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Aktuare: Kapitalgedeckte Eigenvorsorge als Allheilmittel?

Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) schlägt in einem aktuellen Positionspapier zur Bundestagswahl 2025 Alarm: Die Versicherungsmathematiker warnen vor den Folgen des demografischen Wandels, explodierender Gesundheitskosten und neuer Herausforderungen durch Klimawandel und Digitalisierung. Sie fordern ein radikales Umdenken bei Rente, Pflege und Gesundheitsversorgung.
Dabei erweist sich der Verein, der als berufsständische Vertretung rund 6.500 Versicherungs- und Finanzmathematiker vertritt, als harter Interessenvertreter der Versicherungswirtschaft und ihrer Produkte. Konkrete Umsetzungsideen, zum Beispiel wir einkommensschwache Haushalte stärker Eigenvorsorge betreiben können sollen, lässt das Papier vermissen.
Aktuare sehen hohen politischen Handlungsdruck
Vielmehr verweist der DAV-Vorsitzende Maximilian Happacher auf unerledigte Reformvorhaben und drängt darauf, in der kommenden Legislaturperiode zu Entscheidungen zu kommen: „In diesem Wahlkampf geht es darum, unser Land auf allen Ebenen zukunftsfest und sicher aufzustellen und dabei wirtschaftliche ebenso wie private Risiken beherrschbar zu machen. Wir erwarten von der kommenden Bundesregierung tragfähige Antworten auf die drängendsten Herausforderungen. Ganz besonders zu Themen, die den Wohlstand, die Gesundheit, die soziale Absicherung und die Sicherheit der Bevölkerung betreffen.“
Der heutige Sozialstaat wird in 30 Jahren nicht mehr existieren, wenn keine nachhaltigen Reformen stattfinden, heißt es in dem Dokument. In der Sozialversicherung sei die einst als absolute Obergrenze beim Gesamtbeitragssatz von 40 Prozent bereits deutlich überschritten.
„Das belastet die erwerbstätige Generation in einem nicht mehr vertretbaren Maß und lähmt zunehmend die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes“, so Happacher in dem gemeinsam mit dem Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung (IVS) vorgelegten Positionspapier. Das IVS ist ein spezialisierter Zweigverein der DAV.
Rentensystem braucht fundamentalen Umbau
Besonders dramatisch stelle sich die Situation in der Altersvorsorge dar. Die Aktuare fordern einen fundamentalen Umbau des Rentensystems. „Unsere Alterssicherung braucht ein stabiles Fundament, das neben der Umlagefinanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung noch stärker als bisher auf Kapitaldeckung in Gestalt betrieblicher Altersversorgung (bAV) und privater Altersvorsorge setzt“, heißt es in dem Papier.
Die Kombination aus Lebensversicherung und betrieblicher Altersversorgung ermögliche kapitalmarktorientierte Ertragschancen in der Ansparphase in Verbindung mit einer lebenslangen, flexibel gestaltbaren Auszahlungsphase. Stabilisierende Elemente stärkten Ansparprozesse und die notwendige Sicherheit im Alter.
Insoweit ist aus Sicht der Aktuare eine lebenslange Leistung die einzige echte Alterssicherung, um für das hohe Alter vorzusorgen. Eine Risikogemeinschaft könne die Probleme der Umlageverfahren und Kapitalmarktverwerfungen ausgleichen und biete so besseren Schutz vor demografischen Risiken und Marktvolatilitäten.
Gesundheitssystem vor massiven Herausforderungen
Im Gesundheitswesen spitze sich die Situation ebenfalls dramatisch zu. Die DAV verweist auf gestiegene Leistungsausgaben in der Gesetzlichen Krankenversicherung um 7,6 Prozent im ersten Halbjahr 2024, die hauptsächlich durch steigende Kosten für Krankenhausbehandlungen und Arzneimittel getrieben seien.
Auch hier steht das Umlageverfahren im Zentrum der Kritik. Es sei besonders anfällig für demografische Veränderungen. Ab 2030 drohe durch den Renteneintritt der Babyboomer-Generation eine massive Finanzierungslücke.
Happacher: „Um die Zukunft des Gesundheitssystems zu sichern, braucht es eine stärkere Kapitaldeckung und reformierte Beitragsanpassungsmechanismen. Nur so können Versorgungssicherheit und Beitragsstabilität trotz steigender Kosten und demografischer Herausforderungen gewährleistet werden.“
Berechnung von PKV-Beitragsanpassungen mit Mängeln
Damit spielt die DAV auch auf Probleme in der Privaten Krankenversicherung an. Sie kalkuliere zwar kapitalgedeckt mit Alterungsrückstellungen und sei demografisch widerstandsfähiger, kämpfe aber mit methodischen Problemen bei der Prämienberechnung. Problem sei die Berechnung auf Basis von aktuellen Gesundheitskosten, Zinsen, Lebenserwartung und Verwaltungskosten, ohne zukünftige Entwicklungen wie die medizinische Inflation adäquat berücksichtigen zu können.

