die Preise nicht fallen beziehungsweise dass sich die Preissteigerungen fortsetzen. Und nicht nur das. Im ungedeckten Papiergeldsystem kommt es früher oder später zu einem Inflationsdrang: Die verschuldeten Gruppen entwickeln ein Interesse an „etwas höherer Inflation“. Denn sind die Schuldenlasten von Staaten, Banken, Unternehmen und Privaten erst einmal groß genug, erblicken viele Schuldner in der Politik der Inflation einen „Ausweg“ aus momentanen Schwierigkeiten. Die Verschuldeten hoffen, dass ihre reale Schuldenlast durch steigende Inflation gemindert wird, dass es ihnen gelingen wird, ihre Schulden mit entwertetem Geld zurückzuzahlen.
Verlockenderweise stellen so manche Ökonomen in Aussicht, eine „etwas höhere“ Inflation wäre nicht schädlich und könnte in Zeiten hoher Verschuldung sogar helfen, die Probleme „in den Griff“ zu bekommen. Das aber ist trügerisch. Inflation führt nämlich nur dann zu einer Entlastung der Schuldner – die auf Kosten der Gläubiger geht – wenn sie überraschend kommt, wenn sie also höher ausfällt als ursprünglich erwartet. Allerdings lässt sich eine solche „Überraschungsinflation“ jedoch nicht dauerhaft durchführen, beziehungsweise sie würde zu immer höherer Inflation – bis hin zur Hyperinflation – führen und den Geldwert ruinieren.
Ist Inflation noch möglich?
Vielfach ist zu hören, eine Inflation sei heutzutage gar nicht mehr möglich. Es wird darauf verwiesen, dass es eine Unterauslastung der Kapazitäten gebe, dass die Gewerkschaftsmacht gering sei, und all das verhindere, dass Löhne und damit Preise ansteigen könnten.
Diese Sichtweise baut (stillschweigend) auf der Vorstellung auf, dass sich Inflation durch „Kostenschübe“ (wie zum Beispiel steigende Löhne oder steigende Energiepreise) erklären ließe. Doch das kann nicht überzeugen. Dass in einer Volkswirtschaft alle Preise ansteigen, ist ohne ein (vorangegangenes) Ausweiten der Geldmenge nicht möglich. Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen. Das Geldmengenvermehren schafft Inflation. Die staatlichen Zentralbanken haben das Monopol der Geldproduktion inne und können die Geldmenge beliebig vermehren.
Bislang geschieht das vor allem auf dem Wege der Bankkreditvergabe. Seit 2007/2008 haben die Privaten und die Unternehmen im Euroraum ihre Neuverschuldung allerdings vermindert. Gleichzeitig sind Banken auch zurückhaltender geworden bei der Kreditvergabe. Die EZB kauft daher bereits Anleihen und bezahlt die Käufe mit neu geschaffenen Euro. Diese gelangen jetzt in die Hände von Banken und Investoren aus dem In- und Ausland, denen die EZB ihre Schuldpapiere abkauft. Deren Nachfrage nach zum Beispiel Aktien, Anleihen und Immobilien nimmt zu und lässt deren Preise steigen. Es profitieren die Halter dieser Vermögensbestände. Zum Nachteil der Geldhalter, denn die Kaufkraft des Geldes schwindet: Für einen Euro erhält man fortan weniger Aktien und Häuser.
Vorab lässt sich nicht sagen, welche Güterpreise wann und wie stark ansteigen werden, wenn die Geldmenge ausgeweitet wird. Steigen beispielsweise die Immobilienpreise, werden irgendwann auch die Mieten ansteigen. Gewerbe, die eng mit dem Immobiliensektor verbunden sind (wie zum Beispiel die Baubranche), profitieren von steigender Nachfrage und steigenden Preisen für die von ihnen angebotenen Güter und Dienstleistungen.
Man kann sich die Wirkung einer Geldmengenausweitung wie die eines Wasserrohrbruchs im Haus vorstellen: Erst tröpfelt es hier, dann da, und nach und nach sind alle Wände und Decken durchnässt. Bei einer Geldmengenausweitung steigen nach und nach die Preise, erst die einen, dann die anderen, und am Ende sind alle Preise gestiegen.
Monopolisten der Geldproduktion
Dass man im Euroraum der Verlockung des Inflationierens bereits erlegen ist, zeigt die EZB-Politik der letzten Jahre: Sie hat begonnen, die Euro-Staatsschulden zu monetisieren. Nach und nach, Schritt für Schritt. Für verschuldete, politisch einflussreiche Gruppen ist diese Geldpolitik willkommen. Dass man sich von ihr abkehren wird, ist zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber doch recht unwahrscheinlich.
