Zwischen Krise und Aufbruch Fondsmanager zur Lage der Automobilindustrie
Die deutsche Automobilindustrie befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Wandels. Elektromobilität, autonomes Fahren und neue Mobilitätskonzepte stellen die etablierten Hersteller vor enorme Herausforderungen. Gleichzeitig sind die Aktien von Volkswagen, Porsche, Mercedes-Benz und BMW so günstig wie lange nicht mehr. Doch sind sie damit auch ein Schnäppchen?
Wir sprachen mit Moritz Kronenberger, Fondsmanager bei Union Investment, über die aktuellen Schwierigkeiten und Perspektiven der Branche.
DAS INVESTMENT: Herr Kronenberger, welche spezifischen Faktoren haben in den letzten Jahren zu den Problemen der deutschen Autohersteller geführt?
Moritz Kronenberger: Der Umstieg auf die Elektromobilität birgt grundsätzlich Risiken. Die jahrzehntelang optimierte Infrastruktur für Verbrennungsmotoren muss nun parallel zu neuen Plattformen betrieben werden. Aufstrebende Wettbewerber, gerade aus China, können sich gleich auf die neue Technologie fokussieren. Erschwerend kommt hinzu, dass der chinesische Staat anfängliche Verluste subventioniert. Das verschafft den chinesischen Anbietern enorme Kostenvorteile. Dadurch können sie den Markt mit günstigeren Modellen beliefern und sich Marktanteile sichern. Zudem ist die Politik innerhalb Europas nicht immer konsistent. Strenge CO2-Vorgaben zwingen die etablierten Hersteller zwar, den Anteil an Elektrofahrzeugen zu erhöhen. Gleichzeitig wird aber über das geplante Verbrennerverbot bereits wieder diskutiert. Das würde bedeuten, weiterhin in die Erhaltung der alten Plattformen investieren zu müssen.
Wie schätzen Sie die Fortschritte der deutschen Hersteller bei der Elektromobilität im internationalen Vergleich ein? Experten wie die Analysten von Morningstar sehen die deutschen Autobauer trotz Herausforderungen grundsätzlich auf einem guten Weg. Aber sind diese wirklich gut für weitere Transformationen wie Digitalisierung, autonomes Fahren und neue Mobilitätskonzepte gewappnet?
Kronenberger: Die deutschen Hersteller haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Wir rechnen in naher Zukunft mit völlig neuen Plattformarchitekturen. BMW beispielsweise wird Ende 2024 mit einem „Software Defined Vehicle“ auf den Markt kommen. Beim autonomen Fahren sind Mercedes und BMW derzeit führend und als erste Hersteller in Europa offiziell zugelassen, das sogenannte Level-3-Fahren bis 60 km/h auf Autobahnen anzubieten. Diese Option ist bereits in der S-Klasse von Mercedes und im 7er BMW erhältlich - die zulässige Geschwindigkeit wird perspektivisch steigen. Bei neuen Mobilitätskonzepten sieht es hingegen ernüchternd aus. Zwar kooperieren alle großen deutschen Hersteller mit diversen Mobilitätsanbietern, jedoch betreibt derzeit kaum jemand eine eigene Plattform.
Angesichts sinkender Margen – welche Strategien verfolgen die Unternehmen, um ihre Profitabilität zu verbessern und gleichzeitig die nötigen Investitionen in neue Technologien zu stemmen?
Kronenberger: Noch versuchen die Autobauer, ihr hoch gesetztes Preisniveau der letzten Jahre zu halten und stellen hohe Produktionsvolumina hintenan. Das ist aber nur begrenzt möglich: Sinkt die Auslastung der Fabriken unter gewisse Schwellenwerte, müssen größere Mengen in den Markt gedrückt werden – zu Lasten des Preisniveaus.
Wo müssen die deutschen Autobauer besonders innovativ sein, um global wettbewerbsfähig zu bleiben – gerade mit Blick auf die zunehmende Konkurrenz aus China und den USA?