Hallo, Herr Kaiser!
Die gesetzliche Möglichkeit zur Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Beiträge ermögliche es oftmals zu spät, die Prämien an die aktuellen Entwicklungen anzupassen. „Das führt zu unregelmäßigen und teilweise erheblichen Beitragsanpassungen, die für die Versicherten mitunter schwer nachvollziehbar sind“, heißt es im DAV-Papier. Die sogenannten auslösenden Faktoren in der PKV sollten daher reformiert werden, um in der Zukunft eine größere Beitragsstabilität zu gewährleisten.
Auch Pflegeversicherung braucht laut DAV Kapitaldeckung
Nicht minder kritisch bewerten die Aktuare die Situation in der Pflegeversicherung und verweisen auf aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Ende 2023 gab es 5,7 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland. Nach Prognosen des Wissenschaftlichen Instituts der PKV wird diese Zahl bis 2050 sogar auf 7,25 Millionen ansteigen.
„Das umlagefinanzierte System der sozialen Pflegeversicherung arbeitet bereits heute defizitär“, warnt die DAV. Daher seien umfassendere Elemente einer kapitalgedeckten Pflegezusatzversicherung vonnöten, um die langfristige Finanzierung der Pflege sicherzustellen.
Hier unterschlägt der DAV, dass bisherige Produktlösungen am Markt wie die Pflegerentenversicherung sich als Flop erwiesen haben. Bisher wurden von den Policen nur wenige Tausend im Jahr verkauft. Allgemein werden sie von Experten als zu teuer und damit für Kunden unattraktiv eingestuft.
Klimawandel erfordert neue Versicherungskonzepte
Bei der Absicherung gegen zunehmende Elementarschäden durch den Klimawandel warnen die Experten vor zu simplen Lösungsansätzen. Die Aktuare fordern einen differenzierten Ansatz mit risikogerechter Prämienkalkulation, verstärkter Prävention und europäischer Koordination beim Hochwasserschutz.
Die diskutierte Elementarschadenpflichtversicherung, wie sie beispielsweise die CDU/CSU in ihrem Wahlprogramm fordert, sei nicht die erhoffte alleinige Lösung. Sie führe nicht, wie oft behauptet, zu geringeren Prämien, weil die Zunahme der Versichertenzahl die Gesamtheit entlaste. Diese sogenannten Skaleneffekte seien vielmehr gering, „da der zusätzliche Ausgleich in einem größeren Versichertenkollektiv aufgrund des Kumulcharakters der Elementarschäden in seiner Wirkung sehr begrenzt ist“, wie es in dem Papier heißt.
Öffentliche Hand müsse im Notfall bei Extremschäden einspringen
Aufgrund des in der Regel hohen Kumulrisikos bei großflächigen Elementarschäden entsteht aus DAV-Sicht für die Versicherungsunternehmen ein hoher Kapitalbedarf, den sie in Deutschland heute nur über international agierende Rückversicherer stemmen könnten. „Sollte dieser Rückversicherungsschutz im Zuge des Klimawandels nicht mehr in ausreichendem Maße oder nur zu extremen Kosten verfügbar sein, muss zwingend auch über öffentliche Lösungen der Tragung von Extremschäden gesprochen werden.“
Heißt im Klartext: Weitere Kosten für den Steuerzahler. Wobei Praxisbeispiele aus der Vergangenheit, wie die Ahrtal-Flut zeigen, dass der Staat bereits massiv finanziell involviert ist. Allein die Flutschäden im Juli 2021 haben Deutschland einem Bericht des schweizerischen Analyse-Instituts Prognos zufolge rund 40,5 Milliarden Euro gekostet – nur bis zu 8,5 Milliarden Euro seien aber von Versicherungen übernommen worden, weitere Gelder stammen aus dem EU-Solidaritätsfond sowie aus privater Tasche.
Künstliche Intelligenz als Chance und Herausforderung
Im Bereich der Künstlichen Intelligenz sieht die DAV große Chancen für die Versicherungswirtschaft, mahnt aber auch eine ausgewogene Regulierung an, da für die Versicherungsbranche bereits jetzt sehr viele
nationale sowie europäische Gesetze und Regulierungen gelten würden.
Mit der Verabschiedung der EU-Verordnung zum „AI Act“ 2024, die vorschreibt, dass KI-Anwendungen nicht missbraucht werden dürfen, sei zwar der europäische Gesetzgebungsprozess abgeschlossen, bei der nationalen Umsetzung müssten jedoch Doppelregulierungen vermieden und die Technologieoffenheit gewahrt werden. Ansonsten können laut DAV Unklarheiten und aufgrund von Dokumentations- und Berichtspflichten Mehraufwand in Verwaltung und Unternehmenssteuerung entstehen.