Die Erkenntnis ist, dass im Schuldgeldsystem Inflation früher oder später unwiderstehlich für die Verschuldeten wird, sie wird als die "Politik des kleinsten Übels" angesehen. Die EZB ist der Monopolist der Geldproduktion. Sie kann jede gewünschte Geldmenge schaffen und in Umlauf bringen. Wenn Inflation, auch höhere Inflation, politisch gewollt ist, kann und wird die Zentralbank diesen Wunsch erfüllen.
Die Klage der EZB, die Inflation sei zu niedrig, hat einen tieferliegenden Grund. Er ist in der Konstruktion des ungedeckten Papiergeldsystems zu finden, in dem Geld per Kreditvergabe „aus dem Nichts“ geschaffen wird. Es handelt sich hierbei um ein inflationäres System, das für ein Ansteigen der Preise auf breiter Front sorgt: Die Preise der Güter der laufenden Produktion und die der Güter, die in Vorperioden erstellt wurden (Vermögen), steigen. Problematisch ist dabei, dass der Preisauftrieb sich fortsetzen muss, damit das ungedeckte Papiergeldsystem nicht ins Schlingern gerät. Keinesfalls jedoch dürfen die Preise der Güter fallen. Sonst wird es kritisch.
Überschuldet
Betrachten wir dazu ein einfaches Beispiel. Die Familie XYZ hat ein Haus zu 100 Euro gekauft. Sie verfügt über 20 Euro Eigenkapital und hat einen Kredit in Höhe von 80 Euro aufgenommen (Abb. 1).
Abb. 1
Nun fällt der Hauspreis auf 80 Euro (Abb. 2). Das Eigenkapital von Familie XYZ fällt auf 0 Euro. Daraufhin meldet sich die Bank. Sie sagt, die ursprüngliche Beleihungsgrenze (von 80 Prozent - also Kredit 80 Euro dividiert durch Hauspreis von 100 Euro) sei nunmehr auf 100 Euro gestiegen.
Abb. 2
Die Bank fordert daher Familie XYZ auf, zusätzliche Sicherheiten zu stellen (und zwar in Höhe von 20 Euro). Doch Familie XYZ hat das Geld nicht. Die Bank stellt daraufhin den Kredit fällig. Familie XYZ muss ihr Haus verkaufen. Geht es vielen Familien so, fallen die Häuserpreise (zum Beispiel auf 50 Euro, siehe Abb. 3). Familie XYZ und auch andere Familien, die ihr Haus mit Kredit und wenig Eigenkapital gekauft haben, sind plötzlich überschuldet: Der Erlös aus dem Häuserverkauf reicht nicht mehr aus, um die Kredite zurückzuzahlen.
Abb. 3
In gleicher Weise ergeht es nicht nur den privaten Häuslebauern, sondern auch Unternehmen, die verschuldet sind. Sinkt der Marktpreis ihres Vermögens, geraten sie unter Druck. In einer Deflation – wenn die Preise auf breiter Front fallen – geraten Schuldner in Probleme, werden zahlungsunfähig. Die Kreditgeber – allen voran Banken und Versicherungen, die die Banken finanzieren – erleiden Verluste.
Interesse an Inflation
Die Staaten sind in einer Deflation nicht mehr in der Lage, ihre Ausgaben wie bisher zu leisten. Die Steuereinnahmen schrumpfen. Transferzahlungen (wie Sozialleistungen und Pensionen) müssen reduziert werden. Zudem dramatisiert sich die staatliche Verschuldungslast: Die Steuereinnahmen fallen, der Schuldenstand bleibt hingegen unverändert. Angesichts schwindender Kreditqualität steigen zudem auch die Kreditkosten an.
Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um zu verdeutlichen, warum die staatlichen Geldpolitiken alles daran setzen, damit die Preise nicht fallen beziehungsweise dass sich die Preissteigerungen fortsetzen. Und nicht nur das. Im ungedeckten Papiergeldsystem kommt es früher oder später zu einem Inflationsdrang: Die verschuldeten Gruppen entwickeln ein Interesse an „etwas höherer Inflation“. Denn sind die Schuldenlasten von Staaten, Banken, Unternehmen und Privaten erst einmal groß genug, erblicken viele Schuldner in der Politik der Inflation einen „Ausweg“ aus momentanen Schwierigkeiten. Die Verschuldeten hoffen, dass ihre reale Schuldenlast durch steigende Inflation gemindert wird, dass es ihnen gelingen wird, ihre Schulden mit entwertetem Geld zurückzuzahlen.
