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Der fragile Aufschwung

Dr. Ernst Konrad
Dr. Ernst Konrad
Vielen Unkenrufen zum Trotz erleben die Industrieländer in den letzten Wochen eine Zunahme der wirtschaftlichen Dynamik. Die Einkaufsmanagerindizes befinden sich auf dem höchsten Stand seit April 2011 und sind über die letzten Monate sukzessive angestiegen (vgl. Grafik 1). Zusammen mit dem wieder erstarkten Konsumentenvertrauen (selbst in Ländern wie Italien) deutet diese Entwicklung auf eine fortdauernde wirtschaftliche Belebung im weiteren Jahresverlauf hin. Diese ist gerade in der Eurozone nach 6 negativen Quartalen bitter nötig.



Im Gegensatz zu 2009/2010 kommt diesmal die Initialzündung aber nicht aus China und anderen Schwellenländern, sondern aus den Industrieländern. Das ist einigermaßen überraschend, da der IWF noch im Frühjahr die Schwellenländer als Wachstumsmotor gesehen und für Europa eine Fortdauer der Rezession vorhergesagt hatte. Die lockere Geldpolitik, vor allem in den USA und Japan, und die schrittweise Abkehr vom strikten Sparkurs in der Eurozone haben das Fundament für einen Aufschwung bereitet. Ob dieser allerdings mehr als nur eine zyklische Gegenbewegung nach der vorausgegangenen Schwäche ist, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen.

FED noch vorsichtig
Gewisse Zweifel an der Nachhaltigkeit sind berechtigt, da selbst die FED dem Konjunkturaufschwung nicht zu trauen scheint. Wie sollte man die jüngste Entscheidung, das monatliche Anleihekaufprogramm unverändert zu lassen, ansonsten interpretieren? Vor allem der schleppende Abbau der Arbeitslosigkeit macht der FED Kopfzerbrechen. Außerdem haben Bernankes Äußerungen vom Juni bezüglich einer baldigen Verminderung der Anleihekäufe zu einem deutlichen Zinsanstieg geführt, der den Neuabschluss von Hypothekendarlehen beinahe zum Erliegen gebracht hat. Dadurch wird in den Augen der FED der konjunkturelle Erholungsprozess empfindlich gestört. Darüber hinaus fürchtet Bernanke offensichtlich die negativen Auswirkungen des erneut aufgeflammten Haushaltsstreits. Aus diesen Gründen wird die FED ihr Anleihekaufprogramm frühestens zum Jahreswechsel reduzieren, wobei die wichtigste Orientierungsmarke der Abbau der Arbeitslosigkeit bleibt.

China stabilisiert sich
In jüngster Zeit sind auch wieder die Schwellenländer vom Hoffnungsträger zum konjunkturellen Sorgenkind geworden. Teilweise werden Erinnerungen an 1997 wach. Damals waren die Rückwirkungen auf die Industrieländer dank der erst beginnenden Integration der Schwellenländer in den globalen Wirtschaftskreislauf allerdings noch viel geringer. Mittlerweile gehen etwa 35% der Exporte der Industrieländer in Schwellenländer. Die gute Nachricht ist, dass die Schwellenländer, die unter einem hohen Leistungsbilanzdefizit und gleichzeitig einem hohen Budgetdefizit leiden  und deren Finanzmärkte in den letzten Wochen merklich unter Druck waren (vor allem in Indien, Indonesien, Südafrika, Brasilien und der Türkei) nur etwa 7,5% der Exporte aus den Industrieländern aufnehmen. 10% der Gesamtexporte gehen hingegen nach China.

China hat zwar mit $3.500 Mrd. die größten Devisenreserven der Welt und auch keine defizitäre Leistungsbilanz; das Land leidet aber unter den Folgen einer Kreditblase, die sich über die letzten Jahrzehnte sukzessive aufgebaut und durch die massiven Ausgabenprogramme nach der Finanzkrise nochmals neue Nahrung erhalten hat. Die verglichen mit dem Wirtschaftswachstum künstlich niedrig gehaltenen Zinsen, deren Rückgang sich seit der Finanzkrise durch die Orientierung an der US-Geldpolitik nochmals beschleunigt hatte, bedeuteten zu günstige Kreditbedingungen und damit Überinvestitionen in Sachkapital, vor allem in Infrastruktur und Immobilien. Im Zuge des nachlassenden Wirtschaftswachstums haben nun aber immer mehr Schuldner Schwierigkeiten, ihre Kredite zu bedienen. Daraus entstehende deflationäre Tendenzen führen zu einer weiteren Dämpfung der wirtschaftlichen Aktivität, wodurch immer mehr Kredite notleidend werden, so dass eine Abwärtsspirale in Gang kommen kann. Die Rufe nach Zinssenkungen und einer Lockerung der Kreditbedingungen werden deshalb immer lauter.