Kronenberger: Die deutsche Autoindustrie muss weiter für höchste Produktqualität stehen. Ein positives Beispiel sind die Erfolge beim autonomen Fahren. Sie zeigen, dass die deutschen Hersteller nahezu fehlerfreie Systeme entwickeln können. Um die Profitabilität zu steigern, muss Level 3 nun auf höhere Geschwindigkeiten ausgeweitet und die Technologie in weitere Modelle integriert werden. Die erfolgreiche Produktion von Level-4-Fahrzeugen wäre ein Ritterschlag für die deutsche Autoindustrie.
Ihre Prognose für die Branche in den nächsten 5 bis 10 Jahren? Und wer ist Ihrer Meinung nach am besten für die Zukunft aufgestellt? Laut den Morningstar-Analysten haben BMW und Mercedes-Benz mit ihrem Fokus auf Premiumfahrzeuge und effizienten Kostenstrukturen gute Karten für die Zukunft. Porsche könnte trotz vorübergehender Lieferprobleme seine ambitionierten Margenziele erreichen. Volkswagen steht hingegen vor der Herausforderung, die Profitabilität seiner Kernmarke zu steigern.
Kronenberger: Die Zeit von unendlichem, profitablem Wachstum ist vorbei. Neue Wettbewerber werden unweigerlich Marktanteile erobern - größtenteils zu Lasten der deutschen Autobauer. Der Weg führt daher zunächst über eine Premiumisierung des Produktportfolios, da sich neue Technologien am ehesten in höherpreisigen Fahrzeugen rechnen. Weniger Marktanteil bedeutet letztlich auch weniger Volumen, sofern der Weltmarkt nicht drastisch wächst. Stellenabbau und Produktionskürzungen werden daher unumgänglich sein. BMW kann ab 2025 mit der „Neuen Klasse“ unter Beweis stellen, dass auch klassische Autobauer innovativ sein können.
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Obwohl sie häufig als unterbewertet eingeschätzt werden, konnten sich die Aktien der deutschen Autobauer nicht nachhaltig erholen. Was hält die Kurse zurück und wie sollten Anleger angesichts der aktuellen Lage und Zukunftsaussichten agieren?
Kronenberger: Die Angst vor mehrjährigen Marktanteilsverlusten verhindert höhere Bewertungen der Aktien deutscher Autobauer. Der Markt geht derzeit davon aus, dass die aktuellen Gewinnniveaus nicht nachhaltig erzielt werden können.
Fazit: Deutschlands Autobauer durchleben epochalen Wandel
Die Einschätzungen von Fondsmanager Moritz Kronenberger decken sich in vielen Punkten mit den Analysen von Morningstar. Die deutsche Automobilindustrie durchläuft einen epochalen Wandel. Elektromobilität, autonomes Fahren und neue Mobilitätskonzepte erfordern enorme Investitionen und bringen große Unsicherheiten mit sich. Chinesische Wettbewerber verschärfen den Kostendruck. Etablierte Hersteller müssen innovative Technologien bei gleichzeitiger Premiumisierung des Angebots vorantreiben, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Kurzfristig belasten sinkende Margen und ein intensiverer Wettbewerb die Ergebnisse und Aktienkurse. Mittelfristig sehen Experten aber durchaus Chancen für die deutschen Autobauer. Nach den Kursrückgängen weisen deren Aktien laut Morningstar ein attraktives Aufwärtspotenzial auf. Anleger benötigen aber Geduld.
Entscheidend für den langfristigen Erfolg wird sein, wer den Umstieg auf Elektroantriebe und automatisierte Fahrfunktionen am besten meistert und sich zugleich als Mobilitätsdienstleister positionieren kann. Es bleibt spannend, welche Rolle die deutschen Premiumhersteller künftig in der globalen Automobillandschaft spielen werden. Die Weichen dafür werden jetzt gestellt.
Über den Interviewten:
Moritz Kronenberger ist Portfoliomanager bei Union Investment. Bereits seit 2017 ist Kronenberger bei Union Investment tätig. Seine Expertise hat er vor allem im europäischen sowie globalen Equity-Bereich.