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Christian Jasperneite im Gespräch „Man sollte die Schuldenbremse jetzt lösen“

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Wie geht es weiter mit der deutschen Schuldenbremse?

Jasperneite: Wenn die deutsche Politik schlau ist, wird sie beginnen zu verstehen, dass man die nationale Schuldenbremse in einer europäischen Transfer- und Haftungsunion aufgeben sollte. Denn wir halten mit der Schuldenbremse eine Bonität vor, von der wir am Ende sehr wenig haben werden.

Das müssen Sie genauer erklären.

Jasperneite: In einer Transfer- und Haftungsunion müssen wir nahezu zwangsläufig davon ausgehen, dass die EU den Zugriff auf das gewaltige deutsche zusätzliche Verschuldungspotenzial sucht, das sich aus der jetzt noch sehr geringen deutschen Verschuldung ergibt.

Wie hoch ist dieses Potenzial?

Jasperneite: Wir reden hier über kaum vorstellbare 1.500 Milliarden Euro, die Deutschland zusätzlich schuldenfinanziert ausgeben könnte, ohne eine höhere Verschuldung relativ zum BIP als der Rest der Eurozone aufzuweisen. Ich will es mal ganz krass formulieren: Auf die nächsten 25 Jahre gesehen ist dieses Geld sowieso weg. Wir haben nur die Alternative, es zu einem großen Teil für unsere Zwecke, etwa für so wichtige Dinge wie die Modernisierung von Infrastruktur oder Bildung, auszugeben oder eben für den Rest der EU.

Stellen Sie sich vor, Sie werden Finanzminister in der neuen Bundesregierung: Wohin würde dieses Geld konkret fließen?

Jasperneite: Eher nicht in einen weiteren Ausbau des Sozialstaates. Zusätzliche Mittel verpuffen hier weitgehend wirkungslos. Davon haben nachfolgende Generationen nichts.

Das klingt hart.

Jasperneite: Ist aber so. Wir müssen jetzt versuchen, die Basis für die nächsten Jahrzehnte zu legen. Wir brauchen ein moderneres Schulsystem mit besser ausgebildeten und bezahlten Lehrern. Deutschland ist das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt und im Bildungssektor herrscht weitgehend business as usual. Das geht so nicht weiter. Da kommen gewaltige Aufgaben auf uns zu, die wir aktiv angehen müssen. Das kostet Geld.

Die Verwaltungen müssen teilweise komplett neu konzipiert und aufgebaut werden, weil sie vielfach in den 1990er-Jahren verharrt sind. Das Straßen- und Schienennetz ist an sehr vielen Stellen marode und veraltet, die Bahnhöfe sind ein Graus. Der geplante richtige und wichtige Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft wird unglaubliche Investitionssummen erfordern.

Allein der Strombedarf, der zusätzlich entsteht, um den nötigen Wasserstoff zu produzieren, hat gigantische Ausmaße. Vermutlich sollte man auch darüber nachdenken, die Steuern zu senken. Und angesichts der geopolitischen Unsicherheiten muss man der Realität ins Auge schauen und auch die Bundeswehr modernisieren und besser ausrüsten. Allein dort braucht man wahrscheinlich 100 bis 200 Milliarden Euro, um überhaupt wieder über eine funktionsfähige Armee zu verfügen. Viele Waffensysteme sind derzeit nicht einsatzfähig oder komplett veraltet.

Sie sehen also viele offene Baustellen.

Jasperneite: Man kann eigentlich das ganze Land neu erfinden. Mir würden die Ideen jedenfalls nicht so schnell ausgehen. Und wie gesagt: Das Geld liegt quasi auf dem Tisch. Wir sollten zugreifen, sonst tun es perspektivisch andere. Denn genau dafür gibt es ja eine Transfer- und Haftungsunion, auf die wir uns zubewegen.




Über den Interviewten:
Christian Jasperneite ist Chef-Anlagestratege der Privatbank M. M. Warburg & CO in Hamburg. Er trägt die Verantwortung für Fragen im Zusammenhang mit der taktischen und strategischen Allokation. Seine berufliche Karriere begann Jasperneite im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research bei M. M. Warburg & CO.

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