Da kommt der jüngste Anstieg der US-Renditen zur Unzeit, selbst wenn steigende Kreditzinsen die überfällige Neuausrichtung der chinesischen Volkswirtschaft in Richtung des privaten Verbrauchs auf Kosten der bisher dominierenden Investitionstätigkeit beschleunigen. Dieser Übergang wird aber nicht reibungslos passieren, sondern von weiter rückläufigen Wachstumsraten begleitet sein. Um die Erholung in den Industrieländern aber wirklich zum Stillstand zu bringen, müsste sich das chinesische Wirtschaftswachstum über die nächsten Quartale von aktuell gut 7% auf unter 5% abschwächen, was angesichts der jüngsten Stabilisierungstendenzen bei Industrieproduktion, Einzelhandelsumsätzen und Exporten sehr unwahrscheinlich ist.
Mehr als eine vorübergehende Dämpfung des Wachstums in den Industrieländern ist unserer Ansicht nach aktuell nicht zu erwarten. Da die Aktienmärkte in den Schwellenländern in der Vergangenheit aber ein guter Frühindikator für das Konjunkturklima in den Industrieländern waren, wird sich diese wahrscheinlich bereits in den nächsten Wochen einstellen (vgl. Grafik 2).



Aktienmarkt: höhere Kurse nur bei Erholung der Unternehmensgewinne´
Bedeutet das Ausbleiben eines Konjunkturrückschlags automatisch weitere Kursgewinne an den Aktienmärkten? Nicht unbedingt. Denn die Aktienmärkte haben schon einiges von dieser Entwicklung vorweggenommen. Über die letzten 2 Jahre haben sich die KGVs deutscher und europäischer Aktien deutlich erhöht (vgl. Grafik 3), d.h. die Aktienkurse sind schneller als die Unternehmensgewinne gestiegen. Das KGV europäischer Aktien liegt aktuell auf Basis der realisierten Unternehmensgewinne bei 15 und damit im Bereich des Durchschnitts der letzten 40 Jahre. Die seit  Mitte 2012 wieder rückläufigen Risikoaufschläge für Anleihen aus Südeuropa haben das KGV wieder auf das Niveau des dritten Quartals 2011, d.h. vor der letzten Eskalation der Eurokrise, ansteigen lassen.  Zwar hätte die Bewertung durch weitere Zuflüsse in den Aktienmarkt noch Luft nach oben. Allerdings war in der Vergangenheit die Bewertung des Aktienmarkts immer kurz vor der Verschärfung der US-Geldpolitik  am höchsten (vgl. Grafik 3).



Auch wenn Zinserhöhungen nicht vor 2015 zu erwarten sind, wird die Geldpolitik aber ab dem Jahreswechsel zumindest weniger expansiv sein als in den 12 Monaten davor. In diesem Umfeld sehen wir kaum Potential für höhere KGVs, so dass sich die Aktienkurse parallel mit den Unternehmensgewinnen entwickeln werden.

Der Konsens erwartet nach einem Nullwachstum für 2013 einen Anstieg der Gewinne um 12% für 2014. Dafür, dass die europäische Wirtschaft gerade aus der Rezession kommt, ist diese Zahl relativ niedrig. In der Vergangenheit lag in ähnlichen Situationen das Gewinnwachstum bei durchschnittlich 30%. Die Diskrepanz liegt daran, dass während der jüngsten Rezession die Gewinne weniger stark gefallen sind als in der Vergangenheit, und darüber hinaus die konjunkturelle Erholung in Europa nach wie vor auf etwas wackeligen Beinen steht, wie auch die EZB immer wieder betont. Abgesehen von dieser taktischen Argumentation sind die Vorzeichen für eine mittelfristige Gewinnerholung in Europa gut. Unternehmensgewinne bewegen sich typischerweise entlang eines ansteigenden Trends, z.B. eines gleitenden 10-Jahres-Durchschnitts.  Dies hat zur Folge, dass sich die Gewinne nach einem Einbruch wie 2008/2009 wieder erholen und den bisherigen Gewinngipfel auch wieder erreichen. Während aber in den USA der Gewinngipfel aus dem Jahre 2006 bereits 2011 übertroffen wurde, hinkt Europa immer noch hinterher (vgl. Grafik 4).'



Die seit 2010 schwelende Eurokrise hat nicht nur die Rückkehr der Unternehmensgewinne in Europa auf das Niveau von vor der Finanzkrise verhindert, sondern auch dazu geführt, dass sie aktuell etwa 10% unter ihrem langfristigen Wachstumstrend liegen. Die Gewinne der US-Unternehmen befinden sich hingegen etwa 25% darüber (vgl. Grafik 5).



Unterstellt man, dass die Unternehmensgewinne in Europa im Zuge des gerade angelaufenen konjunkturellen Erholungsprozesses das Niveau von 2007 übertreffen werden, so ist  für die nächsten 3 Jahre ein hohes einstelliges Gewinnwachstum möglich, woraus sich Potential für weitere Kurssteigerungen ergibt, selbst wenn aufgrund des ansteigenden Zinstrends der Druck auf das KGV zunimmt.

Fazit
Die freundliche Stimmung an den Aktienmärkten wird wahrscheinlich auch auf Sicht der nächsten Monate anhalten, wobei sich Aktien aus den Industrieländern besser als Aktien aus den Schwellenländern und Aktien aus Europa besser als Aktien aus den USA entwickeln werden. Die Rendite 10-jähriger amerikanischer und deutscher Staatsanleihen wird auch erst einmal nicht über das jüngst erreichte Niveau von 3% bzw. 2% ansteigen. Eventuell kann es sogar zu einer Bärenmarkt-Rally bei Staatsanleihen kommen, im Zusammenspiel mit einer Konsolidierung am Aktienmarkt. Die mittelfristige Tendenz zu höheren Renditen bleibt aber ungebrochen, so dass das Wohl der Aktienmärkte in Zukunft umso stärker von der Entwicklung der Unternehmensgewinne abhängen wird.

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