Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater
Kritik aus Karlsruhe
Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der Dekabank. Foto: Dekabank
Die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank verstoßen gegen das Grundgesetz, weil Bundesregierung und Bundestag die Beschlüsse nicht geprüft haben, stellt das Bundesverfassungsgericht fest. Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater erklärt, welche Folgen das Urteil für die Geldpolitik hat.
Denn es dürfte der EZB einfach möglich sein, zu begründen, dass sie Geldpolitik betreibt. Dabei hätte sie 95 Prozent der ökonomischen akademischen Gemeinde weltweit auf ihrer Seite. Sie würde darauf hinweisen, dass unkonventionelle Maßnahmen prinzipiell nicht anders in die Rahmenbedingungen für Wirtschaftsunternehmen und die privaten Haushalte eingreifen als die vorherigen konventionellen Maßnahmen.
So begünstigt jede Zinssenkung stets den Schuldner vor dem Gläubiger und hat über ihre Auswirkungen auf die Asset-Preise zusätzliche verteilungspolitische Konsequenzen. Auch die Tatsache, dass die Geldpolitik an der Nullzins-Grenze operiert, ist nur im nominalen Sinn neu: Negative Realzinsen...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Denn es dürfte der EZB einfach möglich sein, zu begründen, dass sie Geldpolitik betreibt. Dabei hätte sie 95 Prozent der ökonomischen akademischen Gemeinde weltweit auf ihrer Seite. Sie würde darauf hinweisen, dass unkonventionelle Maßnahmen prinzipiell nicht anders in die Rahmenbedingungen für Wirtschaftsunternehmen und die privaten Haushalte eingreifen als die vorherigen konventionellen Maßnahmen.
So begünstigt jede Zinssenkung stets den Schuldner vor dem Gläubiger und hat über ihre Auswirkungen auf die Asset-Preise zusätzliche verteilungspolitische Konsequenzen. Auch die Tatsache, dass die Geldpolitik an der Nullzins-Grenze operiert, ist nur im nominalen Sinn neu: Negative Realzinsen und damit die Enteignung von Sparern gab es in früheren Phasen der Geldpolitik häufig. Die Aufgabe liegt hier weniger in der Begründungsfähigkeit der EZB-Geldpolitik als in der Begründungswilligkeit.
Und damit tritt die eigentlich bedeutsame Dimension des Verfahrens zutage, die gar nicht einmal in der Geldpolitik im engeren Sinn zu suchen ist: der neu entstandene Kompetenzkonflikt zwischen den europäischen Jurisdiktionen. Sollte die EZB auf dem Standpunkt stehen, dass das BVerfG hier keine Kompetenz besitzt und überhaupt nicht auf das Urteil reagieren, so käme die Bundesbank in einen schweren Loyalitätskonflikt, der die europäische Geldpolitik schwer beschädigen dürfte.
Die Kompetenzabgrenzung zwischen den Obersten Gerichten ist keine ökonomische, sondern eine juristische und politische Fragestellung. Aus wirtschaftlicher Sicht ist hierzu lediglich festzustellen, dass ein Geflecht unklarer Rechtszuständigkeiten in Europa die Rechtssicherheit empfindlich einschränkt und in jedem Fall entschärft werden muss. Der neu aufgeworfene Graben fällt in eine Entwicklung der zunehmender nationalistischer Tendenzen auf vielen Gebieten europäischer Politik.
Insofern ist es nicht so sehr eine Fallgrube für die europäische Geldpolitik – hier lassen sich mit gutem Willen die Gräben wieder zuschütten -, sondern eher ein Symbol für die politischen Strömungen unserer Zeit. Reicht der politische Wille noch aus für eine europäische Zusammenarbeit, die über gutnachbarschaftliche Beziehungen hinausgeht?
An den Finanzmärkten jedenfalls wird diese schleichende Entfremdung innerhalb der europäischen Familie aufmerksam beobachtet. Nicht der Knall, dass die europäische Geldpolitik plötzlich zusammenbricht, ist hier die Erwartung, sondern die langsame Aushöhlung des europäischen Projekts. Sie ist der Grund, warum Marktteilnehmer in New York, London und Shanghai bereits heute einen Risikoabschlag in die europäischen Aktienkurse einbauen.
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