Deloitte-Chefökonom Alexander Börsch
Wandel im Welthandel
Alexander Börsch ist Chefökonom und Research-Leiter bei Deloitte Deutschland. Foto: Deloitte
Der Welthandel befindet sich im Umbruch. Deloitte-Chefökonom Alexander Börsch sagt, welche Trends sich abzeichnen und welche Rolle die Digitalisierung spielt.
Die Finanzkrise markiert eine Wegscheide in diesem Prozess. Seit 2011 sind die Zuwachsraten des Welthandels mäßig und kaum höher als die sowieso schon eher niedrigen Wachstumsraten der Weltwirtschaft. Die Expansion der globalen Lieferketten ist gestoppt. Die Gründe dafür sind nicht schwer zu finden.
Neue Handelsbeschränkungen – nicht nur, aber auch Zölle – sind weltweit seit der Finanzkrise gestiegen und behindern den Handel. Zusätzlich dürfte sich auch die Unsicherheit negativ ausgewirkt haben, die im letzten Jahrzehnt geherrscht hatte und die durch politische Ereignisse wie die Eurokrise, den Brexit, den Ukraine-Konflikt, die US-amerikanische Handelspolitik und einige andere ausgelöst...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Die Finanzkrise markiert eine Wegscheide in diesem Prozess. Seit 2011 sind die Zuwachsraten des Welthandels mäßig und kaum höher als die sowieso schon eher niedrigen Wachstumsraten der Weltwirtschaft. Die Expansion der globalen Lieferketten ist gestoppt. Die Gründe dafür sind nicht schwer zu finden.
Neue Handelsbeschränkungen – nicht nur, aber auch Zölle – sind weltweit seit der Finanzkrise gestiegen und behindern den Handel. Zusätzlich dürfte sich auch die Unsicherheit negativ ausgewirkt haben, die im letzten Jahrzehnt geherrscht hatte und die durch politische Ereignisse wie die Eurokrise, den Brexit, den Ukraine-Konflikt, die US-amerikanische Handelspolitik und einige andere ausgelöst wurde.
Die Handelsökonomin Dalia Marin schätzt, dass ein 300-prozentiger Anstieg der Unsicherheit, wie ihn die Corona-Krise auslösen dürfte, die Aktivität in den globalen Lieferketten um eine gutes Drittel reduziert. Unsicherheit führt dazu, dass der Fokus eher auf die Risiken als auf die Kosten gelegt wird. Damit zusammenhängend dürfte Resilienz als unternehmerisches und politisches Ziel wichtiger werden als Effizienz. In dieser Hinsicht dürfte die Unsicherheit der Corona-Krise, verbunden mit der Möglichkeit einer immer protektionistischeren Politik, den Handel weiter belasten.
Dienstleistungen als neuer Handelsmotor
Allerdings ist die Geschichte der Deglobalisierung des Handels unvollständig. Ein großer und schnell wachsender Bereich des internationalen Handels wurde bisher nicht adäquat erfasst, nämlich Dienstleistungen.
Obwohl der Dienstleistungssektor mit rund drei Vierteln des Bruttoinlandsprodukts der dominierende Sektor in allen entwickelten Volkswirtschaften ist, liegt der Fokus der Handelspolitik und der damit verbundenen politischen Diskussion fast ausschließlich auf dem Güterverkehr.
Ein wichtiger Grund dafür ist, dass der Dienstleistungshandel sehr viel schwerer zu erfassen ist. Güter, die Grenzen überschreiten, sind sehr viel leichter messbar als die verschiedenen Formen der Dienstleistungsexporte- und importe. Erst seit kurzem kann durch einen neuen Ansatz der Welthandelsorganisation (WTO) der Dienstleistungshandel sehr viel besser eingeschätzt werden. Die neuen Daten zeigen mehrere Trends. Erstens, Dienstleistungsexporte werden zu fast 60 Prozent über Präsenz im Ausland erbracht.
Dadurch ist die Beziehung zwischen Dienstleistungsexporten und Direktinvestitionen im Ausland sehr eng. Zweitens, die Dynamik im Dienstleistungshandel ist ausgesprochen hoch. Dieser ist in den letzten fünf Jahren mit 5,4 Prozent pro Jahr ungefähr doppelt so schnell gewachsen wie der Güterhandel und ist inzwischen sogar für ein gutes Fünftel des gesamten Welthandels verantwortlich. Wenn die Dienstleistungen, die in den Güterhandel einfließen, mit eingerechnet werden, würde dieser Anteil noch einmal sehr viel höher liegen.
Der Siegeszug der wissensintensiven und digitalen Services
Der dritte und strukturell wichtigste Trend ist, dass IT-Services die am schnellsten wachsenden Segmente im Dienstleistungshandel sind, gefolgt von Dienstleistungen, die auf intellektuellem Eigentum basieren, also zum Beispiel Lizenzgebühren für Urheberreche, Patente oder auch für Streaming-Dienste.
Beide Segmente sind zuletzt mit über 10 Prozent pro Jahr gewachsen. Damit ist der Dienstleistungshandel und vor allem sein digitaler und wissensintensiver Teil zum eigentlichen Träger des Handelswachstums geworden. Insofern spiegelt sich in den Handelsmustern immer stärker der Strukturwandel der entwickelten Volkswirtschaften in Richtung wissensintensive und digitale Dienstleistungen wider.
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