Volkswirt Jörn Quitzau
Volkswirt Jörn Quitzau
Ende der 1980er Jahre hatten Finanzdienstleister ein ganz heißes Thema: Die demografische Entwicklung werde eines Tages dafür sorgen, dass die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) in Schieflage gerät. Damals hieß es: Wenn die Babyboomer-Jahrgänge in einigen Jahrzehnten in Rente gehen, werde es nicht genügend Arbeitskräfte geben, um die Rente in der gewünschten Höhe zu finanzieren. Der Ausweg aus der Misere sei – so die Finanzdienstleister – die private Vorsorge. So ließe sich die Versorgungslücke schließen. Damals wurden Kapital-Lebensversicherungen wie am Fließband verkauft, aber auch aktienbasierte Fondssparpläne stießen zunehmend auf Interesse.
Ökonomen lieferten das wissenschaftliche Argument dazu. Sie wiesen deutlich auf den Reformbedarf beim Rentensystem hin. Vor allem sei mehr Kapitaldeckung nötig, mit der die umlagefinanzierte staatliche Rente ergänzt werden solle. In akademischen Kreisen machte das Konzept der impliziten beziehungsweise verdeckten Staatsverschuldung die Runde.
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Ende der 1980er Jahre hatten Finanzdienstleister ein ganz heißes Thema: Die demografische Entwicklung werde eines Tages dafür sorgen, dass die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) in Schieflage gerät. Damals hieß es: Wenn die Babyboomer-Jahrgänge in einigen Jahrzehnten in Rente gehen, werde es nicht genügend Arbeitskräfte geben, um die Rente in der gewünschten Höhe zu finanzieren. Der Ausweg aus der Misere sei – so die Finanzdienstleister – die private Vorsorge. So ließe sich die Versorgungslücke schließen. Damals wurden Kapital-Lebensversicherungen wie am Fließband verkauft, aber auch aktienbasierte Fondssparpläne stießen zunehmend auf Interesse.
Ökonomen lieferten das wissenschaftliche Argument dazu. Sie wiesen deutlich auf den Reformbedarf beim Rentensystem hin. Vor allem sei mehr Kapitaldeckung nötig, mit der die umlagefinanzierte staatliche Rente ergänzt werden solle. In akademischen Kreisen machte das Konzept der impliziten beziehungsweise verdeckten Staatsverschuldung die Runde.
Was sind implizite Staatsschulden? Es sind Schulden, die dadurch entstehen, dass der Staat im Rahmen der Sozialversicherung Leistungsversprechen für die Zukunft gibt, die mit den gegebenen Steuer- und Beitragssätzen nicht zu finanzieren sein werden. Implizite Schulden sind also die Haushaltsdefizite der Zukunft, die zwar noch nicht bilanziert sind, sich aber schon berechnen lassen. Der demografische Wandel spielt dabei eine entscheidende Rolle: In einer alternden Gesellschaft müssen immer weniger Beitragszahler immer mehr Rentner finanzieren. Kritisch wird dieser Trend – so lautete schon in den 1980er Jahren die Prognose –, wenn die geburtenstarken Jahrgänge/Babyboomer (Geburtsjahre 1955 bis 1969) in den Ruhestand gehen. Diesen Zeitraum haben wir nun erreicht.
Die ersten Babyboomer-Jahrgänge sind bereits im Ruhestand. Im Jahr 2031 werden die im Jahr 1964 Geborenen in den Ruhestand gehen – das ist der Jahrgang mit der höchsten Geburtenzahl in der Geschichte der Bundesrepublik (1,4 Millionen). 2036 wird dann der letzte Babyboomer-Jahrgang (Geburtsjahr 1969) den Arbeitsmarkt verlassen und in den Ruhestand wechseln. Dann werden also alle Babyboomer im Ruhestand sein – sie sind dann nicht mehr Beitragszahler, sondern haben auf die Seite der Leistungsempfänger gewechselt.
Neue Daten des Statistischen Bundesamtes belegen den Wandel: Im Jahr 1950 waren 10 Prozent der Gesamtbevölkerung auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik 65 Jahre oder älter. Im Jahr 2021 waren es bereits 22 Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg die Lebenserwartung der Männer bei Geburt von 64,6 auf 78,5 Jahre und die der Frauen von 68,5 auf 83,4 Jahre. Je weiter die Lebenserwartung steigt, desto länger ist die Rentenbezugsdauer.
Was sind die Folgen? Sehr offensichtlich sind die Herausforderungen für die Sozialversicherungen und die öffentlichen Finanzen. Mit dem Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge verschlechtert sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern drastisch. Die Finanzierungsengpässe nehmen zu.
Wollte der Staat alle Leistungsversprechen, die er den Bürgern bei Rente, Krankheit und Pflege gegeben hat, voll einlösen, ohne gleichzeitig die Sozialversicherungsbeiträge und Steuern für die arbeitende Bevölkerung anzuheben, bleibt der Ausweg der höheren Staatsschulden. Die erwähnten impliziten Schulden würden so zu expliziten Schulden. Modellrechnungen für Deutschland zeigen, dass die impliziten Schulden ein Mehrfaches der expliziten Schulden betragen. Das Forschungszentrum Generationenverträge hat zuletzt im Herbst 2022 errechnet, dass zu den offiziellen Staatsschulden in Höhe von knapp 70 Prozent des BIP noch implizite Staatsschulden in Höhe von rund 330 Prozent hinzukommen. Die ungedeckten Leistungsversprechen in der Sozialversicherung sind also der verdeckte Teil des staatlichen Schulden-Eisbergs.
Deshalb ist es wenig wahrscheinlich, dass der Staat alle seine Leistungsverspechen einlösen kann. Auch Beitrags- und Steuererhöhungen sind nicht auszuschließen. Schon jetzt wird die GRV mit erheblichen Steuerzuschüssen unterstützt. Aktuell fließen rund 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die GRV. Der Bundeszuschuss deckt damit gut 30 Prozent der Ausgaben der GRV.
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