Volkswirt Johannes Mayr
Das steckt hinter der neuen EZB-Strategie
Johannes Mayr ist Chefvolkswirt bei Eyb & Wallwitz. Foto: Eyb & Wallwitz
Die Europäische Zentralbank hat das Inflationsziel kürzlich auf glatt 2 Prozent festgelegt und steckt sich neue Klimaschutzziele. Johannes Mayr von Eyb & Wallwitz erklärt, was hinter der Strategie steckt.
Für Investoren besonders interessant ist die Anpassung des Inflationsziels auf „glatt 2 Prozent“. Diese neue symmetrische Formulierung ist in ihrer Wirkungsrichtung vergleichbar dem Vorgehen der Fed, allerdings weniger aggressiv. Zudem unterstützt die Formulierung ein weiteres Ziel des Strategieprozesses: Eine einfachere Kommunikation von Zielen und Maßnahmen der Geldpolitik. Die Fed hat im Herbst letzten Jahres eine ähnliche Adjustierung vorgenommen, wonach die US-Inflationsrate künftig „im Durchschnitt“ über einen längeren Zeitraum bei 2 Prozent liegen soll. Ein temporäres Überschießen nach Jahren von schwachem Preisauftrieb ist also gewünscht.
Die EZB betont im Gegensatz dazu zwar...
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Für Investoren besonders interessant ist die Anpassung des Inflationsziels auf „glatt 2 Prozent“. Diese neue symmetrische Formulierung ist in ihrer Wirkungsrichtung vergleichbar dem Vorgehen der Fed, allerdings weniger aggressiv. Zudem unterstützt die Formulierung ein weiteres Ziel des Strategieprozesses: Eine einfachere Kommunikation von Zielen und Maßnahmen der Geldpolitik. Die Fed hat im Herbst letzten Jahres eine ähnliche Adjustierung vorgenommen, wonach die US-Inflationsrate künftig „im Durchschnitt“ über einen längeren Zeitraum bei 2 Prozent liegen soll. Ein temporäres Überschießen nach Jahren von schwachem Preisauftrieb ist also gewünscht.
Die EZB betont im Gegensatz dazu zwar kein durchschnittliches Ziel zu verfolgen und zu hohe und zu niedrige Inflationsraten als gleichermaßen unerwünscht vermeiden zu wollen. Um dies zu erreichen, will man im Mitteleinsatz aber asymmetrisch agieren und entschiedener auf eine zu niedrige Inflation reagieren. Als Argument wird angeführt, dass im Bereich der Zinsuntergrenze sonst das Risiko dominiert, dass die Inflationserwartungen weiter nachgeben und so eine Erreichung des Inflationsziels gefährdet wird. In der Praxis bedeutet das, dass die EZB die Geldpolitik wohl nicht straffen wird, wenn sich ein Erreichen der 2-Prozent-Marke abzeichnet. Vielmehr wird ein Überschießen zumindest toleriert. Denn die 2-Prozent-Marke ist laut EZB-Chefin Christine Lagarde explizit keine Obergrenze mehr.
Neben dem Zielwert für die Inflation ist die Art der Preismessung entscheidend dafür, wie lange die EZB ihren expansiven Kurs fortsetzen kann. Weniger aus eigener Überzeugung als durch den Druck der Öffentlichkeit hat die EZB beschlossen, die Wohnkosten stärker in die Inflationsmessung einfließen zu lassen. In den bisher zu Grunde liegenden offiziellen Inflationsdaten der europäischen Statistikbehörde Eurostat werden nur Mietenpreise direkt berücksichtigt, Preise für selbstgenutzte Immobilien bleiben außen vor. Angesichts einer Eigentumsquote von 50 bis 90 Prozent in den verschiedenen Euro-Ländern würde eine Einbeziehung die Inflationsrate laut EZB um etwa 0,2 Prozentpunkte höher ausfallen lassen, da die Immobilienpreise in den vergangenen Jahren deutlich stärker gestiegen sind.
Für die Umsetzung ist die EZB aber auf die Unterstützung durch Eurostat angewiesen, in deren Hoheit die Berechnung der Inflationsrate liegt. Bis diese Anpassung vorgenommen ist, wird die EZB eigene Maße zur Entwicklung der Wohnkosten in ihre Einschätzung der Preisdynamik einfließen lassen. Dieses weiche Vorgehen gibt der EZB ausreichend Spielraum dafür zu sorgen, dass sich die Erwartungen zum Zeitpunkt der Zielerreichung durch die Neuerungen bei Inflationsziel und Preismessung nicht stark ändern. Die Zinserwartungen haben sich nach Bekanntgabe der Entscheidung sogar leicht nach hinten verschoben. Am Markt (OIS-Markt für Euro-Zinsswaps) wird die erste Zinsanhebung nun erst für Ende 2023 gepreist. Analysten gehen (laut SMA-Umfrage der EZB) vom Beginn der Zinsnormalisierung ohnehin erst ab Mitte 2024 aus.
Zudem hat die EZB beschlossen, an der bisherigen Zwei-Säulen-Strategie zur Bewertung der Inflationsrisiken festzuhalten. Während in Säule 1 die Konjunkturdaten und die Inflationsentwicklung analysiert werden, wird in Säule 2 die monetäre Entwicklung anhand der Geldmenge zur Abschätzung längerfristiger Inflationsrisiken analysiert. In dieser zweiten Säule soll künftig ein stärkeres Gewicht auf die Finanzstabilität gelegt und die Wechselwirkungen der Risiken aus beiden Säulen sollen stärker berücksichtigt werden. Denn die Rolle des Finanzmarktes hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen, und damit auch die Abhängigkeit der Wirtschaft von seiner Stabilität. Dagegen hat sich der Bedeutungsverlust der Banken fortgesetzt, weshalb der Blick auf Geldmengen- und Kreditdynamik in dieser Säule zu eng erscheint.
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