LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
in AnalysenLesedauer: 6 Minuten
Headphones
Artikel hören
Robert Halver über Anlageregeln
Sinn oder Unsinn von Börsenweisheiten
Die Audioversion dieses Artikels wurde künstlich erzeugt.

Robert Halver über Anlageregeln Sinn oder Unsinn von Börsenweisheiten

Robert Halver
Robert Halver | Foto: Baader Bank/Jessica Hunold/Canva

Gibt es Börsenregeln, an denen man sich wie an „Heiligenbildern“ festhalten kann? Eine der bekanntesten lautet: Im Mai, vor den schwachen Sommermonaten, seien Anleger gut beraten, ihre Aktien zu verkaufen. Dann im September sollten sie zurückkommen, um von der Jahresendrally zu profitieren. Doch besitzt diese Regel tatsächlich statistische Relevanz, aus der sich auch eine Gesetzmäßigkeit für die Börsenentwicklung 2023 ableiten lässt?

Woher die Mai-Weisheit stammt

Im Vereinigten Königreich im 17. und 18. Jahrhundert war die englische Oberschicht an der Londoner Börse weitgehend unter sich und bestimmte insofern den Aktienverlauf. Und während man vor der Sommerpause sehr aktiv war, zog man sich anschließend aufs Land zurück, um sich vielfältigen Lustbarkeiten hinzugeben. Um diese in Ruhe genießen beziehungsweise bezahlen zu können, wurden die Positionen vorher verkauft. Nach der Sommerfrische kehrte man an die Börse zurück, um vom September-Effekt zu profitieren.

Auch gab es damals kaum Einflüsse von außen. Die Geschicke der Welt bestimmte die angelsächsische Weltmacht selbst. Und die britische Politik nahm nur die Rolle der Schiedsrichter ein, die das Börsenspiel ansonsten laufen ließ.

Heutzutage jedoch werden die Außeneinflüsse immer größer. China und Indien zum Beispiel sind für die Finanzwelt längst von Bedeutung und scheren sich nicht um antiquierte westliche Saisonalitätsmuster. Ohnehin passiert irgendwo auf dem Globus immer irgendwas, das aufgrund der Globalisierung auch irgendwann die westlichen Börsen erreicht.

 

Vor allem aber hält sich heutzutage die internationale Fiskal- und Geldpolitik nicht mehr wie früher vornehm zurück. Aus Schiedsrichtern wurden die eigentlichen Spielmacher auf dem Börsenfeld. Egal, um welche Krise es geht, mittlerweile geht die internationale Rettungspolitik auch in der heißen Jahreszeit nicht in die Sommerpause.

1.200% Rendite in 20 Jahren?

Die besten ETFs und Fonds, aktuelle News und exklusive Personalien erhalten Sie in unserem Newsletter „DAS INVESTMENT Daily“. Kostenlos und direkt in Ihr Postfach.

Und wie relevant ist die Mai-Regel in der Neuzeit? In den letzten 33 Jahren hat der deutsche Leitindex während des Sommers 18-mal Kursverluste ausgewiesen, 15-mal kam es zu Aufwärtsbewegungen. Im Sommerloch 2015 wurde die Griechenland-Krise gelöst, was dem Dax anschließend ein Plus von 20 Prozent bescherte. Und im Mai 2022 nahm die Rally angesichts der üppigen staatlichen und geldpolitischen Corona-Hilfsaktionen richtig Fahrt auf. Schade, wenn Aktienanleger damals die Mai-Regel befolgt haben.

Das Anlage-Umfeld 2023

Immerhin ist der Dax seit Jahresbeginn etwa 13 Prozent im Plus, im intakten Bullenmarkt. Spricht dies nicht nach deutlichen Gewinnmitnahmen, zumal Inflation, Zinsangst, Bankenprobleme, Konjunkturschwächen oder Krieg nicht zu leugnen sind?

Offensichtlich sind die Märkte an die schlechten Rahmendaten seit Monaten gewöhnt. Sie schocken sie nicht mehr. Zukünftig sind für die Börsenentwicklung weniger die Krisen an sich von Bedeutung, sondern wie sie sich entwickeln, zum besseren oder schlechteren.

In puncto Inflation lässt der Rückgang zwar noch zu wünschen übrig, aber er findet statt. Ohnehin sind Überschuldung, Standortdefizite und Konjunkturschwächen so dramatisch, dass Notenbanken, statt klassische Inflationsbekämpfung zu betreiben, eher Inflationstoleranz zeigen müssen. Tatsächlich erwarten die Märkte ein Ende der Zinserhöhungen von Fed und EZB im Sommer 2023. In den USA wird über Zinssenkungen im Herbst diskutiert. Übrigens wird die Inflation in Europa über den Zinsen bleiben. Die Aktienseite hat von der realen Zinsseite also wenig zu befürchten.  

Tipps der Redaktion