Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater
Kritik aus Karlsruhe
Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der Dekabank. Foto: Dekabank
Die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank verstoßen gegen das Grundgesetz, weil Bundesregierung und Bundestag die Beschlüsse nicht geprüft haben, stellt das Bundesverfassungsgericht fest. Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater erklärt, welche Folgen das Urteil für die Geldpolitik hat.
Es ist notwendig und begrüßenswert, dass der Prozess der europäischen Integration verfassungsrechtlich kontrolliert wird. Dies stellt keine Beeinträchtigung der geldpolitischen Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) dar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Anleihekäufen der EZB (PSPP-Programm) hat viele Dimensionen. Im Kern geht es einmal mehr um die sehr besondere Konstruktion einer Notenbank mit vielen souveränen Staaten als Währungsraum.
Da ist aber zunächst die Perspektive der monetären Staatsfinanzierung: Ist nicht ein dauerhafter und ansteigender Ankauf von Staatsanleihen genau das, was im Vertrag über die Europäische Union (Art 123) verboten ist?...
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Es ist notwendig und begrüßenswert, dass der Prozess der europäischen Integration verfassungsrechtlich kontrolliert wird. Dies stellt keine Beeinträchtigung der geldpolitischen Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) dar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Anleihekäufen der EZB (PSPP-Programm) hat viele Dimensionen. Im Kern geht es einmal mehr um die sehr besondere Konstruktion einer Notenbank mit vielen souveränen Staaten als Währungsraum.
Da ist aber zunächst die Perspektive der monetären Staatsfinanzierung: Ist nicht ein dauerhafter und ansteigender Ankauf von Staatsanleihen genau das, was im Vertrag über die Europäische Union (Art 123) verboten ist? Die Karlsruher Richter haben dies, zumindest was das PSPP-Programm angeht, verneint. Sie legen dabei die Sekundärmarkt-Zugehörigkeit und die Haltedauer von Papieren an.
Für Ökonomen sind das jedoch eher formalistische Kriterien. Finanzwissenschaftler orientieren sich viel stärker an den Anreizen, die von diesen Programmen ausgehen. Wer als Ökonom die Einordnung der Käufe als Staatsfinanzierung ablehnt, der konzentriert sich darauf, dass bei aller gegenwärtigen Ausdehnung der Kaufprogramme diese am Ende temporär sein werden – und sei es nach einer oder zwei Dekaden.
Insbesondere wenn die Inflation zu stark ansteigt, muss die Notenbank in der Lage sein, die Programme zu stoppen. Dass in einer hoch verschuldeten Welt die Interessen von Schuldnern die politische Landschaft bestimmen, könnte dem entgegenstehen. Doch diese Einschätzungen sind wenig justiziabel – sie gehören in den Bereich der politischen Abwägung.
Und trotzdem hat das BVerfG der EZB einen Stock in die Speichen geschoben. Denn zwei Kriterien, die Kaufanteile nach Kapitalschlüssel sowie Mindest-Rating-Anforderungen, werden vom älteren PSPP-Programm erfüllt, nicht aber vom neuen PEPP-Programm.
Entweder stellt die EZB dieses letztere Programm als Corona-Notfallprogramm bald ein – was Markerwartungen enttäuschen würde – oder sie stellt die Kaufbedingungen des Programms um. Oder sie hält sich überhaupt nicht an das Karlsruher Urteil, womit wir bei der europa-politischen Dimension des Urteils wären.
Ein weiterer Vorwurf („ultra vires“) der Beschwerdeführer lautete, die EZB betreibe mit ihren extremen Maßnahmen, von denen das PSPP nur ein Beispiel ist, keine Geldpolitik mehr, da die Auswirkungen dieser Maßnahmen in nahezu alle Belange der Wirtschaftspolitik übergriffen (Verteilungspolitik, Sparerpolitik, Verschuldungspolitik, Innovationspolitik und Wettbewerbspolitik). Als europäische Institution erhält die EZB ihr Mandat in Form einer Einzelermächtigung, hier der Ausübung der Geldpolitik.
Bei einer solchen begrenzten Souveränitätsabtretung obliegt es der jeweiligen Institution, hier der EZB, jeweils zu begründen, dass sie mit ihren Maßnahmen innerhalb der Einzelermächtigung bleibt. Eine solche Begründung müsste insbesondere die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der positiven (dem geldpolitischen Ziel dienenden) und negativen (die Kollateralschäden ausmachenden) Aspekte der Geldpolitik umfassen. Hier reichen die Aussagen des wissenschaftlichen Stabes oder einzelner Funktionsträger der EZB nicht aus, hier muss der Zentralbankrat als verantwortliches Organ tätig werden.
Nach dem Urteil des BVerfG hat eine solche Begründung nicht stattgefunden. Bundesregierung und Bundestag haben ihre Kontrollpflichten verletzt, indem sie diese Begründung nicht eingefordert haben. Daher werden sie durch das BVerfG-Urteil dazu aufgefordert, diese Begründung innerhalb von drei Monaten einzuholen. Obwohl in den Medien als der spektakulärste Teil des Urteils – weil verfassungsverletzend – aufgeführt, dürfte dies der Teil des Richterspruchs sein, der am leichtesten zu heilen ist.
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