Verlockenderweise stellen so manche Ökonomen in Aussicht, eine „etwas höhere“ Inflation wäre nicht schädlich und könnte in Zeiten hoher Verschuldung sogar helfen, die Probleme „in den Griff“ zu bekommen. Das aber ist trügerisch. Inflation führt nämlich nur dann zu einer Entlastung der Schuldner – die auf Kosten der Gläubiger geht – wenn sie überraschend kommt, wenn sie also höher ausfällt als ursprünglich erwartet. Allerdings lässt sich eine solche „Überraschungsinflation“ jedoch nicht dauerhaft durchführen, beziehungsweise sie würde zu immer höherer Inflation – bis hin zur Hyperinflation – führen und den Geldwert ruinieren.
Ist Inflation noch möglich?
Vielfach ist zu hören, eine Inflation sei heutzutage gar nicht mehr möglich. Es wird darauf verwiesen, dass es eine Unterauslastung der Kapazitäten gebe, dass die Gewerkschaftsmacht gering sei, und all das verhindere, dass Löhne und damit Preise ansteigen könnten.
Diese Sichtweise baut (stillschweigend) auf der Vorstellung auf, dass sich Inflation durch „Kostenschübe“ (wie zum Beispiel steigende Löhne oder steigende Energiepreise) erklären ließe. Doch das kann nicht überzeugen. Dass in einer Volkswirtschaft alle Preise ansteigen, ist ohne ein (vorangegangenes) Ausweiten der Geldmenge nicht möglich. Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen. Das Geldmengenvermehren schafft Inflation. Die staatlichen Zentralbanken haben das Monopol der Geldproduktion inne und können die Geldmenge beliebig vermehren.
Bislang geschieht das vor allem auf dem Wege der Bankkreditvergabe. Seit 2007/2008 haben die Privaten und die Unternehmen im Euroraum ihre Neuverschuldung allerdings vermindert. Gleichzeitig sind Banken auch zurückhaltender geworden bei der Kreditvergabe. Die EZB kauft daher bereits Anleihen und bezahlt die Käufe mit neu geschaffenen Euro. Diese gelangen jetzt in die Hände von Banken und Investoren aus dem In- und Ausland, denen die EZB ihre Schuldpapiere abkauft. Deren Nachfrage nach zum Beispiel Aktien, Anleihen und Immobilien nimmt zu und lässt deren Preise steigen. Es profitieren die Halter dieser Vermögensbestände. Zum Nachteil der Geldhalter, denn die Kaufkraft des Geldes schwindet: Für einen Euro erhält man fortan weniger Aktien und Häuser.
Vorab lässt sich nicht sagen, welche Güterpreise wann und wie stark ansteigen werden, wenn die Geldmenge ausgeweitet wird. Steigen beispielsweise die Immobilienpreise, werden irgendwann auch die Mieten ansteigen. Gewerbe, die eng mit dem Immobiliensektor verbunden sind (wie zum Beispiel die Baubranche), profitieren von steigender Nachfrage und steigenden Preisen für die von ihnen angebotenen Güter und Dienstleistungen.
Man kann sich die Wirkung einer Geldmengenausweitung wie die eines Wasserrohrbruchs im Haus vorstellen: Erst tröpfelt es hier, dann da, und nach und nach sind alle Wände und Decken durchnässt. Bei einer Geldmengenausweitung steigen nach und nach die Preise, erst die einen, dann die anderen, und am Ende sind alle Preise gestiegen.
Monopolisten der Geldproduktion
Dass man im Euroraum der Verlockung des Inflationierens bereits erlegen ist, zeigt die EZB-Politik der letzten Jahre: Sie hat begonnen, die Euro-Staatsschulden zu monetisieren. Nach und nach, Schritt für Schritt. Für verschuldete, politisch einflussreiche Gruppen ist diese Geldpolitik willkommen. Dass man sich von ihr abkehren wird, ist zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber doch recht unwahrscheinlich.
Die Erkenntnis ist, dass im Schuldgeldsystem Inflation früher oder später unwiderstehlich für die Verschuldeten wird, sie wird als die "Politik des kleinsten Übels" angesehen. Die EZB ist der Monopolist der Geldproduktion. Sie kann jede gewünschte Geldmenge schaffen und in Umlauf bringen. Wenn Inflation, auch höhere Inflation, politisch gewollt ist, kann und wird die Zentralbank diesen Wunsch erfüllen.
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